Kapitel Zwei

Freitag, 24. November 2006

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35: Heimfahrt mit Kollegen

Als sie zurück nach Altenburg fahren, versinkt der Tag in der Dämmerung einer frühen Herbstnacht. Lang ist einsilbig und Pia ist froh, ihren Gedanken nachhängen zu können. Zwischendurch gibt sie Anweisungen: „Lang, die Projektile müssen untersucht werden. Ich will wissen, ob Burg mit der gleichen Waffe erschossen wurde, wie Schwarz.“ – „Dafür muss ich ihn erst aufschneiden, die Kugeln stecken noch in der Leiche,“ erklärt Lang müde. „Die Autopsie mache ich gleich morgen früh.“ Sein Ton enthält die Botschaft, dass es ihr nicht einfallen sollte, schon heute nacht auf der Autopsie zu bestehen. Riesel schaltet sich ein: „Wenn Burg tatsächlich von dem Typen erschossen wurde, der auch Schwarz getötet hat, können wir dann davon ausgehen, dass Burg den Mörder erpressen wollte?“ – „Gucken Sie bitte auf die Straße, ich habe keine Lust in einem schwarzen Sack neben Burg zu liegen,“ herrscht Pia ihn an, als er sich zu ihr umdreht. Dann erklärt sie: „Vielleicht war Burg auch ein Komplize, der dem Mörder zu heiß geworden ist. Aber bevor wir uns in Spekulationen verlieren, warten wir mal auf die Ergebnisse der Ballistik-Untersuchung.“ Sie dreht sich Richtung Rücksitz, wo Lang neben seinem Koffer sitzt. „Damit hängt es also von Ihnen ab, ob der Fall voran geht – und wie sich die Laune von Oberdorf in den nächsten Tagen entwickelt.“ – „Oberdorf ist Ihr Chef, nicht meiner,“ murmelt Lang, aber er kennt genauso gut wie Pia den Einfluss, den Oberdorf in der Behörde hat. Riesel fährt langsamer, als er in die Ausläufer des Feierabendverkehrs kommt. „Wir sollten uns diesen Wagenbach noch mal ansehen,“ überlegt Pia. „Ich gestehe, dass ich ein bisschen neugierig bin. Und es schadet nichts, nach seinen Aktivitäten am gestrigen Tag zu fragen.“ Sie wendet sich wieder Lang zu, der sich tiefer in den Polyestersitz drückt. „Ich brauche also ganz dringend den Todeszeitpunkt.“ – „Wie ich schon sagte, die Autopsie. Dann haben Sie Ihren Todeszeitpunkt. Morgen früh.“ Seine Stimme klingt endgültig. „Und da sagt man immer, keiner kann meinem Charme wiederstehen,“ bemerkt Pia, aber niemand lacht. „Also, rufen Sie Kaspar Wagenbach mal morgen früh an und laden Sie ihn für nachmittags vor, oder wann er auch immer von der Arbeit kommt. Wir sind da ja flexibel.“ – „Er ist ziemlich schräg,“ sagt Riesel, den Blick unverwandt auf die Straße vor ihm gerichtet. „Weiß man, wer sein Vater ist?“ Er schüttelt vorsichtig den Kopf. „Die Mutter hat keine Angaben gemacht. Sie sagte, sie wüsste seinen Namen nicht.“ Lang wirft von hinten ein: „Ich glaube, das war in der wilden Flowerpowerzeit nichts Besonderes. Kennt man ja, wer einmal mit der gleichen pennt….“ Pia wirft ihm einen Blick zu. „Wollten Sie jetzt etwas Gehaltvolles zur Diskussion beitragen?“ Abwehrend hebt Lang seine Hand. „Schon gut. Ich halte jetzt meinen Mund, bis wir auf der Dienststelle sind.“ Riesel biegt auf die Hauptverkehrsstrasse Altenburgs. Sie fahren am Markt vorbei, auf dem Studenten sich in den diversen Biergärten vom anstrengenden Studium erholen und berufstätige Singles über Kollegen und gemeinsame Freunde herziehen oder von ihren gescheiterten Beziehungen erzählen. „Sie glauben also nicht, dass Kaspar Wagenbach inmitten dieser fröhlichen Menge weilt,“ fragt Pia. Riesel grinst starr geradeaus. „Absolut nicht. Ich könnte ihn mir eher mit einem Pumpgun in einer Schule vorstellen.“ – „Sie sollten sich durch Ihre kaum verborgenen Vorurteile nicht die objektive Einschätzung von Verdächtigen versauen,“ belehrt Pia in einem milden Ton. „Ist er denn ein Verdächtiger? Wir haben doch gar keine Anhaltspunkte.“ Riesel reißt die Augen auf und Pia lächelt. „Jeder ist ein Verdächtiger, bis er mir das Gegenteil beweist.“ – „So viel wie ich weiß, geht der Spruch aber anders,“ macht sich Lang bemerkbar. „So viel wie ich weiß, gibt der Erfolg immer Recht,“ erwidert Pia kühl. „Kümmern Sie sich besser um Ihre Toten und die Spuren. Ich würde mich äußerst glücklich schätzen, wenn ich bis 11 Uhr die ersten Ergebnisse habe.“

Mittwoch, 22. November 2006

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34: Autobahnraststätte

Der Parkplatz an der Autobahnraststätte ist in mildes Abendlicht getaucht. Das laute Fahrgeräusch wird von ein paar Bäumen gedämpft, die lustlos am Rand der Autobahn vor sich hinwachsen. Hinter Pia laufen müde LKW-Fahrer und ältere Ehepaare durch die Glastür der Raststätte. Vor ihr beginnt ein kleines Waldstück, das in einem Feld ausläuft. Unter einem der Bäume liegt die Leiche von Hans-Joachim Burg. Pia geht einen Schritt näher an die Gestalt heran, die auf der braunen krümeligen Erde liegt. Das Gesicht des Toten ist mit einer Seite in die trockene Erde gedrückt, die andere Seite ist dem Betrachter zugedreht, ein blickloses Auge starrt ins Nichts. Er trägt Jeans und ein graues T-Shirt, von dem sich zwei blutverkrustete Löcher abheben. „Von vorn erschossen,“ meint Lang von der Spurensicherung, den sie gleich mitgebracht haben und der zu Pias Leidwesen die ganze Fahrt über ein angeregtes Gespräch mit Riesel über Geländewagen geführt hat. Nun kniet er sich neben die Leiche und öffnet seinen Metallkoffer. Pia sieht Riesel mit gesenktem Kopf durch die Bäume laufen, in der Hoffnung, irgendeine Spur zu erspähen. „Wie lange liegt er hier schon? Können Sie eine Vorabprognose machen, wann er getötet wurde?“ Lang hebt den Kopf und sieht sie unbewegt an. „Er wurde Dienstag Nacht um exakt 11.34 getötet.“ Ohne zu lachen fährt er fort: „Das wollen Sie doch hören, oder? Vergessen Sie´s. Ich mache keine Prognosen, die ich dann wieder zurücknehmen muss und auf die Sie mich festnageln.“ – „Himmel, jetzt seien Sie doch nicht so schwierig,“ murmelt Pia. „Ich will doch nur wissen, ob er heute oder gestern erschossen wurde. Und ich nagele Sie auf gar nichts fest.“ Lang macht einen misstrauischen Eindruck. Dann bequemt er sich dazu: „Heute nicht, eher gestern,“ zu brummeln. Der Wind geht frisch hier, außerhalb der Stadt. Langsam wird das Sonnenlicht fade, es ist sechs Uhr. Pia geht langsam auf Kommissar Bennemann zu, der sich mit dem Kollegen unterhält, mit dem er unterwegs war, als die Leiche von einem älteren Autofahrer gefunden wurde, dem die kleine Schlange vor den Toiletten zu lang gewesen war. Die beiden lachen, hören aber abrupt auf, als Pia sich nähert. Unfreundlich mustert Bennemann sie. Er ist ein schlanker großer Typ in den 40ern. „Und, sind Sie zuständig?“ Pia verzieht keine Miene. Genauso unfreundlich erwidert sie: „Ist der Fahrer noch da, der beinahe auf die Leiche gepinkelt hat?“ Bennemann schüttelt den Kopf, während sein Kollege ihr neugierige Blicke zuwirft. „Wir haben seine Aussage aufgenommen und dann durfte er weiterfahren. Er hat die Leiche gefunden, nichts angerührt und die Polizei gerufen. Ende der Geschichte.“ – „Wann die Geschichte zu ende ist, bestimme ich. Das ist mein Fall,“ erklärt Pia kalt. Bennemann starrt sie an. „Schon gut,“ murmelt er. Dann in Richtung seines Kollegen: „Oh Mann, Müller hat nicht übertrieben.“ Der dunkelhaarige, etwas beleibte Kollege grinst und Pia ahnt, dass sie hier keinen leichten Stand hat. „Gibt es sonst noch etwas, das Sie für erwähnenswert halten,“ fragt sie mit einem höhnischen Unterton. Bennemann schüttelt den Kopf. „Wir sind sofort hergefahren, als wir den Funkspruch gehört haben. Der Zeuge stand ein paar Meter vor dem Waldstück und war ziemlich bleich. Wir haben uns die Leiche näher angesehen und dann ist meinem Kollegen die Fahndung eingefallen, die uns noch erreichte, bevor wir losgefahren sind. Wir dachten, dass das ja wohl ein Scheißzufall wäre, wenn wir hier wirklich den Gesuchten finden, aber genau das war es. Wir haben die Leiche nicht angerührt, wir konnten ihn auch so identifizieren.“ Pia nickt und geht zurück zu Lang. „Und?“ Genervt blickt Lang erneut hoch. „Was, und? Wollen Sie jetzt von mir den Namen des Mörders?“ Sie zuckt mit den Achseln. „Schöne Abwechslung, wenn Sie auch mal ein schnelles Ergebnis liefern.“ Ohne ein weiteres Wort beugt sich Lang wieder über seine Leiche. Als Pia sich umdreht, sieht sie zwei Männer mit einer Trage auf sich zukommen. Lang wendet sich ihnen zu. „Ich bin fertig, Sie können ihn einpacken.“ Seite an Seite sehen Pia und Riesel zu, wie Burg in den schwarzen Plastiksack gepackt und auf der Trage zum Combi gebracht wird, der in der Nähe parkt. Mittlerweile haben sich ein paar Neugierige vor der Raststätte versammelt, aber niemand nähert sich Bennemann und seinem Kollegen um sie auszufragen. Leichen an Autobahnraststätten sind nicht die Ereignisse, die ausufernde Fragen aufwerfen.

Montag, 20. November 2006

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33: Berichte

Alena holt tief Luft. Sie hat so etwas geahnt, aber immer weit aus ihren Gedanken verdrängt. „Mach Dir keine Gedanken,“ versucht sie Kaspar zu beruhigen. „Das ist Routine. Sie werden nach den Angehörigen der lebenden und toten Mitglieder der Terroristen gesucht haben, weil ja auch einer von den Verwandten den Mord begangen haben könnte. Du stehst auf ihrer Liste. Das ist reine Routine.“ – „Hast Du etwa davon gewusst?“ Kaspars Stimme überschlägt sich fast. „Du lieber Himmel, nein. Das ist bloß gesunder Menschenverstand.“ Dann versucht sie es mit Ablenkung, außerdem platzt sie trotz der angespannten Situation fast vor Neugierde. „Was wollte er wissen?“ Für einen Moment herrscht Stille. Dann reißt Kaspar sich hörbar zusammen. „Natürlich, was ich Freitag Nacht getan habe. Wie Du Dir denken kannst, war ich zu hause und habe am Computer gesessen. Das ist ein wahnsinnig tolles Alibi.“ Alena ist froh, dass Kaspar seinen Sarkasmus wieder gefunden hat. „Dann hat er mich über mein Verhältnis zu meiner Mutter ausgefragt, das, wie du weißt, nichtexistent ist. Er wollte wissen, ob ich Schwarz kannte, was ich glücklicherweise verneinen konnte.“ Alena hört, wie Kaspar schluckt. „Leider ist er auch auf die vollkommen absurde Frage gekommen, ob ich die ehemaligen Mitstreiter von Marianne kannte. Ich habe erzählt, dass ich ihnen einen Brief ins Gefängnis geschrieben habe, weil ich damals etwas über meine Mutter erfahren wollte, und dass sie jeden Kontakt abgelehnt hatten. Ich dachte, der Eingang des Briefes könnte sich vielleicht noch zurückverfolgen lassen, darum habe ich an dieser Stelle die Wahrheit gesagt. Was das Treffen mit der Dahlem angeht,“ er zögert und Alena fängt an, nervös an ihren Locken zu drehen. „Das habe ich erst mal verschwiegen. Es wäre zu kompliziert geworden. Und ich dachte dann könnte es auch für Dich eng werden.“ Alena atmet erleichtert aus. Aber fast gleichzeitig drängelt sich ein anderer Gedanke nach vorn. „Mist, ich hoffe nur, sie befragen die Dahlem nicht noch einmal und erfahren dann, dass du dich mit ihr getroffen hast. Das wäre ziemlich kontraproduktiv.“ Beide schweigen einen Moment. „Allerdings hat die Kripo-Beamtin ja schon angedeutet, dass die Dahlem sich weigert überhaupt mit ihnen zu reden.“ Zögernd fragt Kaspar: „Arbeitet deine Polizistin mit diesem Riesel zusammen?“ Unsicher bringt Alena ein „Ja.“ heraus. „Wie heißt sie?“ Alena antwortet nicht. Ist es ein Problem, wenn Kaspar Pias Name erfährt? Was kann passieren? Es hätte vielleicht sogar etwas Positives, er wäre gewarnt und dementsprechend vorsichtig, würde er ihr jemals begegnen. „Also gut. Sie heißt Pia Stein-Bachmüller.“ – „Danke,“ flüstert Kaspar. Unbehaglich rutscht Alena auf dem Stuhl herum, auf den sie sich mittlerweile gesetzt hat. Aus einem Grund, den sich nicht begrifflich ausdrücken kann, war ihr wohler, als Kaspar den Namen ihres Kontaktes noch nicht kannte. Wird er sich selbständig an sie wenden? Unwahrscheinlich. Aber was würde passieren, wenn Pia erfährt, dass Alena und Kaspar sich kennen? Dass sie Kaspar ins Spiel gebracht hat, ohne Pia über die ungewöhnlichen Umstände zu informieren? Alena wird kalt. Das wäre das absolut Schlimmste, was passieren könnte. Sie weiß nicht, was konkret passiert, sie weiß nicht, wie Pia genau reagiert, aber sie weiß, dass es schrecklich wird.

„Er macht einen ziemlich seltsamen Eindruck,“ berichtet Riesel unterdessen Pia von seinem Besuch bei Kaspar. „Er wohnt allein in einer ziemlich heruntergekommen Wohnung, von der ich allerdings nur das Wohnzimmer und den Eingang gesehen habe. Auf meine Frage hin, was er beruflich macht, erklärte er, dass er Programmierer für die Altatec ist, eine der größeren Softwarefirmen hier in Altenburg.“ – „Ich weiß, was Altatec ist,“ unterbricht ihn Pia ungeduldig und Riesel vertieft sich in seine Notizen. „Freitag Abend war er jedenfalls allein zu hause. Angeblich kannte er Schwarz nur aus der Zeitung und auch von dem Todesfall hat er durch die Zeitung erfahren.“ Riesel sieht auf. „Er war etwas erstaunt, als ich sagte, dass Schwarz ermordet worden sei. Er hätte aufgrund der kleinen Anzeige gedacht, dass er eines natürlichen Todes gestorben sei. Aber das war vielleicht auch nur gespielt.“ Pia zuckt mit den Achseln und Riesel fährt fort: „Wagenbach hat zugegeben, dass er die Rolle kannte, die Schwarz bei der Beinahe-Verhaftung seiner Mutter spielte. Als ich ihn fragte, ob er Rachegedanken hegt, hat er gemeint, wieso, er hat sie ja nicht gekriegt.“ Pia grinst. „Wo er recht hat, hat er recht. Haben Sie auch etwas Substantielles herausgefunden?“ Nur Riesels Nasenspitze wird rot, langsam gewöhnt er sich an die Verbalangriffe Pias. „Er hat berichtet, dass er mal Briefe an Dahlem und Burg ins Gefängnis geschickt hat. Er wollte etwas über seine Mutter erfahren, die er nach eigenen Aussagen niemals wirklich kennen gelernt hatte. Damals hatten sich die beiden geweigert, mit ihm zu sprechen.“ – „Und heute? Hat er es nach der Entlassung wieder versucht,“ wirft Pia ein. Riesel schüttelt den Kopf. „Er erklärt, dass er keine weitere Kontaktaufnahme wollte. Er lebt jetzt sein eigenes Leben, meinte er, da würde die Vergangenheit nur stören. So in der Richtung hat er sich ausgedrückt.“ Pia seufzt. „Na gut. Das war ja ein überaus erfolgreicher Besuch. Aber immerhin haben Sie jetzt mal den Sohn einer echten Terroristin kennen gelernt.“ Bevor Riesel sich überlegt, ob er darauf antworten soll, klingelt erneut das Telefon. Pia stürzt sich auf den Hörer. Enttäuschung auf ihrem Gesicht. „Bennemann, von der Autobahnpolizei? Was wollen Sie denn von mir? Hier ist die Mordkommission, wir kümmern uns nicht die ausgesetzten Haustiere auf Ihren Rastplätzen .“ Der genervte Gesichtsausdruck weicht Anspannung. „Wo?“ Sie springt auf. „Wir sind schon unterwegs.“ Sie wirft den Hörer zurück auf die Gabel und läuft zu ihrem Trenchcoat. Auf dem Weg erinnert sie sich dass sie nicht allein arbeitet. Mit einem flüchtigen Blick auf Riesel erklärt sie kurz: „Ein Toter wurde auf dem Rastplatz Schönewald, ca. 30 km vor Altenburg, gefunden. Es scheint sich um Burg zu handeln. Er konnte identifiziert werden anhand der elektronischen Fahndungsfotos, die Frankfurt verschickt hat. Informieren Sie die Spurensicherung und beeilen Sie sich, sonst bin ich weg.“

Sonntag, 19. November 2006

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32: Unruhe

Pia dreht sich zu Riesel um. „Burg ist weg. In der Wohnung ist er nicht und auf der Arbeit ist er auch nicht wieder aufgetaucht. Allerdings haben die Kollegen verifiziert, dass es sich bei Brückner tatsächlich um Burg handelt. Die Leiterin des Altenheims hat ihn anhand des Fotos identifiziert. Die Kollegen haben die Fahndung eingeleitet“ Sie beginnt erneut, mit den Fingern auf der Tischplatte zu trommeln, als wenn sie dadurch die Suche beschleunigen könnte. „Die Kollegen werden sich jetzt das Apartment ansehen, das Burg unter dem Namen Brückner für ein halbes Jahr gemietet hat. Aber Brenner von der Kripo Freiburg hat bereits anklingen lassen, dass die Räume eher spartanisch eingerichtet sind, um nicht zu sagen, fast völlig leer stehen.“ Ein Stirnrunzeln zeigt an, dass sie diesen Umstand in ihrem Kopf hin und her wälzt. „Der Zeitvertrag auf der Arbeit. Das Apartment für sechs Monate. Freiburg sollte definitiv nur ein Intermezzo sein, das in zwei Monaten geendet hätte. Warum hat er sich die ganze Mühe gemacht?“ Sie sieht Riesel skeptisch an. „Um bei seiner Mutter zu sein? Er hätte sie doch einfach besuchen können. Er wird schließlich nicht gesucht. Er muss sich nicht verstecken.“ Vorsichtig wirft Riesel ein: „Und wenn doch?“ Pia starrt ihn an. Diese Option entbehrt momentan jeder Grundlage, trotzdem ist sie es wert, im Hinterkopf behalten zu werden. Sie seufzt tief auf. Es bringt nichts, jetzt auf den nächsten Anruf aus Freiburg zu warten. „Was haben Sie heute noch vor? Ich werde mich jetzt mal den Berichten aus Frankfurt widmen.“ Riesel zuckt mit den Schultern. „Ich versuche es noch einmal bei Marianne Wagenbachs Sohn. Vielleicht ist er heute Nachmittag zu hause.“ Dann sieht er den Zettel auf seinem Schreibtisch. „Gut, und außerdem werde ich versuchen, Harald ausfindig zu machen.“ Pia nickt sein lakonisches Grinsen mit unbewegtem Gesicht ab.

Die Berichte der Frankfurter Polizei hinsichtlich der Überwachung von Robert Kochs Vater sind wenig informativ. Herrmann Koch wurde zwei Wochen lang beschattet, nachdem sich die Spur von Robert Koch in der DDR verloren hatte. Vorher hatte das BKA den Tipp vom Bundesamt für Verfassungsschutz erhalten, dass Robert Koch anscheinend vom Monitor der Stasi verschwunden sei. Letztlich war die Überwachung von vornherein fruchtlos, da davon auszugehen war, dass jegliche Aktion zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen war. Dementsprechend wurde das Verhalten Herrmann Kochs als überaus normal und unauffällig geschildert. Dies betraf auch seine Kontakte, die sich in diesem Zeitraum ausschließlich auf Geschäftskunden und private Freunde beschränkten. Frustriert wirft Pia die Akten an den Rand ihres Schreibtisches. Sackgasse. Es würde nicht einfach sein, Robert Koch ausfindig zu machen. Und doch hatte Schwarz von irgendwem mit Namen Harald den Hinweis erhalten, dass Schwarz sich in Altenburg aufhalten sollte. Wo könnte er sein? Unter welchem Namen? Sie beißt sich auf die Lippen. Das Dossier, das Riesel angefertigt hatte, enthält ein Foto von Koch im Alter von 20 Jahren. Blonde, etwas zu lange Haare. Blaue Augen. Nicht unattraktiv. Weicher Mund. Er sieht nicht aus wie ein Terrorist, eher wie ein reiches Kind, das ein wenig Abenteuer will. Aber das sind die Interpretationen von jemandem, der die ganze Geschichte kennt, denkt Pia. Die langweiligen Familienväter, die ihre Frauen ermorden, sehen im Nachhinein auch immer wie gewissenlose Mörder aus. Außerdem kennt sie die ganze Geschichte von Koch nicht. Vielleicht wollte er tatsächlich Revolution machen und ist aus der DDR in den Nahen Osten verschwunden. Vielleicht ist er von dort irgendwann und aus irgendwelchen Gründen nach Altenburg gekommen. In das verschlafene, gelehrte, langweilige Altenburg. Pia verdreht ihre Augen angesichts der Abstrusität dieses Gedankens. Sie sieht sich erneut das Dossier an. Robert Koch hatte ein Studium abgebrochen, als er sich der RAF anschloss. Philosophie in Frankfurt. Müde reibt sie ihre Augen und nimmt dann entsetzt ihre Hände weg, mit denen sie ihr Mascara verwischt hat. „Auch das noch,“ murmelt sie verzweifelt. Als sie im Waschraum mit einem feuchten Papierhandtuch versucht, die schwarzen Striche unter ihren Augen zu entfernen, fällt ihr erneut das Foto von Koch ein. Philosophie. Es kann nichts schaden, ihrem Mann eine Kopie des Fotos zu zeigen. Vielleicht ähnelt der 20-jährige darauf einem seiner Kollegen….

Entspannt schließt Alena die Haustür auf. Sie war ein wenig spazieren und hatte sich dann mit einem Buch in den kleinen Park in ihrem Viertel gesetzt; ganz entgegen ihrer Gewohnheit, sich vor der Sonne in ihrer Wohnung zu vergraben. Heute hatte sie das unbestimmte Gefühl gehabt, dass ihre Wohnung, ihr geliebter Zufluchtsort, zu viele Schatten barg. Eigentlich liebte sie Schatten, die für sie Zeichen waren für etwas, das auf den ersten Blick verborgen lag. Wie die Schatten in der Höhle Platons. Flüchtige Hinweise auf Dinge, nach denen man forschen konnte, die man suchen musste und deren Entdeckung momentanes Glück bedeutete. Manchmal fühlte sie sich jedoch mit der Zweideutigkeit des Phänomens konfrontiert, mit der Assoziation von Schatten und dem Nichtgreifbaren aber Vorhandenen, dem Drohenden, der Erinnerung an etwas, das es zu vergessen galt. Auf dem Weg nach draußen, der einer kleinen Flucht ähnelte, blieb ihr Blick für eine Sekunde an der Tür in der Diele hängen, die immer verschlossen blieb. Dann war sie aus der Wohnung gestürmt, in die heiße Mittagsonne, die jeden Schatten auf ein Minimum reduzierte. Aber nun war das Gefühl vorbei und Alena freut sich auf die angenehme Kühle ihrer Wohnung, als sie das Telefon klingeln hört. Sie murmelt eine Fluch und beschließt, nicht abzuheben. Dann fällt ihr ein, dass es Pia sein könnte. Die determinierte, energische Pia, die immer wieder anrufen würde, bis Alena ans Telefon gehen würde, oder die vielleicht sogar bald vor ihrer Tür stehen würde. Also schließt sie die Augen, hebt den Hörer ab und wartet. Nicht Pias selbstbewusste Stimme kommt ihr aus dem Hörer entgegen, sondern die mit Panik aufgeladene Aufregung Kaspars. „Alena, die Polizei war heute bei mir. Ein Typ namens Riesel. Er hat mich zum Mord an Schwarz befragt.“

Samstag, 18. November 2006

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31: Amtshilfe

Pia fragt nicht lange, woher Alena die Informationen hat. Die Erwähnung des unbekannten Historikers reicht ihr völlig: „Das ist hochinteressant.“ Pias Stimme verrät die nur mühsam unterdrückte Aufregung. „Wenn Burg also Kippe ist, dann hält er sich lt. den Ermittlungen von Schwarz in Freiburg auf.“ Eine kurze Pause. „Macht das Sinn? Was sollte er in Freiburg tun? Warum ist er nicht legal dorthin gezogen, hat sich in Hamburg abgemeldet und in Freiburg wieder angemeldet?“ Alena hält sich zurück, sie ahnt, dass Pia gerade laut denkt ohne sich dessen bewusst zu sein. „In der Nähe von Freiburg lebt Burgs Mutter in einem Pflegeheim,“ kommen weitere Überlegungen aus dem Hörer. „Hat er vor, sie zu besuchen? Aber angeblich wurde bisher niemand dort vorstellig. Die Leiterin hat meinem Kollegen erzählt, dass Frau Burg schon lange keinen Besuch mehr hatte.“ In Alenas Kopf klickt eine Verbindung. Etwas, das Kaspar erwähnte, bei dem Gespräch mit Brigitte Dahlem. „Pia, Burg soll selber Pfleger gewesen sein. Er hat in Heidelberg gearbeitet, ist dort mit dem sogenannten Sozialistischen Patienten Kollektiv in Berührung gekommen und von dort in die RAF gerutscht.“ Am anderen Ende ist Stille. Eine angespannte, rotierende Stille. Dann der Ausruf: „Verdammt, Burg könnte als Pfleger in dem Altenheim arbeiten. Unter falschem Namen.“ Erneute Stille, jetzt wieder nachdenklich. „Aber warum diese Heimlichtuerei?“ Alena steigt in die Spekulation ein. „Vielleicht wollte er seiner Vergangenheit entfliehen. Da weiter machen, wo er aufgehört hat. Und gleichzeitig etwas gut machen. Der Grund für sein Versteckspiel müssen keine geplanten Verbrechen gewesen sein, Burg hat vielleicht psychologische Gründe für sein Verhalten.“ Pia zögert, ohne zuzustimmen. „Vielleicht.“ Es klingt wenig überzeugt. „Aber das bekommen wir noch heraus. Ich werde jetzt erst mal anfragen, ob ein neuer Pfleger vor kurzem in dem Altenheim angestellt wurde. Dann sehen wir weiter.“ Kurze Pause, als erinnere sie sich an etwas. „Danke, Alena.“ Dann zeigt ein Klicken an, das der Hörer aufgelegt wurde. Alena lässt den Hörer auf die Gabel fallen und lehnt sich zurück. Mit weitgeöffneten Augen starrt sie in die Dämmerung des verdunkelten Raums.

Nervös klopft Pia mit den Fingern auf die Schreibtischunterlage. Tatsächlich arbeitet seit zwei Monaten ein Joachim Brückner in dem Altenheim, mit einem befristeten Vertrag zur Aushilfe. Laut Auskunft der Leiterin wurde Brückner aufgrund eines akuten Personalmangels eingestellt, er hatte gute Zeugnisse und gute Referenzen. Man sei froh gewesen, schnell einen Ersatz für einen krankheitsbedingten Ausfall erhalten zu haben, darum habe man sich mit den vorgelegten Papieren zufrieden gegeben. Es habe ohnehin keinen Anlass zum Zweifel gegeben. Pias Nervosität ist vor allem durch den Zusatz begründet, dass Brückner seit gestern nicht mehr zur Arbeit erschienen sei. Er habe außerdem Dienstag früher Schluss gemacht, aus dringenden persönlichen Gründen. Daraufhin hat Pia sich mit dem Leiter der Mordkommission des Kommissariats Freiburg verbinden lassen und ihn um Amtshilfe gebeten. Seine Leute sollten zu diesem Zeitpunkt bereits mit einem Foto von Burg auf dem Weg zum Altenheim und mit einer Vorladung auf dem Weg zur Wohnung von Joachim Brückner sein. Allerdings kann sich Pia an fünf Fingern abzählen, dass Burg nicht mehr in der Wohnung ist. Warum ist er plötzlich verschwunden? Wollte er sich mit jemandem treffen? Hat er Schwarz ermordet und wollte nun fliehen? Schwarz wurde Freitag Nacht ermordet, und Brückner hatte laut Auskunft der Leiterin Frühschicht, die um 16.00 Uhr endete. Mit einem Wagen könnte er es in vier Stunden bis nach Altenburg geschafft haben, den Mord verübt haben und wieder zurück nach Freiburg gefahren sein, wo er um 7.00 Uhr pünktlich seinen Dienst aufgenommen hatte. Alles möglich. Als Riesel zurück ins Büro kommt, brieft Pia ihn kurz und er starrt sie mit offenem Mund an. „Burg arbeitet als Pfleger im Altenheim seiner Mutter?“ Er legt die Notizen und ein paar Mappen ab und lässt sich auf seinen Stuhl fallen. „Ich habe die Überwachungsberichte von der Frankfurter Kripo, die damals für das BKA angefertigt wurden. Hansen aus der Verwaltung kennt jemanden bei der Kripo Frankfurt und der hat uns Kopien von den Berichten auf dem kleinen Dienstweg zugeschickt.“ Er klopft grinsend auf die Aktendeckel und Pias Augen leuchten auf. „Nicht schlecht, Riesel.“ Für eine Sekunde überlegt sie, ob sie selbst brauchbare Kontakte zu anderen Dienststellen hat oder auch nur jemanden kennt, der sie ihr knüpfen könnte. Da ihr niemand einfällt, zuckt sie mental mit den Achseln. Dafür hat sie kommunikationsbereite Mr. Nice Guys wie Riesel. Als das Telefon klingelt hält sie den Hörer binnen Sekundenbruchteilen an ihr Ohr. „Haben Sie etwas für mich,“ fragt sie anstelle einer Begrüßung. Stirnrunzelnd hört sie eine Weile zu und beendet das Telefonat mit den Worten: „Gut, so machen wir es. Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas Neues wissen.“

Freitag, 17. November 2006

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30: Fragen und Antworten

Nach dem Telefonat macht Alena sich einen schwarzen Tee, als erneut das Telefon klingelt. Sie steht einen Moment bewegungslos im Raum, bevor sie erneut den Hörer aufnimmt. „Kaspar hier. Alles klar bei Dir?“ – „Warte mal kurz.“ Sie holt den Tee aus der Küche und setzt sich vorsichtig mit der Tasse in der einen und dem Hörer in der anderen Hand in das dunkelbraune Ledersofa. „Warum rufst Du an,“ sagt sie in den Hörer. „Ich wollte nur wissen, ob alles in Ordnung ist. Du hast gestern etwas durcheinander gewirkt.“ Kaspars Stimme klingt vorwurfsvoll. Macht er sich Gedanken um sie, macht er sich Sorgen? Ihr gefällt dieser Gedanke nicht. Es darf nicht erneut zu der Situation kommen, vor der sie damals geflohen ist. Nein, sie ist nicht geflohen, sie hat sich zurückgezogen. Hätte sie aus Altenburg wegziehen sollen? „Bist du noch dran?“ Alena ruft sich in Erinnerung, dass sie ein Telefonat führt. „Die Kripo-Beamtin hat angerufen. Ich habe ihr von dem Treffen erzählt und sie will, dass wir so bald als möglich ein neues Treffen vereinbaren. Sie hat Fragen, auf die sie sofort eine Antwort haben muss.“ Sie hört Kaspar durch das Telefon pfeifen, während sie einen Schluck Tee trinkt. Er schmeckt bitter, weil sie den Zucker vergessen hat. „Ich wollte eigentlich ein paar Tage verstreichen lassen. Es ist nicht gut, wenn sie das Gefühl bekommt, wir bedrängen sie.“ Dann fügt er hinzu: „Was sind das für Fragen?“ Alena stellt den Tee auf einen Stapel Bücher auf dem kleinen Beistelltisch aus Mahagoni. „Kennst Du die Spitznamen Kippe und Kennedy? Sie will wissen, um wen es sich dabei handelt. Sie vermutet, dass es Kurznamen für die beiden anderen männlichen Mitglieder des Kommandos sind, deren Namen ich vergessen habe.“ Kaspar überlegt kurz. „In diesem Fall würde ich sagen, Kippe ist Burg und Kennedy ist Koch.“ Verblüfft fragt Alena: „Wie kommt du darauf?“ Sie sieht Kaspar lächeln, als er ihr erklärt: „Vielleicht kann man das als eine Art RAF-Humor bezeichnen. Als der Mord an Siegfried Buback, der damalige Generalbundesanwalt, geplant wurde, nannte man die Operation „Margarine“, weil seine Initialen SB auch der Name einer Margarine-Marke sind. Hans-Joachim Burgs Initialen sind kurz HB, die Zigarettenmarke, also Kippe. Und Kennedy passt ganz gut zu Koch, weil er Robert hieß, wie Bobby Kennedy. Außerdem war sein Vater so reich wie ein Kennedy.“ Alena grinst entzückt. „Das ist echt überzeugend. Am besten rufe ich sie gleich an und erzähle es ihr. Dann haben wir wieder etwas Luft für das nächste Treffen mit Brigitte Dahlem.“ – „Moment mal,“ wirft Kaspar hastig ein. „Wie willst Du ihr erklären, wie du zu dieser Erkenntnis kommst?“ – „Ich sage die Wahrheit, nämlich dass ich dich gefragt habe. Du bist der Spezialist, du kannst solche Sachen wissen.“ Kaspar grummelt durch den Hörer. „Das gefällt mir nicht. Nachher denkt sie noch, ich stecke mit den Dreien unter einer Decke. Vielleicht glaubt sie, es ist keine Schlussfolgerung sondern Insiderwissen.“ Alena runzelt die Stirn. „Mir wäre es lieber, wir können sie erst mal mit dieser Information abspeisen. Du kennst sie nicht, Kaspar. Sie ist absolut determiniert. Sie wird keine Ruhe geben, bevor wir Frau Dahlem nicht zum nächsten Treffen gebeten haben. Und wie willst Du Frau Dahlem die Notwendigkeit dieser Frage erklären? Das geht doch weit über die Informationen hinaus, die man für das Schreiben eines Buchs über Terrorismustheorien benötigt.“ Sie seufzt. „Sie will außerdem wissen, ob Frau Dahlem Kontakt zu ihren alten Bekannten, Burg und Koch hatte, und ob Schwarz sich bei ihr gemeldet hat. Er hat lt. ihren Ermittlungen gewusst, wo sie wohnt.“ Kaspar meint abwertend: „Es kann nicht schwer gewesen sein herauszufinden, wo sie wohnt. Sie steht zwar nicht im Telefonbuch, aber sie ist gemeldet.“ Er macht eine kurze Pause. „Viel interessanter ist, wo Burg und Koch sind. So viel wie ich weiß, ist Koch damals mit Marianne in die DDR geflohen.“ Alena stolpert über die Erwähnung seiner Mutter, es ist ungewohnt, ihren Namen aus seinem Mund zu hören. Aber wie soll er sie sonst nennen? Die Bezeichnung Mutter wäre sicherlich fehl am Platz. Dann konzentriert sie sich erneut auf seine Ausführungen: „Danach ist er verschwunden. Sein Vater ist, wie gesagt, reich, er ist irgendein Banker und hat viele Kontakte. Vermutlich hat er ihn wieder aus dem Osten geholt und jetzt sitzt Koch irgendwo unter falschem Namen. Vielleicht ist Koch aber auch in den Nahen Osten, um da so richtig Revolution zu machen.“ Alena trinkt erneut einen Schluck Tee und verzieht das Gesicht. Nun ist er nicht nur bitter, sondern auch lauwarm. „Burg ist nach der Entlassung ebenfalls verschwunden. Ich glaube, er hat kurz in Hamburg gewohnt, aber dort ist er nicht mehr.“ – „Woher weißt Du das alles,“ fragt Alena stirnrunzelnd. Ihre bösen Erwartungen werden bestätigt. „Ich habe mir einfach überlegt, wo Burg und Dahlem nach der Entlassung hin ziehen könnten. Dann habe ich ein paar Meldeämter angerufen und mich als Sachbearbeiter der Arbeitsgemeinschaft Sozialhilfe ausgegeben. In den meisten Fällen wollte man mir nur auf schriftliche Anfrage Auskunft geben, aber wenn man ein bisschen nett quatscht und über die viele Arbeit und die Hartz-IV-Empfänger stöhnt, dann klappt es oft doch. Auf diese Weise habe ich z.B. erfahren, dass Brigitte Dahlem Stütze erhält, dass sie in Köln gemeldet war, bevor sie nach Weißbach gezogen ist, und dass Burg in Hamburg gemeldet ist, aber die Wohnung leer steht,“ erzählt Kaspar leichtfertig. Alena seufzt. „Ich hätte besser nicht fragen sollen.“ Er lacht. „Das ist doch alles halb so wild. Ich nutze diese Informationen schließlich nur für Privatzwecke.“ – „Du wusstest auch, wo Schwarz wohnt,“ rutscht es Alena heraus. „Klar,“ kommt es prompt von Kaspar. Dann kurze Stille in der Leitung. „Aber nicht, weil ich nachgeforscht habe, sondern weil er in und wieder in der Zeitung stand.“ Alena bereut ihre Frage bereits. Kaspar hat nichts mit Schwarz´ Tod zu tun, sagt sie sich wiederholt. Gleichzeitig geht ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie sich anscheinend doch immer wieder davon überzeugen muss. Weil sie es insgeheim doch glaubt? „Gut,“ sagt sie jetzt. „Kann ich sie anrufen? Die Kripo-Beamtin?“ Kaspar zögert, angesichts des kurzfristigen Themenwechsels. Dann murmelt er: „OK. Aber sei vorsichtig. Wie das auch immer aussehen könnte.“

Donnerstag, 16. November 2006

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29: Spuren

Ein Bericht von der IT liegt am nächsten Morgen auf Pias Schreibtisch. Sie hat die Nacht über kaum geschlafen und die dunklen Schatten unter ihren Augen heute morgen notdürftig mit Concealer verdeckt. Müde lässt sie sich auf ihren gepolsterten Drehsessel fallen und zieht die rote Mappe zu sich heran. In der Nacht sind die Briefe mit dem RAF-Emblem durch ihren Kopf gespukt, zusammen mit dem alten Polizisten Schwarz, allein in seiner Wohnung sitzend, die Drohungen immer wieder lesend, bis er sie auswendig konnte. Wenn er laut Oberdorf keine Angst vor der Vergangenheit gehabt hatte, wozu hatte Schwarz sich dann das Sicherheitsschloss einbauen lassen? Gut, das war zwei Jahre her, länger als die Briefe, die erst seit Oktober des letzten Jahres in Schwarz´ vermutlich sonst so leeren Briefkasten gelegen hatten. Aber das Sicherheitsschloss war für Pia trotzdem ein Zeichen für seine Beunruhigung. Oder für Paranoia, was bei Ex-Polizisten meist nahe bei einander liegt. Lustlos schlägt sie den Karton auf und wird plötzlich aufmerksam. Der Bericht über den PC, der aus Schwarz Wohnung abgeholt und untersucht worden ist. Ihre erste Regung ist ein Griff in Richtung Telefonhörer, um sich über die viel zu lange Bearbeitungszeit zu beschweren. Aber ihre Tendenz sich unbeliebt zu machen wird von ihrer beruflichen Neugierde kurzzeitig verdrängt und sie beginnt zu lesen. Aktive Dateien, die Schreiben an die private Krankenversicherung und Ähnliches enthalten, eine Excel-Tabelle mit den monatlichen Ausgaben, die einen spartanischen Lebensstil verrät, gelöschte und überschriebene Dateien, die nicht mehr rekonstruiert werden können, gelöschte Dateien, die rekonstruiert werden können. Darunter eine Datei mit dem Namen „Harald.doc“. Pia erinnert sich an eine entsprechende Notiz auf den Blättern aus dem Schließfach. Vielleicht die Ergebnisse aus der Kontaktaufnahme zu Harald. Sie schreibt „Harald suchen“ auf ein kleines Blatt Papier und wirft es auf Riesels Schreibtisch. Der Inhalt der Datei ist auf den ersten Blick kryptisch. Drei Namen oder Bezeichnungen: Kippe, Gitte und Kennedy. Dahinter jeweils Spiegelstriche mit weiteren Informationen. Gitte lässt sich unschwer als Brigitte Dahlem identifizieren. Harald hat ihre aktuelle Adresse in Weißbach geliefert und weitere Angaben: Entlassung am 15. Juli 2004, eine Adresse in Köln, Auszugsdatum 31. Mai 2005. Einzug in die Wohnung in Weißbach am 1. Juni 2006. Ohne Arbeit. Lebensunterhalt bestritten durch Hartz IV. Hinter dem Spitznamen „Kippe“ befindet sich nur ein Spiegelstrich: Freiburg. Hinter Kennedy ebenfalls nur ein Spiegelstrich: Altenburg? Pia spürt ein leichtes Kribbeln in ihrem Nacken. Kippe und Kennedy könnten für Burg und Koch stehen. Wer ist wer? Und wer von beiden befindet sich in Altenburg? Kurzentschlossen wählt sie Alenas Nummer, nur vage bewusst, dass es erst 8 Uhr morgens ist. Doch bereits nach zweimaligem Klingeln hört sie Alenas Stimme durch den Hörer. Pia meldet sich, aber bevor sie etwas sagen kann, beginnt Alena von dem gestrigen Gespräch mit Brigitte Dahlem zu erzählen. „Es war nicht gerade informativ, oder, aber immerhin ein Anfang. Sie hat zugesagt, uns noch einmal zu treffen,“ endet ihr kurzer Bericht. „Wann ist das nächste Treffen,“ fragt Pia ungeduldig. „Ich habe eine dringende Frage.“ Nach einer kurzen Pause erklärt Alena unsicher: „Ich weiß es nicht. Ich muss mit meinem Bekannten sprechen. Und es sieht sicher komisch aus, wenn wir sie für morgen schon wieder bestellen.“ Pia flucht durch den Hörer und Alena erkundigt sich vorsichtig: „Worum geht es denn?“ Nach einem tiefen Einatmen erklärt Pia: „Ich muss wissen, wer sich hinter den Kurznamen „Kippe“ und „Kennedy“ verbirgt. Vielleicht waren das gängige Spitznamen. Ich vermute, dass es sich dabei um Burg und um Koch handelt, aber ich muss wissen, wer wer ist.“ Bevor Alena antworten kann, fährt sie fort: „Und versuchen Sie herauszubekommen, ob die Dahlem mit Schwarz gesprochen hat. Er wusste, wo sie wohnt. Und ob sie mit Burg oder Koch Kontakt hatte oder hat.“ Pause. „Ich versuche es. Aber sie ist nicht gerade mitteilsam. Eher sehr vorsichtig. Und ich glaube, sie mag mich nicht.“ Pia kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich hatte mir schon gedacht, dass Sie beide nicht die besten Freundinnen werden. Aber geben Sie sich um Himmels Willen Mühe. Versuchen Sie, am Ball zu bleiben. Es ist mir lieber, wenn Sie bei den Gesprächen anwesend sind und mir die Informationen aus erster Hand liefern können. Ihren Historikerfreund kenne ich nicht und darum traue ich ihm auch erst mal nicht.“ Pia sieht Alena vor sich, in dem düsteren Wohnzimmer, dessen schwere Vorhänge die Morgensonne ausblocken, und mit den Fingern in den unordentlichen Locken spielend. „Ich tue, was ich kann,“ kommt die Antwort. „Wenn ich einen neuen Termin habe, melde ich mich wieder.“

Mittwoch, 15. November 2006

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28: Schwarz und Rot

Die Bildschirmuhr von Pias Rechner zeigt 20.00. Müde reibt sie sich die Augen und starrt dann erneut auf die Unterlagen, die aus Schwarz´ Schließfach stammen. Zum wiederholten Mal hat sie die Notizen durchgeblättert, immer auf der Suche nach Anhaltspunkten auf den Briefeschreiber und Mörder. Sie stoppt den Gedanken. Handelt es sich dabei wirklich um eine Person? Pia massiert ihre Schläfe. Wenn der Schreiber auch der Mörder war, warum hat er Schwarz dann plötzlich an diesem Freitag Abend ermordet, nachdem er sich monatelang damit begnügte, ihn lediglich mit Briefen in den Wahnsinn zu treiben? Ist Schwarz ihm auf die Spur gekommen und hat ihm gedroht, ihn der Polizei auszuliefern? Deutlich wird aus den handbeschriebenen Blättern, dass Schwarz die Spur des Schreibers verfolgte, aber Pia findet keinen Hinweis darauf, dass er tatsächlich den Aufenthaltsort von Dahlem, Burg und Koch herausgefunden hatte. Hat sie etwas übersehen? Als die Buchstaben vor ihren Augen verschwimmen, schließt sie ihre Lider, aber in ihrem Kopf arbeitet es weiter. Hätte Schwarz den Schreiber wirklich den Kollegen ausgeliefert? Wenn er das vorgehabt hätte, warum hat er sich nicht bereits früher an die Kollegen gewandt? Warum hat er ganz allein die Ermittlungen aufgenommen? Mit Hilfe der früheren Kontakten wäre es ein leichtes gewesen, die Informationen zu beschaffen, die er brauchte, um Dahlem und Co. zu finden. Pia schlägt mit der flachen Hand auf den Schreibtisch und öffnet die Augen. „Du hattest etwas zu verbergen, stimmt´s? Es ging Dir nicht darum, den einsamen Wolf zu spielen. Du konntest niemanden um Hilfe bitten,“ murmelt sie mit zusammengebissenen Zähnen. Abrupt steht sie auf und läuft aus dem Zimmer. An Oberdorfs Tür bleibt sie stehen und klopft kurz. Die Vorzimmersekretärin ist bereits nach Hause gegangen. Auf das überraschte „Herein.“ öffnet sie die Tür, geht mit langen Schritten in den Raum und lässt sich in den Besuchersessel fallen. „Kennen Sie den Grund, aus dem Schwarz sich entschieden hat, die alten Kollegen nicht über die Briefe zu informieren?“ Oberdorf sieht sie an und richtet sich dann langsam auf. „Sie glauben, dass Schwarz einen bestimmten Grund hatte? Ich vermute eher, dass er es noch einmal wissen wollte. Er wollte auf eigene Faust den Absender ermitteln und dann den Kollegen auf dem Silbertablett präsentieren.“ Er zuckt müde mit den Schultern. „Vermutlich hat er sich zu keiner Zeit wirklich bedroht gefühlt. Es war vielleicht so etwas wie eine Freizeitbeschäftigung. Er hat den aktiven Dienst vermisst.“ Oberdorf seufzt. Pia hat sich seine Erläuterungen stirnrunzelnd angehört und ihr vehementes Kopfschütteln zeigt ihm deutlich, dass sie nicht überzeugt ist. „Er soll sich nicht bedroht gefühlt haben? Er hat sein halbes Leben lang Terroristen verfolgt und wusste wie gefährlich sie werden konnten. Er kannte die Mentalität der RAF-Mitglieder. Von einem Polizisten mit seiner Erfahrung würde ich eher erwarten, dass er die Sache ernst genommen hat und dass ihm daran gelegen war, den Schreiber so bald als möglich zu finden. Das wäre aber nur mit Hilfe der Informationsbeschaffung durch die Kollegen möglich gewesen. Ein Blick in die hiesigen Meldedaten, und er hätte zumindest schon mal Brigitte Dahlem gefunden.“ Oberdorf schließt kurz die Augen. „Ich bin mir sicher, das er Dahlem auch ohne die Hilfe der hiesigen Kollegen sehr schnell gefunden hat. Sie ist gemeldet. Er hat wahrscheinlich einen seiner alten Kontakte beim BKA angerufen.“ Die kleinen runden Augen öffnen sich. „Haben Sie die Dahlem gefragt, ob Schwarz sich bei ihr gemeldet hat?“ Pia beißt sich auf die Lippen. „Sie hat sich geweigert, überhaupt mit uns über den Fall zu reden. Ich bin nicht mehr dazu gekommen.“ Sie macht eine kurze Pause. „Ich versuche jetzt, auf andere Art und Weise an die Informationen zu kommen.“ Schwarz sieht sie prüfend an, fragt aber nicht weiter. Das Abkommen zwischen ihnen funktioniert. „Aber ich glaube trotzdem, dass da noch etwas anderes ist. Er wollte die Kollegen nicht einschalten. Es ging ihm dabei nicht um Ehre oder Ehrgeiz, sondern um irgendetwas anderes.“ Ihre Augen werden schmal. „Wenn ich weiter ermittle, dann werde ich eine Antwort auf diese Frage finden, das ist Ihnen doch klar, oder? Und vielleicht wird Ihnen diese Antwort nicht unbedingt gefallen.“ Mit einem Kopfschütteln wehrt Oberdorf die Frage an. „Finden Sie den Mörder von Schwarz. Alles andere sehen wir dann.“

Dienstag, 14. November 2006

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27: Gesprächsende - Ende des Gesprächs?

Brigitte Dahlem sieht ihn einen Moment regungslos an und zuckt dann mit den Schultern. „So war das jedenfalls. Keine große Sache. Man kommt mehr oder weniger zufällig zusammen, stellt fest, dass die Chemie stimmt und dann plant man ein Projekt.“ – „Wer war der Chef des Kommandos,“ fragt Alena und wird mit einem verächtlichen Blick bedacht. „Bei uns gibt es keine Hierarchie. Wer mitmacht, entscheidet mit.“ Alena lehnt sich interessiert nach vorn. „Sie reden im Präsens, aber ich dachte, dass es 1998 eine schriftliche Auflösungserklärung gegeben hat.“ Sie stützt sich mit den Ellenbogen auf den Tisch. „Gibt es die RAF noch?“ Jetzt werden kleine Wutfalten auf Dahlems Stirn sichtbar. Sie wendet sich wieder Kaspar zu. „Was soll das eigentlich? Schreibt sie wirklich an dem Buch mit, oder hat sie ganz andere Pläne?“ Kaspar wirft Alena einen undefinierbaren Blick zu. „Jetzt lass mal gut sein.“ Dann in Richtung Brigitte: „Sie ist immer so. Kritisch und bohrend. Das ist gut für das Buch, aber für die Mitwirkenden manchmal etwas anstrengend.“ Er bringt ein jungenhaftes Grinsen zustande. „Nerve ich Sie mit meinen Fragen,“ wirft Alena jetzt unschuldig ein. Sie weiß, dass sie den Bogen überspannt hat. „Tut mir leid. Ich halte mich zurück.“ Sie lächelt nicht und senkt die Augen auf ihre Notizen. Einen Moment lang spürt sie den Blick der Frau auf sich, dann entspannt sich die Situation wieder. „Wollen Sie sonst noch etwas wissen? Sonst reicht es mir nämlich für das erste Treffen.“ Kaspar nickt schnell. „Kein Problem. Darf ich Sie für das nächste Treffen anrufen?“ Brigitte Dahlem schiebt ihren Stuhl zurück und steht auf. „Ok,“ sagt sie und verlässt das Cafe ohne ein weiteres Wort.

Ein paar Minuten sitzen sich Alena und Kaspar wortlos gegenüber. Dann atmet Kaspar hörbar aus. „Komplizierte Situation.“ Er lehnt sich nach vorne. „Und du machst die Sache nicht gerade einfacher. Ich glaube es wäre besser, wenn Du mich demnächst reden lässt.“ Alena starrt an ihm vorbei auf die Gestalt von Brigitte Dahlem, die sich mit schnellen Schritten entfernt. „Du führst das Gespräch und ich werfe hin und wieder meine Fragen ein. Einverstanden?“ Kaspar richtet sich auf. „Es hat keinen Sinn sie zu vergraulen. Wenn sie sich bedrängt fühlt, bricht sie das Gespräch einfach ab und lehnt jedes weitere Treffen an. Sie ist immer am Zug.“ Langsam schüttelt Alena den Kopf. „Das würde ich nicht so sehen.“ Jetzt richtet sie ihren Blick direkt auf Kaspar. „Warum glaubst du, macht sie das hier? Doch nicht, um uns einen Gefallen zu tun.“ Sie fixiert ihn. „Wie du schon bei dem ersten Telefonat angedeutet hast, wir bieten ihr auch etwas, nämlich die Gelegenheit gehört zu werden.“ Alena schließt ihre Augen, sie spürt, dass sie müde wird. Es wird Zeit, dass sie wieder in die wohltuende Einsamkeit ihrer Wohnung zurückkehrt. „Sie ist seit einem Jahr aus dem Gefängnis und alles ist anders. Keine Gruppe, in deren Schoß sie zurück kann. Die RAF hat sich aufgelöst und die alten Mitstreiter sind tot oder verschollen oder weit weg. Brigitte Dahlem ist isoliert. Und sie ist allein mit ihren Gedanken. Sie fragt sich, ob es das wirklich wert war, ob das alles Sinn gemacht hat. Wo alles hin ist. Ob sich alles in Luft aufgelöst hat.“ Ohne die Augen zu öffnen murmelt sie weiter: „Wenn sie mit uns redet, hat sie das Gefühl, dass etwas davon geblieben ist, dass es noch irgendwie real ist.“ Das Stimmengewirr der vielen Menschen um sie herum erscheint ihr immer lauter; es dringt immer weiter in ihr Bewusstsein ein und stört den Gedankenfluss in ihrem Kopf. Sie öffnet die Augen einen winzigen Spalt wie jemand, der unter starker Migräne leidet. „Ich muss jetzt nach hause.“ Kaspar springt auf, er kennt diesen Zustand. „Ich bringe dich nach hause.“ Brüsk wehrt Alena ab, ihre soziale Toleranzgrenze ist überschritten. „Ich gehe lieber allein.“

Samstag, 4. November 2006

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26: Spurensuche

Pia sitzt im Büro und denkt nach, als Riesel von seinem Ausflug zurückkehrt. „Wagenbach war nicht zu hause,“ teilt er mit. „Die Nachbarn sagen, er sei ein sehr ruhiger Typ, verlässt kaum die Wohnung. Sie glauben, dass er beruflich irgendwas mit dem Computer macht, aber keiner weiß etwas genaues, da er nicht mit seinen Nachbarn redet.“ Er setzt sich und beginnt, seinen Bericht zu schreiben, während er Pia weiter informiert. „Er scheint allein zu wohnen, auf dem Klingelschild steht nur sein Name und die Nachbarn sind alle der Meinung, dass er keine Freundin hat.“ Er grinst. „Es ist die Hölle, in einem Mietshaus mit lauter alten Tanten zu wohnen.“ Er unterbricht sein Getipse auf der Tastatur. „Seine direkte Nachbarin hat wohl schon mal eine Braunhaarige vor seiner Tür gesehen, aber die kommt laut ihrer Aussage nur sehr selten, zu selten für eine feste Freundin.“ – „Versuchen Sie es einfach später noch mal“, erwidert Pia zerstreut. „Vielleicht ist er auf der Arbeit.“ Dann tippt sie mit einem Bleistift auf die Schreibtischunterlage. „Haben Sie schon mal die Verwandten von diesem Koch gesucht?“ Riesels Kopf schnellt in ihre Richtung. „Sicher. Sein Vater ist ein hohes Tier, Banker. Hermann Koch wohnt und arbeitet in Frankfurt. Nachdem Robert Koch aus der DDR verschwunden ist, hat man vermutet, dass sein Vater ihm geholfen hat, aber es ist ihm nie etwas nachgewiesen worden. Papa Koch ist von Schwarz´ Männern rund um die Uhr beschattet worden. Wenn da was gelaufen ist, dann wahrscheinlich über andere Kanäle, ohne dass Papa sich die Hände schmutzig gemacht hat.“ Pia zieht ihre Stirn in Denkerfalten. „Wer hat denn damals die Beschattungen durchgeführt? Gibt es irgendwelche Protokolle oder Berichte?“ Riesel zuckt mit den Schultern. „Bestimmt. Wenn Sie möchten, versuche ich die Teile zu bekommen.“ Zufrieden registriert er das Nicken von Pia und wendet sich wieder seinem Bildschirm zu.

„Wie haben Sie die anderen kennen gelernt? Burg, Koch und Wagenbach,“ mischt sich Alena ein. Sie hat keine Lust mehr, stumm neben den beiden im Cafe zu sitzen. Brigitte Dahlem wirft ihr einen kurzen Blick zu. Es ist offensichtlich, dass Alenas Anwesenheit ihr nicht passt, aber sie entschließt sich dennoch, auf die Frage zu antworten. „Hajo war Anfang der Siebziger Pfleger in Heidelberg. Er ist dort mit Huber in Kontakt gekommen, der das SPK gegründet hat.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Irgendwann kam er nach Frankfurt, hat mit irgendwem Kontakt aufgenommen und ist so zu uns gestoßen.“ Alena macht eine mentale Notiz, um Kaspar später nach der Abkürzung SPK zu fragen, aber Kaspar kommt ihr zuvor. „Er war Mitglied beim Sozialistischen Patientenkollektiv?“ Dahlem nickt desinteressiert. „Ja, er war in einem von diesen Arbeitskreisen. Zum inneren Kreis, zu den Führungskadern, hat er nicht gehört.“ Sie sieht Alena jetzt direkt in die Augen. „In dem Arbeitskreis hat er gelernt, mit Sprengstoff umzugehen. Das war ziemlich praktisch.“ Unbeeindruckt fragt Alena weiter: „Und was war mit Koch?“ Brigitte Dahlem trinkt einen Schluck Wasser. „Koch hat in Frankfurt gewohnt, sein Vater war ein echter Bonze, so ein Bankerschwein. Bob hatte die Schnauze voll von dem ganzen Materialistenscheiß und darum ist er zu uns gekommen. Er hatte viele Freunde in Frankfurt und ist immer wieder an Knete gekommen. Bevor sein Vater die Konten gesperrt hat, haben wir da ziemlich abgeräumt.“ – „Koch war also eine Art Geldkassette,“ bemerkt Alena und Brigitte Dahlem widerspricht nicht. Kaspar meldet sich. „Bestand der Plan, mit Kochs Kontakten ähnlich zu verfahren, wie mit Susanne Albrecht?“ Alena erinnert sich, dass Susanne Albrecht den Zugang zu Jürgen Ponto ermöglicht hatte, der mit ihren Eltern gut befreundet war. Der Chef der Dresdner Bank wurde im Frühjahr 1977 bei einem missglückten Entführungsversuch erschossen. Brigitte Dahlem fixiert Kaspar misstrauisch. „Wieso wollen Sie das wissen? Ist doch jetzt egal, oder?“ Kaspar zuckt mit den Schultern. „War nur so ein Gedanke. Liegt ja nahe, oder?“ Dahlem antwortet nicht. „Und schließlich Wagenbach,“ fragt Alena weiter und registriert bewundernd, dass Kaspar äußerlich völlig locker bleibt. Sie hat mittlerweile die Ahnung, dass er ihr Beisein bei diesem Gespräch nicht mehr ganz so lästig findet; für sie ist es sehr viel einfacher, Brigitte Dahlem auf seine Mutter anzusprechen. „Wagenbach war Hoffmanns Freundin,“ erklärt Brigitte Dahlem ausweichend. Sie sieht Kaspar nicht an und auch Kaspar konzentriert sich auf einen Tisch in ihrer Nähe. „Wo kamen Hoffmann und Wagenbach her,“ bohrt Alena unerschütterlich. Eine wegwerfende Handbewegung seitens Brigitte Dahlem. „Aus Berlin. Sie haben da in einer WG zusammen gewohnt.“ Nun heftet sie ihren Blick auf Kaspar. „Aber das wissen Sie doch wahrscheinlich genauso gut wie ich.“ Kaspar schüttelt leicht den Kopf. Sein Gesichtsausdruck ist unergründlich. „Ich habe keine Ahnung. Die ersten Jahre meines Lebens habe ich anscheinend in einem Kinderladen in Berlin verbracht und später bin ich in ein Heim gekommen. Wie sie ihre Zeit verbracht hat, bevor sie nach Frankfurt gegangen ist und zur RAF stieß, entzieht sich meiner Kenntnis.

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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