29: Spuren

Ein Bericht von der IT liegt am nächsten Morgen auf Pias Schreibtisch. Sie hat die Nacht über kaum geschlafen und die dunklen Schatten unter ihren Augen heute morgen notdürftig mit Concealer verdeckt. Müde lässt sie sich auf ihren gepolsterten Drehsessel fallen und zieht die rote Mappe zu sich heran. In der Nacht sind die Briefe mit dem RAF-Emblem durch ihren Kopf gespukt, zusammen mit dem alten Polizisten Schwarz, allein in seiner Wohnung sitzend, die Drohungen immer wieder lesend, bis er sie auswendig konnte. Wenn er laut Oberdorf keine Angst vor der Vergangenheit gehabt hatte, wozu hatte Schwarz sich dann das Sicherheitsschloss einbauen lassen? Gut, das war zwei Jahre her, länger als die Briefe, die erst seit Oktober des letzten Jahres in Schwarz´ vermutlich sonst so leeren Briefkasten gelegen hatten. Aber das Sicherheitsschloss war für Pia trotzdem ein Zeichen für seine Beunruhigung. Oder für Paranoia, was bei Ex-Polizisten meist nahe bei einander liegt. Lustlos schlägt sie den Karton auf und wird plötzlich aufmerksam. Der Bericht über den PC, der aus Schwarz Wohnung abgeholt und untersucht worden ist. Ihre erste Regung ist ein Griff in Richtung Telefonhörer, um sich über die viel zu lange Bearbeitungszeit zu beschweren. Aber ihre Tendenz sich unbeliebt zu machen wird von ihrer beruflichen Neugierde kurzzeitig verdrängt und sie beginnt zu lesen. Aktive Dateien, die Schreiben an die private Krankenversicherung und Ähnliches enthalten, eine Excel-Tabelle mit den monatlichen Ausgaben, die einen spartanischen Lebensstil verrät, gelöschte und überschriebene Dateien, die nicht mehr rekonstruiert werden können, gelöschte Dateien, die rekonstruiert werden können. Darunter eine Datei mit dem Namen „Harald.doc“. Pia erinnert sich an eine entsprechende Notiz auf den Blättern aus dem Schließfach. Vielleicht die Ergebnisse aus der Kontaktaufnahme zu Harald. Sie schreibt „Harald suchen“ auf ein kleines Blatt Papier und wirft es auf Riesels Schreibtisch. Der Inhalt der Datei ist auf den ersten Blick kryptisch. Drei Namen oder Bezeichnungen: Kippe, Gitte und Kennedy. Dahinter jeweils Spiegelstriche mit weiteren Informationen. Gitte lässt sich unschwer als Brigitte Dahlem identifizieren. Harald hat ihre aktuelle Adresse in Weißbach geliefert und weitere Angaben: Entlassung am 15. Juli 2004, eine Adresse in Köln, Auszugsdatum 31. Mai 2005. Einzug in die Wohnung in Weißbach am 1. Juni 2006. Ohne Arbeit. Lebensunterhalt bestritten durch Hartz IV. Hinter dem Spitznamen „Kippe“ befindet sich nur ein Spiegelstrich: Freiburg. Hinter Kennedy ebenfalls nur ein Spiegelstrich: Altenburg? Pia spürt ein leichtes Kribbeln in ihrem Nacken. Kippe und Kennedy könnten für Burg und Koch stehen. Wer ist wer? Und wer von beiden befindet sich in Altenburg? Kurzentschlossen wählt sie Alenas Nummer, nur vage bewusst, dass es erst 8 Uhr morgens ist. Doch bereits nach zweimaligem Klingeln hört sie Alenas Stimme durch den Hörer. Pia meldet sich, aber bevor sie etwas sagen kann, beginnt Alena von dem gestrigen Gespräch mit Brigitte Dahlem zu erzählen. „Es war nicht gerade informativ, oder, aber immerhin ein Anfang. Sie hat zugesagt, uns noch einmal zu treffen,“ endet ihr kurzer Bericht. „Wann ist das nächste Treffen,“ fragt Pia ungeduldig. „Ich habe eine dringende Frage.“ Nach einer kurzen Pause erklärt Alena unsicher: „Ich weiß es nicht. Ich muss mit meinem Bekannten sprechen. Und es sieht sicher komisch aus, wenn wir sie für morgen schon wieder bestellen.“ Pia flucht durch den Hörer und Alena erkundigt sich vorsichtig: „Worum geht es denn?“ Nach einem tiefen Einatmen erklärt Pia: „Ich muss wissen, wer sich hinter den Kurznamen „Kippe“ und „Kennedy“ verbirgt. Vielleicht waren das gängige Spitznamen. Ich vermute, dass es sich dabei um Burg und um Koch handelt, aber ich muss wissen, wer wer ist.“ Bevor Alena antworten kann, fährt sie fort: „Und versuchen Sie herauszubekommen, ob die Dahlem mit Schwarz gesprochen hat. Er wusste, wo sie wohnt. Und ob sie mit Burg oder Koch Kontakt hatte oder hat.“ Pause. „Ich versuche es. Aber sie ist nicht gerade mitteilsam. Eher sehr vorsichtig. Und ich glaube, sie mag mich nicht.“ Pia kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich hatte mir schon gedacht, dass Sie beide nicht die besten Freundinnen werden. Aber geben Sie sich um Himmels Willen Mühe. Versuchen Sie, am Ball zu bleiben. Es ist mir lieber, wenn Sie bei den Gesprächen anwesend sind und mir die Informationen aus erster Hand liefern können. Ihren Historikerfreund kenne ich nicht und darum traue ich ihm auch erst mal nicht.“ Pia sieht Alena vor sich, in dem düsteren Wohnzimmer, dessen schwere Vorhänge die Morgensonne ausblocken, und mit den Fingern in den unordentlichen Locken spielend. „Ich tue, was ich kann,“ kommt die Antwort. „Wenn ich einen neuen Termin habe, melde ich mich wieder.“

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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