Montag, 23. Oktober 2006

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Kurzer Hinweis

Bevor ich Kommentare mit entrüsteten Hinweisen bekomme - ja, es gab natürlich ein echtes "Kommando Andreas Baader". Im Juni 1979 verübte das Kommando Andreas Baader (alle damals im Untergrund lebenden RAF-Mitglieder, von Albrecht bis Wagner) einen Mordanschlag auf General Haig, den Oberkommandierenden der NATO-Truppen in Westeuropa. Der Sprengsatz, der unter eine Brücke deponiert war, beschädigte jedoch lediglich die Fahrzeuge, die Insassen kamen mit leichten Verletzungen davon.

Gut, vielleicht hätte mir auch einfach ein originellerer Name für das Kommando einfallen können,....

20: der Anschlag

Abends fragt Pia ihren Mann: „Kennst Du jemanden an der Uni, der Ahnung von Terrorismus hat, speziell RAF? Irgendeinen Historiker?“ Sie sitzen sich am Küchentisch gegenüber und trinken den Espresso nach der Tiefkühlpizza. Christopher fährt mit den Fingern durch die blonden Haare, die an den Schläfen bereits grau werden. „Irgendeinen Historiker? Ich bitte Dich. Bei uns lehren nur Koryphäen.“ Er grinst. „Aber ehrlich gesagt habe ich nicht viel Kontakt zum historischen Seminar. Philosophen kommunizieren mit jedem Wissenschaftler über jedes Fachproblem, aber Historiker sind da eher etwas zugeknöpft. Es bestehen Kontakte zu den Kunstgeschichtlern, und in einem gewissen Maß auch zu den Komparatisten. Aber mit Philosophen wollen sie nichts zu tun haben, zumindest an unserer ehrwürdigen Institution.“ – „Kannst Du denn mal einen Vorstoß wagen? Tu einfach so, als wenn Du wahnsinnig interessiert an der jüngeren deutschen Geschichte wärst,“ schlägt Pia vor. Christopher protestiert empört: „Ich bin interessiert.“ Dann zuckt er mit den Schultern. „Ich kann es ja mal versuchen. Aber ob jemand dabei ist, der sich ausgerechnet auf die RAF spezialisiert hat, wage ich zu bezweifeln. Dafür kann ich aber wahrscheinlich jede Menge Weimar-Experten oder 1.-Weltkriegs-Kenner anbieten.“ Er erntet eine kühle Grimasse und schüttelt bedauernd den Kopf. Dann fragt er neugierig: „Gibt es schon neue Erkenntnisse?“ Pia starrt ihn einen Moment an und entscheidet dann, dass es nichts schaden kann, wenn sie ihm von dem Nachmittag erzählt. „Ich habe heute mit einer waschechten Ex-Terroristin gesprochen.“ Sie runzelt die Stirn. „Gibt es überhaupt Ex-Terroristen, oder hat man diese Ehrenbezeichnung schon dadurch verloren, dass man überlebt hat?“ Christopher beugt sich nach vorn. „Wen hast Du getroffen?“ Pia grinst angesichts seiner offensichtlichen Faszination. „Brigitte Dahlem. Ist Dir der Name ein Begriff?“ Christopher grübelt eine Weile und gibt dann auf. „Nie gehört. Sie hat wohl nicht zur ersten Garde gehört?“ – „Wie man´s nimmt. Sie stammt aus der Zweiten Generation und ist im September 1978 aktiv geworden, nachdem sie bereits einige Zeit im Untergrund verbrachte. Tatsache ist wohl, dass es sich bei dieser Aktion um den mit Abstand dämlichsten Plan gehandelt hat, der einem Kommando der RAF eingefallen ist.“ Pia schnaubt verächtlich. „Dahlem, eine Frau namens Marianne Wagenbach, Hans-Joachim Burg, Peter Hoffmann und Robert Koch wollten unter der Bezeichnung „Kommando Andreas Baader“ die amerikanische Botschaft in Bonn in die Luft sprengen. Dafür wollten sie einen mit TNT beladenen Wagen auf das Botschaftsgelände fahren und den Sprengstoff mit Fernsteuerung zünden. Total hirnrissig, es hätte wahrscheinlich schon deshalb niemals funktioniert, weil der Wagen garantiert nicht durch die Kontrollen gekommen wäre, auch wenn er US-Nummernschilder hatte. Aber es ging schon vorher schief, weil das BKA einen Tipp bekommen hatte und Stunden vor dem Anschlag eine Wohnung am Rande von Bonn stürmte, wo in einer Garage auch den Bomben-Wagen gefunden wurde. Die Menge an Sprengstoff war wohl recht imposant, weshalb man das ganze zu einem Jahrhundert-Anschlag gehyped hat.“ Pia legt den Kopf schief. „Unser toter Polizeihauptkommissar spielte eine wichtige Rolle bei der ganzen Sache. Er war derjenige, der die Wohnung ausfindig gemacht hatte.“ Sie spielt mit der kleinen, weißen Tasse vor ihr. „Es hieß offiziell, dass ein Nachbar sich bei der Polizei gemeldet hatte, weil ihm die Gruppe verdächtig vorkam. Aber schon damals wurde spekuliert, ob Schwarz nicht vielleicht einen Informanten hatte, der ihm den entscheidenden Hinweis gegeben hat.“ Nachdenklich starrt sie auf den Tisch. „Tatsächlich war die Wohnung leer, als die Kollegen dort auftauchten. Genauso wie Schwarz, hatte vielleicht auch das Kommando einen Hinweis auf die Razzia bekommen. Es dauerte danach noch drei Jahre, bis Dahlem, Burg und Hoffmann verhaftet werden konnten. Schwarz hat sich allerdings wie ein Jagdhund an ihre Fährten geheftet und keine Ruhe gegeben, bis er ihnen ihre Rechte vorlesen konnte. Sein Engagement bei der Suche nach den Flüchtigen hat bei den Kollegen jeden Zweifel weggewischt. Nach außen hin ist er von Anfang an als Superbulle dargestellt worden, als Terroristenjäger. Polizisten wie Schwarz waren wichtig um der Öffentlichkeit zu demonstrieren, dass man den Terrorismus im Griff hatte.“

Sonntag, 22. Oktober 2006

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19: die Suche

Sie erntet einen ungehaltenen Blick von Kaspar. „Für Dich mag das ja alles sehr unterhaltsam sein, aber für mich geht es um mehr.“ Er sieht sie eindringlich an. „Seit ich klein bin, habe ich mich gefragt, was genau das war, für das meine Mutter alles aufgegeben hat. Warum sie in den Untergrund gegangen ist, warum sie auf ein Leben mit einer Familie oder einer Karriere verzichtet hat, warum sie mich einfach zurückgelassen hat. Und warum sie sich nie gemeldet hat.“ Alena beobachtet besorgt, wie seine Kiefermuskeln sich verhärten. „Sie hat es noch nicht einmal für notwendig gehalten, einen Abschiedsbrief zu schreiben. Selbst als ihr klar war, dass sie sterben wird und sie mich nie wieder sehen würde, ist ihr nicht in den Sinn gekommen, mir ein paar Zeilen zu hinterlassen.“ In Kaspars Stimme schwingt die ganze Verbitterung, die seit Jahren in ihm wütet. Alena seufzt unhörbar. Sie hat diese oder ähnliche Worte schon so oft gehört, sie hat die unaufhörlichen Versuche beobachtet, mit denen Kaspar sich dem Unerklärlichen annähern wollte, sich schließlich selbst auf die Suche nach Gründen mit ihm eingelassen. Zusammen haben sie die historischen Fakten rekonstruiert, die veröffentlichten Polizeiberichte durchforstet und die Aussagen von ehemaligen RAF-Mitgliedern gelesen. Gemeinsam analysierten sie die Gründe und Rechtfertigungen für den Gang in die Illegalität, für die Entscheidung zu Zerstörung und Mord, immer auf der Suche nach Parallelen zu Kaspars Mutter, immer in der Hoffnung, etwas zu finden, das ein Licht auf Marianne Wagenbachs Handlungen werfen könnte. Kaspar hatte bis 1990 keine Ahnung, ob seine Mutter noch lebte und wo sie sich aufhielt. Erst nach dem Fall der Mauer, als die Spuren der RAF-Mitglieder, die in die DDR geflohen waren, wieder aufgenommen werden konnten, kam heraus, dass auch Marianne Wagenbach unter den Flüchtigen gewesen war, denen die DDR Unterstützung angeboten hatte. Und dass sie sich Anfang Dezember 1989 mit Schlaftabletten umgebracht hatte. Seitdem war Kaspar klar, dass er sie nie mehr würde fragen können, dass er für immer in der Ungewissheit würde leben können, warum sie die RAF ihm vorgezogen hatte. Mit diesem Bewusstsein hatten seine Bemühungen jedoch nicht geendet, sie wurden, im Gegenteil, noch intensiver, noch verbissener. Als Alena ihn Mitte der 90er Jahre in einem der Hörsäle der Altenburger Uni zum ersten Mal sah, war ihr seine Anspannung aufgefallen, die Konzentration, die ihn umgab, und die Zielgerichtetheit, die jede seiner Fragen ausdrückte. Und nachdem sie sich näher kennen gelernt hatte, war sie von seiner Suche fasziniert. Davon, dass er sein ganzes Leben auf die Beantwortung einer Frage ausrichtete. Davon, dass er überhaupt eine Frage hatte, die ihn dermaßen in den Bann zog. Ganz im Gegenteil zu ihr, vor der die Realität wie ein klarer, durchsichtiger See lag, der keine Geheimnisse barg. „Wir müssen Brigitte Dahlem das Buchprojekt präsentieren,“ unterbricht Kaspar ihre Gedanken. „Sie wird wissen wollen, worum es geht. Es reicht nicht, eine pauschale Aufarbeitung der Fakten vorzuschieben, das haben auch schon andere vor mir gemacht. Ich sollte eine These vorzuweisen haben. Irgendwas, das ihr Interesse erweckt, von dem sie sich angesprochen fühlt.“ Alena nickt aufmerksam. „Das ist eine gute Idee.“ Dann sieht sie ihn interessiert an. „Aber vermutlich hast Du schon eine Idee, oder?“ Kaspar beist mit den Schneidezähnen auf seine Lippen.

Eine Stunde später hört Alena ein zufriedenes „Wunderbar“ aus dem Telefonhörer, gefolgt von Pias eher nachdenklicher Frage: „Und Sie gehen mit?“ – „Sicher. Ich trete als seine Assistentin auf. Außerdem bin ich das Verbindungsglied zwischen Ihnen und ihm, Sie werden nur von mir die Berichte erhalten.“ Kurze Pause am anderen Ende der Leitung. „Der Name, den Sie mir genannt haben, ist falsch. Es existiert niemand mit dem Namen Johannes Stein in Altenburg und selbst bei der Häufigkeit dieses Namens habe ich keinen promivierten Historiker namens Johannes Stein gefunden.“ Alena lächelt. „Er hat nicht promoviert. Aber Sie haben recht, der Name ist falsch und ich werde Ihnen seinen richtigen Namen auch nicht nennen. Er will unter keinen Umständen in diesen Fall verwickelt werden. Er wird nicht als Zeuge vor Gericht auftreten. Sein Interesse an Frau Dahlem ist rein wissenschaftlicher Natur.“ Sie wartet kurz und als Pia nicht reagiert, fügt sie hinzu: „Wenn Sie mit den Bedingungen nicht einverstanden sind, dann lassen wir das Ganze.“ Ein vernehmliches Ausatmen ist die Antwort. „Ach, verdammt. Gut, meinetwegen. Solange Sie mir haarklein, in allen Einzelheiten und jedes winzige Detail berichten, was die Dahlem Ihnen erzählt, kann es mir egal sein, wie Ihr Historiker heißt. Ich muss nur plausibel machen, woher ich diese Informationen habe, aber da fällt mir schon etwas ein.“ Pias Tonfall wird etwas liebenswürdiger. „Und vielleicht ergibt sich ja doch noch mal die Gelegenheit, Ihren Historiker kennen zu lernen. Wir sollten irgendwann alle zusammen einen Kaffee trinken gehen.“ Alena lacht. „Ich melde mich nach dem Gespräch bei Ihnen.“

Freitag, 20. Oktober 2006

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18: Verwandte

Zurück im Büro findet Pia Riesel mit verbissenem Gesicht am Rechner. „Ist das Protokoll schon fertig,“ fragt sie kühl und Riesel hebt alarmiert den Kopf in ihre Richtung. „Ich war gerade bei einer Recherche,“ stottert er; dann hellt sich sein Gesicht auf. „Ich haben einen Weg aus der Sackgasse gesucht und vielleicht etwas gefunden. Sie hatten gestern erwähnt, dass ich auch nach Verwandten suchen soll und darauf habe ich mich gerade konzentriert. Burg ist kinderlos, keine Frau. Der Vater ist verstorben und die Mutter sitzt in einem Altenheim in Süddeutschland. Ich habe schon mit dem Heim telefoniert. Maria Burg bekommt nichts mehr mit, Demenz. Laut Aussage von der Leiterin hat sich ihr Sohn noch nie dort gemeldet und sie kann sich nicht daran erinnern, dass Maria Burg jemals Besuch hatte. Brigitte Dahlem ist ebenfalls unverheiratet und hat keine Kinder. Eltern verstorben. Hoffmann scheint ebenfalls keine Kinder zu haben. Die Mutter lebt in der Nähe von Hamburg, ist noch rüstig, aber es ist wohl nicht davon auszugehen, dass sie in ihrem Alter noch den Tod ihres Sohnes rächen möchte. Hoffmann hat einen Bruder, der in Blankenese wohnt, Banker ist und Frau und Kinder hat. Ich kann ihn natürlich anrufen, aber irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass er besonders scharf darauf ist, auch nur an seinen Terroristenbruder erinnert zu werden.“ Riesel grinst und Pia senkt sieht ihn mit übertriebener Erwartung an. „Das ist wirklich unglaublich spannend. Aber Sie erwähnten vor dem Generationenvortrag, dass Sie erfolgreich gewesen seien. Bisher scheinen sich die Sackgassen eher vervielfacht zu haben.“ Riesel nickt eifrig. „Da ist noch Marianne Wagenbach. Sie war nicht verheiratet, aber sie hat einen Sohn, Kaspar Wagenbach. Der Sohn war allerdings fast von Beginn an in Heimen untergebracht. Wahrscheinlich hat er seine Mutter niemals kennen gelernt.“ Er blickt erwartungsvoll in Pias Richtung, die müde mit den Schultern zuckt. „Schön,“ murmelt sie und blättert in der Mordakte auf ihrem Schreibtisch. „Er wohnt in Altenburg,“ ergänzt Riesel triumphierend. Pias Kopf hebt sich langsam. „Gut, wenn es keine besonderen Reisekosten verursacht, können Sie sich den Sprössling ja mal ansehen. Aber jetzt schreiben Sie mir erst mal das Protokoll, ich muss heute noch Bericht erstatten bei Oberdorf.“ Sie schließt ihre Augen und murmelt etwas vor sich hin, aus dem Riesel das Wort „lästig“ herausfiltern kann. Er lächelt, als er sich wieder dem PC zuwendet. Der Gedanke, dass seine ungeliebte Kollegin auch mal unter Druck steht, ist ihm alles andere als unlieb.

„Sie hat eingewilligt,“ erklärt Kaspar fassungslos, den Telefonhörer immer noch in der Hand. Alena rutscht aufgeregt auf der Kante des Sofas herum. „Hab ich doch gesagt! Es war echt überzeugend, als du ihr erklärt hast, dass es diesmal nicht um deine Mutter geht, dass Du damals in einer sehr emotionalen Phase warst, heute aber erkannt hast, dass Dich Erkenntnisse über Deine Mutter persönlich nicht weiterbringen, sondern dass Du Deinen eigenen Weg gehen musst.“ Kaspar wird rot. „Habe ich das wirklich gesagt,“ murmelt er und Alena grinst. „So etwas ähnliches jedenfalls. Aber es ist gut rübergekommen, dass der Stein des Anstoßes, nämlich Deine Mutter, zu einem rein wissenschaftlichen Interesse mit der RAF geführt hat.“ Sie steht auf und kniet sich vor Kaspars Sessel. „Das Treffen ist morgen Mittag?“ Als Kaspar langsam nickt, steht sie auf. „Gut, ich bin dabei.“ Kaspars Kopf fliegt in ihre Richtung. „Davon war nie die Rede. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Du hast nichts mit der Angelegenheit zu tun und es macht sie garantiert nur misstrauisch, wenn Du mitkommst.“ Auf Alenas Gesicht macht sich gut gespielte Überraschung breit. „Aber Du hast mich doch um meine Hilfe gebeten. Und ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt.“ Sie entscheidet sich, ihrem Gesichtsausdruck einen Anflug von Verletztheit zuzufügen. „Ich dachte Du möchtest, dass ich Dir auch weiterhin beistehe. Ich dachte es wäre einfacher für Dich, wenn ich bei dem Gespräch dabei bin.“ Jetzt eine Prise Entschlossenheit. „Zu Zweit können wir viel mehr von ihr erfahren. Du könntest mich als Deine Assistentin vorstellen, das macht gleich einen viel professionelleren Eindruck. Ich übernehme auch die Gesprächsnotizen, weil sie garantiert nicht möchte, dass wir das Gespräch aufnehmen.“ Kaspar starrt sie einen Moment an und verdreht dann die Augen. „Die Show hättest Du Dir sparen können. Ich bin Dir genauso wichtig, wie das Sofa da.“ Er runzelt die Stirn. „Als Du Deine Polizistenfreundin kontaktiert hast, hattest Du bestimmt nicht ausschließlich den Herzenswunsch, mir zu helfen. Der Grund war wohl eher,“ er stoppt und sieht sie an. „Ja, aus welchem Grund hast Du es eigentlich getan?“ Alena seufzt und lässt sich zurück auf das ausgesessene Sofa fallen. „Doch, ich wollte Dir helfen. Du hattest einen so verzweifelten Eindruck am Telefon gemacht.“ Sie lächelt. „Ich weiß, Du traust mir so viel Empathie nicht zu. Aber es war tatsächlich einer der Gründe. Der andere Grund ist natürlich, dass das alles total spannend ist. Ich bin einfach neugierig.“ Jetzt beginnen ihre Augen zu funkeln. „Der Mord in Verbindung mit einer alten Terrororganisation. Und dazu Du und Deine Mutter. Klar interessiert mich das.“ Nachlässig streicht sie sich eine Locke aus der Stirn. „Außerdem habe ich momentan nichts anderes zu tun. Die Sache könnte ein netter Pausenfüller werden.“

Dienstag, 17. Oktober 2006

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17: der Anruf

Kaspar sieht Alena an. Dann murmelt er: „Deine Freundin ist noch verrückter als Du.“ Alena spürt seine verhaltene Aufregung, aber sie zuckt nur mit den Schultern. „Sie ist nicht meine Freundin.“ Kaspar steht auf und beginnt, im Zimmer herumzulaufen. „Was genau will sie von mir? Du hast ihr erzählt, ich wäre Historiker?“ Alena nickt ruhig. „Du bist Historiker. Du hast einen Magisterabschluss. Also habe ich nicht gelogen. Und irgendwie willst Du doch schon lange ein Buch über die RAF schreiben, oder? Jedenfalls wäre das die einzige akzeptable Konsequenz aus Deiner jahrelangen und verbohrten Beschäftigung mit diesem Thema.“ Sie sitzt auf Kaspars alten grünen Cordsofa in dem kaum benutzten Wohnzimmer. Vor dem Sofa steht ein unglaublich hässlicher niedriger Tisch mit beigen Kacheln, auf dem sie jetzt den Keramikbecher abstellt. Sie zieht den Teebeutel heraus und hält ihn Kaspar hin, der ihn wortlos annimmt und in die winzige Küche bringt. „Kann ich Zucker haben,“ ruft sie ihm hinterher und er bringt einen Süßstoffspender aus Plastik mit. „Hast Du ihr meinen Namen gesagt?“ Alena zieht zweifelnd zu, wie sich die Süßstofftabletten zischend im heißen Tee auflösen. „Ich habe gesagt, dass Du Johannes Stein heißt. Ein anderer Name ist mir auf die Stelle nicht eingefallen.“ Kaspar lässt sich zurück in den abgenutzten braunen Ohrensessel fallen. „Toll. Sie wird diesen Namen überprüfen und herausfinden, dass niemand mit diesem Namen jemals Geschichte studiert hat. Vielleicht wohnt auch gar kein Johannes Stein in Altenburg. Was weiß ich.“ Er steht auf um erneut seine nervöse Wanderung aufzunehmen. „Kannst Du nicht mal für eine Sekunde ruhig bleiben,“ sagt Alena genervt und bereut für einen Moment zutiefst, sich auf die ganze Geschichte eingelassen zu haben. Aber Pias Vorschlag klang einfach zu gut. Und sie selbst hat die Informationen bekommen, die sie wollte. Noch im Nachhinein entzückt sie der Gedanke, dass es tatsächlich einen Mord gegeben hat und ehemalige Mitglieder der RAF in Verdacht stehen. Sie spürt wieder das aufgeregte Kribbeln im Magen und versucht das nervöse Grinsen zu verbergen, das in ihr aufsteigt. „Es ist ihr wahrscheinlich vollkommen egal wer Du tatsächlich bist. Sie ist sehr pragmatisch. Sie muss an Brigitte Dahlem herankommen und hat bereits realisiert, dass ihr das nicht gelingt. Brigitte Dahlem redet nicht mit Polizisten. Du bist kein Polizist, also redet sie vielleicht mit Dir.“ Alena setzt sich gerade hin. „Überleg doch mal. Du hast die Möglichkeit von Brigitte Dahlem Informationen aus allererster Hand zu bekommen. Gerade hast du noch gedacht, dass Du in einer Sackgasse steckst, und jetzt eröffnet sich ein ganz neuer Weg für Dich, ein Weg, der versprechender ist, als alles, was Du bisher versucht hast.“ Kaspar bleibt mitten im Raum stehen. Ohne sich zu Alena umzudrehen sagt er: „Das ist kein neuer Weg. Ich habe schon versucht sie zu kontaktieren. Sie und Burg. Als sie beide noch im Gefängnis waren. Ich haben ihnen einen Brief geschickt und sie um ein Gespräch gebeten.“ Alena sieht die Anspannung in seinen Schultern. „Sie haben beide abgelehnt. Sie wollten nicht mit mir reden.“ Alena runzelt die Stirn. „Hast Du ihnen gesagt, wer Du bist?“ Kaspar nickt und kehrt dann zum Ohrensessel zurück. „Das war wohl auch der Grund, warum sie mich nicht treffen wollten.“ Verständnislos schüttelt Alena ihre Locken. „Haben sie die Ablehnung begründet?“ Mit vornüber gebeugtem Oberkörper stützt sich Kaspar mit den Ellenbogen auf seinen Knien auf. „Sie haben mir nur mitgeteilt, dass sie mir nichts zu sagen haben. Und wenn ich jetzt wieder um ein Treffen bitte, bekomme ich garantiert eine neue Abfuhr. Brigitte Dahlem wird weder vergessen haben wer ich bin, noch dass ich bereits versucht habe, sie zu kontaktieren.“ – „Shit,“ murmelt Alena. Das passt nicht in den Plan. In Pias Plan. Aber sie selbst ist ebenfalls enttäuscht. Mittlerweile brennt sie darauf, mehr über die ganze Angelegenheit zu erfahren. Aber das geht nur über Kaspar. „Egal,“ sagt sie dann entschlossen. „Du rufst sie an und erzählst von dem Buch, das du schreiben möchtest. Sag ihr explizit, dass du diesmal einen anderen Beweggrund hast, dass du mit dem anderen Thema abgeschlossen hast. Und dann sehen wir ja, wie sie reagiert.“ Sie sieht Kaspar erwartungsvoll an. „Was hast du zu verlieren? Wenn sie nein sagt, klappt es eben nicht. Aber vielleicht sagt sie ja zu.“ Kaspar starrt auf den schwarzen Bildschirm des Fernsehers. „Hast Du ihre Telefonnummer?“ Nervös kramt Alena in ihrer schwarzen Ledertasche und reicht ihm einen ausgerissenen Zettel aus einem Notizbuch. Kaspar betrachtet das Stück Papier einen Moment, als könnte es seine Fragen beantworten. Dann greift er nach dem Handy, das auf dem Couchtisch liegt und tippt die Nummer ein. Atemlos beobachtet Alena, wie Kaspar angespannt einen Punkt im Raum fixiert, den nur er allein sehen kann. Dann richtet er sich auf und beginnt zu sprechen. „Brigitte Dahlem? Guten Tag. Mein Name ist Kaspar Wagenbach. Ich kontaktiere Sie wegen eines wissenschaftlichen Buchprojekts.“ Er zögert kurz und erklärt dann mit fester Stimme: „Wie Sie bereits wissen, bin ich Marianne Wagenbachs Sohn.“

Montag, 16. Oktober 2006

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16: genial aber illegal

Sie beobachtet Alena, die sich ihre Antwort einen Moment überlegt. „Er war schon ein wenig bekannt, oder? Ein Bekannter von mir ist Historiker und er meinte, Schwarz hätte eine gewisse Rolle bei den Ermittlungen gegen die Rote Armee Fraktion gespielt.“ Pia reißt erstaunt die Augen auf. „Tatsächlich?“ Stirnrunzeln. „So bekannt war er nun auch wieder nicht. Er war nicht gerade Horst Herold, oder?“ Alena trinkt vorsichtig einen Schluck Tee. „Mein Bekannter ist spezialisiert auf deutschen Terrorismus und er kennt eigentlich fast jeden, der involviert war.“ Sie blickt von ihrem Tee auf. „Danach habe ich mich natürlich gefragt, wie Schwarz gestorben ist.“ Sie lächelt entschuldigend. „Sie finden meine Neugierde bestimmt unpassend, schließlich geht mich dieser Mensch überhaupt nichts an.“ Sie zuckt mit den Schultern und erklärt mit entwaffnender Offenheit: „Ich würde es nur einfach gerne wissen. War es ein Racheakt der RAF?“ Pia schüttelt gereizt mit dem Kopf. „Du lieber Himmel, setzen Sie keine Gerüchte in die Welt. Die Zeitungen würden sich darauf stürzen.“ Sie blickt Alena direkt in die Augen. „Ich darf mit Ihnen nicht darüber sprechen. Aber halten Sie Ihre Phantasie im Zaum. Schwarz war Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität, da verrate ich keine Geheimnisse. Sie könnten also viel eher darauf spekulieren, dass die Tat aus im Milieu angesiedelt ist.“ Alenas Augen blitzen triumphierend auf. „Also war es doch Mord! Es stand ja nichts in der Zeitung, aber ich dachte mir schon, dass er keines natürlichen Todes gestorben ist. Sonst hätte es der Artikel sicher erwähnt.“ Pia starrt Alena fassungslos an. Sie hat sich tatsächlich übertölpeln lassen. Sie atmet einmal tief ein und wieder aus. Dann kommt ihr plötzlich eine Idee, die sie für einen Moment sprachlos werden lässt. Sie lehnt sich zurück und sieht Alena prüfend an. Soll sie es wagen? Alena wird unter ihrem Blick unsicher und erklärt schnell: „Ich wollte Sie nicht überrumpeln, es tut mir leid.“ – „Ihr Bekannter ist Historiker und er ist auf die RAF spezialisiert,“ unterbricht Pia sie. Alena verschluckt was sie gerade sagen möchte und nickt dann unsicher. Pia stützt sich mit den Unterarmen auf der Marmorplatte des Kaffeehaustisches auf und beugt sich vor. „Ist er bekannt? Hat er einen Ruf als linker Historiker, oder so etwas?“ Sie kann sehen, wie die Gedanken durch Alenas Kopf rasen. „Er lebt und arbeitet eher zurückgezogen,“ kommt die zögernde Antwort. „Aber wahrscheinlich kennt sich niemand besser in diesem Bereich aus als er.“ Nun wird sie sicherer und spricht schneller. „Er arbeitet an einem Buch über die RAF und ist immer auf der Suche nach aktuellem Material. Er ist sehr interessiert an dem Tod von Schwarz und ich wollte ihm helfen.“ Sie macht eine Handbewegung. „Vor allem will ich nicht, dass er sich auf etwas versteift, was eventuell überhaupt nichts mit seinen Forschungen zu tun hat.“ Sie seufzt. „Er hat einen ziemlichen Dickkopf.“ Pia fokussiert einen Punkt hinter Alena und versucht nachzudenken. Sie hat einen Weg gesucht, die Dahlem zum Reden zu bringen, und Alenas Bekannter könnte die Tür aufstoßen. Terroristen reden gerne mit Historikern, oder? Sie wollen ihre Taten rechtfertigen, ihre Ideologien erklären. Historiker reden gerne mit Zeitzeugen um Fakten aus erster Hand zu bekommen. In diesem Zusammenhang würde es überhaupt nicht auffallen, wenn er der Dahlem ein paar Fragen stellt, die Pia ihm diktieren wird. Eine ideale Konstellation. Ideal und völlig unvorschriftsmäßig. Sie darf keine Zivilisten in den Fall ziehen. In einen Fall, der der höchsten Geheimhaltung unterliegt. Dessen Details noch nicht einmal die werten Kollegen kennen. Pia legt die Fingerspitzen auf die Schläfe und versucht sich zu konzentrieren. Dann entscheidet sie: Zur Hölle mit den Vorschriften. Erlaubt ist, was Erfolg bringt. Keiner schert sich um solche Kleinigkeiten, wenn sie den Fall gelöst hat. Jetzt spürt sie Alenas beunruhigten Blick auf sich und blickt auf. „Ist Ihr Historiker Freund verlässlich? Diskret? Kann er etwas für sich behalten?“ Alena blickt sie mit großen Augen an und Pia setzt hinzu: „Ich brauche Ihre Hilfe und Sie könnten Ihre verdammte Neugierde befriedigen und gleichzeitig Ihrem Historiker helfen. Haben wir einen Deal?“

Sonntag, 15. Oktober 2006

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15: Sackgasse

Pia zieht eine Grimasse. „Es bringt vor allem Sie nicht viel weiter, weil Sie uns damit leider keine Handhabe geben, Sie in Zukunft in Ruhe zu lassen. Fällt Ihnen noch etwas Stichhaltiges ein?“ Brigitte Dahlems Gesicht wird hart und sie starrt auf die Straße vor ihr. Pia wartet einen Moment und entscheidet sich dann, eine weitere Frage zu stellen. „Haben Sie noch Kontakt zu Hans Joachim Burg? Er wurde vor Ihnen entlassen. Oder kennen Sie den Aufenthaltsort von Robert Koch?“ Mit einem imaginären Knall fällt die Tür zu, die sich für Pia im Verhältnis zu Brigitte Dahlem einen winzigen Spalt geöffnet hatte. „Denken Sie, ich kooperiere mit Bullen?“ Mit verhaltener Wut artikuliert Brigitte Dahlem überdeutlich: „Sie bekommen von mir keine Informationen. Ich rede nicht weiter mit Ihnen. Verschwinden Sie.“ Bevor Pia etwas sagen kann, fährt sie mit einem verächtlichen Lächeln fort: „Wenn Sie mich vorladen möchten, tun Sie sich keinen Zwang an. Aber das Ergebnis bleibt das selbe. Ich habe nichts mit dem Tod des Bullen zu tun und ich habe Ihnen nichts zu sagen.“

Auf der Rückfahrt trommelt Pia wütend mit den Fingern auf der Innenverkleidung. „Verdammt,“ zischt sie. „Verdammt, wie kriege ich dich klein? Sollen ich dich einbuchten? Aber ohne konkreten Verdacht, ist das nur für 24 Stunden legal.“ Sie knirscht mit den Zähnen und schlägt mit der flachen Hand auf das schwarze Plastik. Riesel wirft ihr einen kurzen Blick zu. „Vielleicht sollten wir uns erst einmal auf die anderen Spuren konzentrieren.“ Pias Augen ziehen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. „Sie ist unsere einzige Spur,“ erklärt sie höhnisch. „Wir können uns auf Burg konzentrieren. Die Fahndung verstärken,“ startet Riesel einen hilflosen Versuch. Pia ignoriert ihn. Sie ignoriert auch die Stimme in ihrem Kopf: es geht dir mittlerweile mehr darum, eine Aussage aus der Dahlem zu pressen, als um die Frage, ob sie tatsächlich wichtige Informationen hat, oder? Konzentriere dich besser auf den Fall! Es geht darum, den Fall zu lösen, und nicht darum, wer den größeren Dickkopf hat. „Schreiben Sie ein Protokoll über die Aussage. Falls man das als solche bezeichnen kann,“ befielt sie schlechtgelaunt und sieht dann auf die Uhr. „Und lassen Sie mich am Markt raus.“

Alena grinst sie an, als sie sich über einem großen Cappucino und einem Tee gegenübersitzen. „Heute war nicht Ihr erfolgreichster Tag, oder?“ Pias Augen blitzen auf, bleibt aber ruhig. Sie ist aus einem Grund, den sie selbst nicht versteht, unfähig, Alena gegenüber mit den üblichen Spitzen zu reagieren. Stattdessen seufzt sie auf und trinkt einen großen Schluck von dem heißen Kaffee. „Haben Sie einen interessanten Fall,“ fragt Alena und rührt Milch in den Assam. Pia sieht sie einen Moment lang an. Alena trägt eine schwarze Bluse über einem schwarzen Minirock, ihre blassen Beine stecken in schwarzen Ballerinas. Die Locken sind so unordentlich wie immer, aber die graublauen Augen betrachten sie entspannter, als noch vor ein paar Monaten. „Geht es Ihnen gut,“ fragt Pia und ein überraschter Ausdruck erscheint in Alenas Gesicht. „Ja, danke.“ Sie lächelt, als rufe sie sich in Erinnerung, dass man in Gesellschaft Anderer Konversation betreiben muss. „Und Ihnen?“ Die Rückfrage drückt höfliches Desinteresse aus und Pia grinst. „Ok, warum wollten Sie mich treffen? Ist irgendwas passiert? Brauchen Sie Auskünfte, die nur ich Ihnen geben kann?“ Ihr Grinsen wird breiter, als Alena unübersehbar verlegen wird. „Vielleicht wollte ich einfach nur mal wieder mit Ihnen reden,“ schlägt sie vorsichtig vor und Pia lacht. „Das würde ich jedem abnehmen, jedem außer Ihnen. Sie fühlen sich doch in Ihrer eigenen Gesellschaft am wohlsten.“ Sie legt den Kopf schief und wartet interessiert darauf, wie Alena sich aus der Situation herauswindet. Sie versucht es gar nicht erst mal. „Ich habe in der Zeitung gelesen, dass ein pensionierter Kommissar gestorben ist und ich habe mich gefragt, ob Sie ihn kannten.“ – „Polizeihauptkommissar. Er war Chef einer unserer Abteilungen. Ich kannte ihn nicht besonders gut,“ erklärt Pia und rührt in ihrem Kaffee, ohne die Augen von Alenas Gesicht zu lassen. „Warum interessiert Sie das?“

Samstag, 14. Oktober 2006

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Krimi im Blog: 14

„Wo waren Sie Freitag Nacht,“ fragt Pia, ohne auf die Bemerkung einzugehen. Brigitte Dahlem greift in ihre Jeanstasche und zieht ein zerknittertes Päckchen Zigaretten heraus. Aus dem Augenwinkel kann Pia sehen, dass Riesel bei ihrer Bewegung zusammengezuckt ist und instinktiv zu der Stelle gegriffen hat, wo seine Waffe steckt. Diesmal ist ihr nicht nach einer ironischen Anspielung zumute. Brigitte Dahlem ist anders als die Verbrecher, mit denen sie bisher zu tun hatte, und dieser Eindruck hat Pia unmittelbar nach den ersten Sekunden ihrer Begegnung überfallen. Eine seltsame Strenge geht von ihr aus und der hagerer Körper spiegelt eine Verachtung ihnen gegenüber, die Pia bisher unbekannt war. Pia registriert verwundert, dass sie auf diese Verachtung nicht mit der gewohnten Arroganz reagiert, sondern dass sie etwas anderes empfindet. Respekt? Ärgerlich ruft sie sich zur Ordnung und kann nicht verhindern, dass ihr Ton schärfer wird: „Also, wo waren Sie Freitag Nacht zwischen 22 und 2 Uhr?“ Brigitte Dahlem hat sich die Zigarette angezündet und sieht sie nicht an, als sie erklärt: „Ich gebe Ihnen keine Informationen. Es liegt nichts gegen mich vor.“ Ok, denkt Pia. Du willst nicht reden? Ich kriege Dich zum reden. Sie besinnt sich auf ihr umfangreiches Arsenal an Strategien. „Sie haben den langen und beschwerlichen Weg von Ihrer Wohnung bis auf die Strasse gemacht, nur um mir das mitzuteilen? Kommen Sie, Sie sind neugierig, was wir gegen Sie in der Hand haben. Sie möchten Informationen.“ Brigitte Dahlem wirft ihr einen kurzen Blick zu und ihre Lippen verziehen sich zu einem verärgerten Lächeln. „Reden Sie keine Scheiße. Wenn ich nicht runtergekommen wäre, hätten Sie hier ein Bullentheater veranstaltet. Im Nullkommanichts hätte ein ganze Armee von Bullenschweinen vor meiner Wohnung gestanden und Sie beide hätten sich in die Hose gepisst vor Freude, mir was anhängen zu können. Ich weiß doch, wie Ihr tickt. Ihr kommt nicht weiter und sucht einen Schuldigen. Aber Ihr könnt mir nichts anhängen, weil ich nichts getan habe.“ Pia pfeift durch die Zähne. „Nun mal langsam.“ Kein Zynismus, warnt sie sich. Und keine Spielchen, diese Frau war über 20 Jahre im Bau und als Ex-RAF hat sie vermutlich mehr Erfahrung mit Verhören, als sonst irgendwer. Also, ehrlich währt am längsten. „Wir sind nicht ohne Grund hier. Bei dem Toten wurden Drohbriefe mit dem Logo der RAF gefunden. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass der Schreiber auch der Mörder ist und diese Person im Umfeld der Ex-Mitglieder zu suchen ist, bei deren Inhaftierung Polizeihauptkommissar Schwarz beteiligt war.“ Sie macht eine Pause und sieht Brigitte Dahlem direkt an. „Wie es bei Ihnen der Fall ist.“ Ein zusammengekniffenes Augenpaar starrt sie prüfend an. Dann wirft Brigitte Dahlem die angerauchte Zigarette auf den Bürgersteig und tritt die Kippe mit einer energischen Bewegung aus. „Ich war zu hause. Allein. Ich habe geschlafen. Schätze, das bringt Sie nicht viel weiter.“

Mittwoch, 11. Oktober 2006

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Warum RAF?

Warum RAF? Der Anstoß für die Wahl des zeitgeschichtlichen Themas RAF waren die aktuellen Entwicklungen im Bereich Terrorismus. Terrorismus ist heute allgegenwärtig, ob es sich um Reminiszenz an 9/11 handelt, um die darauf folgenden Anschläge in London und Madrid, an die versuchten Anschläge in London und Deutschland dieses Jahr; ob es sich um die Selbstmordattentate im Nahen Osten oder in der ehemaligen Sowjetunion handelt. Die Bedeutung des Begriffs Terrorismus unterliegt dem geschichtlichen Wandel, die Konzeption der Motive und die Methoden der Ausführung ändern sich, die Ziele variieren. Dennoch lassen sich die Taten als das Ergebnis des terroristischen Handelns selbst unter den Kategorien des Begriffs Terrorismus fassen, ordnen und reflektieren.

Was aber ist mit den Menschen, die terroristische Handlungen ausführen? Seit den 70er Jahren werden Psychogramme und Profile von Attentätern erstellt, primär zur Prävention, aber auch um zu verstehen, was Menschen dazu antreibt, für die Verfolgung eines politischen, religiösen oder gesellschaftlichen Ziels Gewalt auszuüben. Gewalt, die nicht nur gegen Sachen als Symbole des Bekämpften gerichtet sind, sondern gegen Menschen, die als Repräsentanten des Ziels gelten, und im Extremfall gegen alle Menschen, die unter das Zielsystem subsumiert werden.

Im Kern sind das auch die Fragen, die sich für mich ganz persönlich stellen, wobei der Anstoß zu diesen Fragen durch die neuesten Entwicklungen im Bereich erfolgte, die m.E. einen besonderen Spot auf das Moment der Individualität im Terrorismus geworfen haben. Der neue Begriff des Netzwerkterrorismus hat eine überdeutliche Ausformung mit den U-Bahnanschlägen 2005 in London erfahren. Ohne von einer Zentrale organisiert und angestiftet zu werden, haben sich drei junge Briten und ein Jamaikaner dazu entschieden, einen Bombenanschlag zu verüben, bei dem mit einer Vielzahl von Toten zu rechnen war. Die Verbindung zu anderen Terroristen bestand lediglich in einem weltanschaulich-religiösen Motiv, es gab vermutlich keine direkten Handlungsanweisungen, sondern die vier scheinen sich von Parolen aus dem Internet angesprochen gefühlt haben, von Taten anderer Terroristen inspirieren lassen. Es gab keine direkte Ursache, keine äußere Notwendigkeit und keinen Zwang. Die Entscheidung für den aktiven Terrorismus ist individuell gefallen, bzw. in einer sehr kleinen Gruppe.

Im so genannten Netzwerkterrorismus wird das Moment der Individualität betont, tatsächlich ist aber anzunehmen, dass Individualität immer schon ein wichtiges Element von Terrorismus gewesen ist. Terrorismus ist vor allem Abgrenzung gegen herrschende und mehrheitliche Verhältnisse. Wie der Kritiker nimmt der Terrorist einen besonderen Standpunkt ein, wählt eine individuelle Perspektive. Im Terrorismus wird dieser Individualismus jedoch negativ übersteigert, indem die Perspektive des Terroristen absolut gesetzt wird. Dieser Verabsolutierung führt zu extremen Zielsetzungen und Handlungen, setzt das Moment der Verhältnismäßigkeit außer Kraft und lehnt jede Kritik von innen oder außen ab. Der Grund für die Verabsolutierung der Individualität scheint die Unterordnung unter ein abstraktes Ziel und ist damit eine Gegenreaktion auf das Moment der Individualität. Terrorismus endet schließlich mit der Aufgabe der Individualität und dem Einfließen in ein höheres, gesellschaftliches, religiöses oder politisches Ziel (das sich auch in der Zugehörigkeit zu einer Gruppe manifestieren kann).

Das Zusammenspiel von extremer Individualität und extremer Abstrahierung ist eines der interessanteren Momente im Phänomen Terrorismus, und meine vorläufige Überlegung ist, dass sich dieser Kerndualismus in allen historischen Abarten von Terrorismus finden lässt – und letztlich in einer extremen Form von Egoismus zusammenfällt. Eine Annäherung an dieses Zusammenspiel ist u.a. eines der Motive, diesen Krimi-Blog zu schreiben, und als Untersuchungsobjekt ist die Wahl auf die RAF gefallen. Zum einen, weil es sich hier um eine Form des historischen Terrorismus handelt und nicht um den aktuellen, momentan im Focus stehenden El-Kaida-Terrorismus, der sich den Anschein eines religiösen Fundamentalismus gibt und diesen zur Rekrutierung instrumentalisiert, aber tatsächlich wohl rein wirtschaftliche und machtpolitische Interessen verfolgt. Die Beschäftigung mit der zeitgeschichtlichen Organisation RAF bietet den Vorteil des historischen Abstands; gleichzeitig ist die RAF unter der vorausgesetzten These ein ebenso passendes Objekt, wie jede andere terroristische Vereinigung. Dazu kommt, dass die Ereignisse immer noch in der näheren Vergangenheit liegen (der deutsche Herbst jährt sich nächstes Jahr zum 30. Mal) und vielleicht bei einzelnen noch in die Jugend hineingewirkt haben.

Was hier auf gar keinen Fall intendiert wird, ist eine Mythologisierung oder Verharmlosung der RAF, wobei sich letztere gerade in den vergangenen Jahren in einem erneuten T-Shirt-Revival gezeigt hat. (Wenn 16jährige es schick finden, ein T-Shirt mit dem Kalaschnikov-Stern zu tragen, ist das meines Erachtens vor allem ein Zeichen von tief sitzender Blödheit und dumpfen Trendgehorsam.) Gleichzeitig macht so eine Mode-Erscheinung aber auch deutlich, dass die RAF schon immer ein sehr umstrittenes gesellschaftliches Phänomen war und geblieben ist. Die Geburt der RAF aus den 68-Ereignissen führte zur fortwährenden Assoziation mit linken Werten, intellektueller Kritik und origineller Modernität. Die Zugehörigkeit von Ulrike Meinhof schien diese Assoziationen zu legitimieren. Tatsächlich erscheint die RAF bei näherer Betrachtung jedoch als eine Ansammlung der schlechtesten Elemente, die zu 67/68 gehörten: Naivität, Arroganz und aggressive Rücksichtslosigkeit.

Der Krimi-Blog ist hauptsächlich nur das: ein gebloggter Krimi. Auch wenn das Interesse und die obige Überlegung im Hintergrund stehen, und die Ausführung beeinflussen, werde ich sicherlich im Text selbst zu keinem Ergebnis kommen. Im besten Fall dient das Schreiben für mich als Anstoß zu weiteren Überlegungen dieser Art, die ich dann im Meta-Blog veröffentliche. Wen es also nicht interessiert, kann diese Passagen einfach weglassen. In anderen Fällen wäre ich natürlich an einem Feedback interessiert. Jede Theorie ist immer auch Eingrenzung und Vernachlässigen von anderen Momenten und zur Vorbeugung drohender Einseitigkeit ist nichts besser, als der höfliche Hinweis auf den geistigen Mist, den man gerade wieder verzapft hat...

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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