Dienstag, 24. April 2007

sternkleinsternkleinsternklein

103: Bekenntnisse

Beide schweigen und die Nacht beherrscht das Zimmer. Unruhige Gedanken flackern in Alenas Kopf. Sie glaubt ihr. Dahlem und Burg haben Schwarz nicht ermordet. Aber wer bleibt dann noch übrig, außer – nein, das will sie erst recht nicht denken. Sie hat sich entschlossen, Kaspars Freund zu sein. Aber wenn Kaspar tatsächlich einen Menschen umgebracht hat? „Haben Sie mal jemanden getötet,“ fragt sie unvermittelt und der Kopf von Brigitte Dahlem dreht sich in ihre Richtung. Einen Moment bleibt sie bewegungslos, dann deutet sie ein Kopfschütteln an.

„Nein, nicht mit eigenen Händen. Aber ich habe bei den Vorbereitungen geholfen. Und ich war einmal dabei.“ Sie ringt nach Worten. Alena spürt, wie schwer es ihr fällt, darüber zu sprechen. Das Geschehen in Begriffe zu fassen, in eine Form zu bringen, die nicht nur innerhalb ihres engen Kommunikationskreises verständlich ist, in dem so vieles ungesagt geblieben war. „Und das ist so, als hätte man denjenigen selbst getötet. Wenn man in einer Gruppe mit identischen Zielen ist, dann trägt jeder die Verantwortung für das Handeln des Einzelnen, das der Realisierung dieser Ziele dient. Und ich hätte es getan, wenn ich an der Reihe gewesen wäre.“

Alena schluckt. „Haben Sie Kaspar auch gefragt, ob er Schwarz erschossen hat?“

Sie fühlt den Blick der Dahlem auf sich. „Ja,“ antwortet die dunkle Gestalt im Sessel. Alena wartet, mit Angst in der Brust, aber Brigitte Dahlem macht keine Anstalten, weiter zu reden. „Und, was hat er gesagt?“ Ihre eigene Stimme hört sich krächzend an. Die Stille tropft zwischen ihnen. Dann ein Seufzer. „Ich habe ihn gefragt, ob er Schwarz ermordet hat und er hat gesagt, er wisse es nicht genau.“

Die Luft im Zimmer wird so dünn, dass man sie kaum atmen kann. „Was soll das heißen? Wie kann man das nicht so genau wissen? Entweder man hat oder man hat nicht.“ In ihrer Verwirrung ist Alena schon fast wieder wütend. „Als ich ihn fragte, ob er den Abzug betätigt hat, hat er verneint. Allerdings,…“ Erneutes Stocken, und Alena weiß, dass sie nichts Erleichterndes hören wird. „Er sagt, ihm sei klar gewesen, dass die Briefe eventuell den Tod von Schwarz zur Folge haben können. Auf die eine oder andere Art. Er hat wohl eher an Selbstmord gedacht. Ausschlaggebend war anscheinend der Versuch, der Sache eine neue Dynamik zu geben. Aber je länger er darüber nachgedacht hat, desto mehr ist ihm klar geworden, dass er irgendwen zur Verantwortung ziehen möchte. Dass irgendwer büßen soll. Der Tod von Schwarz war kein Schock für ihn, eher eine Art Genugtuung.“

Alena lässt das Gesagte sacken. Es entspricht ihren Befürchtungen und doch beruhigt sie sich langsam. Die vergebliche Suche nach seiner Mutter und ihren Motiven hat ihre Spuren bei Kaspar hinterlassen. Er ist rachsüchtig geworden. Ungerecht. Man kommt nicht unbeschadet aus einer solchen Sache heraus. Das ist vielleicht keine Entschuldigung, aber es schließt eine Lücke in ihrer Rekonstruktion. Dann kommt ihr ein anderer Gedanke: „Als Sie Kaspar von seiner Mutter erzählt haben, an dem Tag, an dem ich auch da war, haben Sie schon gewusst, dass ihn das unter den gegebenen Umständen noch mehr treffen muss.“ Fast kommt es ihr so vor, als würde sie ein trauriges Lächeln auf dem Schatten entdecken, der das Gesicht der Dahlem verbirgt. „Ja, das habe ich. Aber es war notwendig. Und vermutlich hätte ich ihm schon vorher von ihr erzählen sollen.“ Wieder der angestrengte Versuch, Angedachtes in Worten zu formulieren. „Ich hätte seine Suche beenden können, wenn ich ihm die wahre Geschichte seiner Mutter erzählt hätte. Dann wäre es vielleicht nie zu diesen Drohbriefen gekommen.“ Die kleine Pause unterstreicht ihre nächsten Worte. „Aber ich habe es nicht getan. Damit ist alles, was geschehen ist, auch meine Schuld. Oder unsere Schuld. Niemand von uns hat an die gedacht, die zurück geblieben sind. Wir waren so damit beschäftigt die Welt zu retten, dass wir die vergessen haben, die uns am nächsten standen. Die wir am leichtesten hätten retten können.“

Alena bekommt kein Wort heraus. Sie fühlt sich völlig erschlagen. Nicht nur, dass sie diese Gedanken nicht von Brigitte Dahlem erwartet hätte. Mehr noch überwältigt sie im Zusammenhang mit Kaspars Misere das Gefühl des bodenlosen Abgrundes, in dem die beiden stecken, jeder für sich und doch durch einen dünnen und instabilen Faden verbunden.

Plötzlich springt Brigitte Dahlem auf. Sie drückt sich an die Wand des Wohnzimmers und schleicht zum Fenster, wo sie sich unter die Fensterbank kniet und sich dann langsam mit den Fingerspitzen hochzieht, bis sie auf die Straße sehen kann. So ist sie von unten unsichtbar, fährt es Alena durch den Kopf. Darum habe ich sie nicht gesehen, obwohl sie den ganzen Abend hier war. „Was ist los,“ flüstert sie. Die Dahlem macht eine warnende Handbewegung. Sie kniet sich wieder hin und wendet sich zu Alena. „Der Wagen ist da.“

Alena reißt die Augen auf aber widersteht dem Impuls, sofort aufzuspringen. „Was machen wir jetzt?“ – „Nichts. Wir warten, ob etwas passiert.“ Alena schüttelt vehement den Kopf. „Da unten sitzt der Mörder von Schwarz und Burg! Wollen Sie nicht wissen, wer es ist?“ Brigitte Dahlems Augen funkeln in der Dunkelheit. „Seien Sie leise und rühren Sie sich nicht.“ Sie scheint zu überlegen, dann erklärt sie kurz: „Ich weiß, wer es ist.“ Die Aufregung bringt jedes Körperteil Alenas zum Kribbeln. „Wer?“

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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