98: Die Krauses

Während des Desserts und dem anschließenden Espresso beobachtet Pia vorsichtig Roland Krause. Nach dem Wortwechsel mit der Dame, die augenscheinlich seine Begleiterin ist, sitzt er nun ein wenig apathisch zwischen seinen Kollegen, die sich angeregt unterhalten. Den Kaffee hat er hinuntergestürzt, aber das winzige Stück Apfel-Tiramisu steht unberührt vor ihm auf dem Tisch. Krause sitzt zu weit weg, als dass Pia in seinem Gesicht lesen könnte, aber sie neigt dazu, ihm einen gehetzten Zug zuzuschreiben. Sieht er nicht etwas erschöpft aus? Dunkle Augenringe?

Nach dem Essen löst sich die Tafel langsam auf und die Gäste versammeln sich mit ihren Getränken um die zahlreichen Stehtische im Saal. Pia gehört zu den Ersten, die sich erheben, und mit einem gequälten Gesichtsausdruck tut Christopher es ihr nach, gefolgt von Bergmann, dem die Angelegenheit sichtlich Spaß macht. „Und ich dachte immer, diese Universitätsessen wären langweilig,“ platzt er heraus, als er sich zu den beiden an einen der Tische stellt, die sich in der Nähe des BWL-Lehrkörpers befindet. Ohne auf ihren Mann zu achten, war Pia schnurstracks auf diesen Tisch zugelaufen. Sie steht nun so, dass sie direkt auf den Hinterkopf von Krause sehen kann. Von seinen Kollegen macht keiner Anstalten aufzustehen und auch Krause hat sich nicht von seinem Platz gerührt. „Sie sind langweilig,“ sagt Pia und winkt der Service-Kraft, die ein Tablett mit Weinbrandgläsern trägt. Sie nimmt zwei Gläser vom Tablett und stellt jeweils eines vor sich und Christopher. „Das wird deine Nerven beruhigen,“ sagt sie und Christopher runzelt mit der Stirn. „Ich finde es, gelinde gesagt, unangemessen, dass Du hier so einen Wirbel veranstaltest.“ – „Ich veranstalte keinen Wirbel,“ sagt Pia unschuldig. „Ich stehe nur hier und trinke einen Weinbrand.“

Bergmann hat sich ebenfalls ein Glas vom Tablett geholt und Pia zieht die Augenbrauen hoch. „Sind Sie überhaupt schon 18? Ansonsten dürfen Sie nämlich keinen Alkohol trinken.“ Bergmann verschluckt sich fast vor Lachen. „Ich liebe Ihre Frau, echt, sie ist ein Knaller,“ sagt er zu Christopher gewandt, der düster antwortet: „Das meinen Sie nur, weil Sie nicht mit ihr verheiratet sind.“ Pia konzentriert sich auf den Rücken von Krause. Seine Begleiterin hat glattes blondes Haar und trägt eine breite goldene Kette um den schlanken Hals. Die Haut ist leicht gebräunt, was einen schönen Kontrast zu dem weißen Kostüm bildet, das sie trägt. Pia erkennt den Designer und geht kurzentschlossen ein paar Schritte nach vorn. Sie tippt der Dame auf die Schulter. Als sie sich umdreht, kann Pia ihr Alter auf Mitte 30 schätzen. Ihr Gesicht weist keine Falten auf und ist sehr sorgfältig geschminkt. Sie schaut Pia fragend an.

„Ich kann nicht anders, ich muss Ihnen sagen, wie sehr mir Ihr Kostüm gefällt. Ich liebe Chanel,“ zirpt Pia und setzt ein strahlendes Lächeln auf. Die Angesprochene ruckt mit ihrem Stuhl, um Pia besser in Augenschein zu nehmen. Pia läst sich einen Moment mustern und stellt dann zufrieden fest, das ihr Äußeres dem Dresscode von Krauses Begleiterin entspricht. „Vielen Dank. Es ist nicht aus der neuesten Kollektion, aber glücklicherweise zählt Chanel zu den Designern, dessen Modelle fast schon zeitlos zu nennen sind,“ antwortet sie leicht affektiert und lächelt arrogant. Pia nickt enthusiastisch. „Sie sind zeitlos und man fühlt sich zu jeder Gelegenheit gut angezogen.“ Sie sieht sich kurz um und sagt dann verschwörerisch: „Was man vermutlich nicht von jedem der weiblichen Gäste sagen kann.“ Das Gesicht der Frau hellt sich auf. „Es ist mir auch schon aufgefallen, wie unglaublich geschmacklos manche der Damen sich kleiden,“ flüstert sie mit einem gemeinen Grinsen. „Haben Sie schon die Frau des Präsidenten gesehen? Als wenn sie direkt aus einem arabischen Souk zur Feier gekommen wäre. Ich würde mich ja etwas repräsentativer kleiden, wenn mein Mann der Präsident der Universität wäre.“ Pias Plan, die niedersten weiblichen Instinkte anzusprechen, ist nahtlos aufgegangen, und sie hasst die Frau jetzt schon. Aber ihr Lächeln verändert sich nicht. „Mein Name ist übrigens Pia Stein-Bachmüller.“ Sie macht eine elegante Handbewegung in die Richtung Christophers. „Das ist mein Mann, Professor Stein, philosophisches Institut.“

Der Blick unter dem goldenen Lidschatten richtet sich auf Christopher und was sie sieht, gefällt ihr augenscheinlich, denn das Lächeln wird breiter. Die Dame steht auf und streicht den weißen kurzen Rock über den Knien glatt. Pia ist die Veränderung nicht entgangen und sie widersteht nur knapp der Versuchung, dem unberührten Weinbrand einen Stoß in Richtung des weißen Kostüms zu geben. Christopher lächelt höflich zurück und weist auf Bergmann. „Darf ich vorstellen: Professor Bergmann, historisches Institut.“ Huldvoll hält die Blonde Christopher eine Hand mit mehreren schmalen Goldringen entgegen. „Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Ich bin Elena Krause und das ist mein Mann, Professor Krause.“ Notgedrungen erhebt sich nun auch Krause und dreht sich zu der Gruppe um.

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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