97: Warten

Als sie die Straße erreicht, in der Brigitte Dahlem wohnt, schaut sie nach oben zum Fenster der Wohnung. Alles ist dunkel. Sie starrt eine Weile hoch, in der Hoffnung, eine Bewegung oder das glimmende Ende einer Zigarette zu sehen. Dann wird ihr bewusst, wie auffällig ihr Verhalten ist und sie geht langsam weiter die Straße entlang. Vorsichtig sieht sie in die Wagen, die dicht hintereinander am Straßenrand stehen. Alle Wagen, aus denen man Sichtkontakt zur Wohnung der Dahlem haben könnte, sind leer. Sie spaziert weiter bis zum Ende der Straße und bemerkt erst jetzt, wie sehr ihr Herz klopft. Sie biegt nach links ab, um einmal um den Block zu laufen, und langsam beruhigt sie sich wieder. Und stellt fest, dass die Sache beginnt, ihr Spaß zu machen.

Auf dem Weg zurück zur Straße überlegt sie ihr weiteres Vorgehen. Sie braucht einen Platz, an dem sie unauffällig auf den Wagen warten kann. Auf der gegenüberliegenden Seite des Wohnblocks stehen weitere Mietskasernen. Die Eingangstüren zeigen zur Straße, links vom Eingang stehen jeweils Müllcontainer hinter einer niedrigen Betonmauer. Sie könnte sich hinter eine dieser Mauer kauern, aber der Gedanke an die Müllcontainer gefällt ihr nicht besonders. Stell dich nicht so an, denkt sie. Es ist kühl, also wird es nicht zu sehr riechen. Dennoch durchforstet sie ihre Erinnerung an weitere Plätze, die ein Versteck bieten könnten. Aber die Gegend ist unwirtlich, es gibt weder Bäume noch Bänke. Und sich in einen Hauseingang setzen, ist auch keine gute Idee. Zwar bezweifelt sie, dass hier jemand Anstoß daran nehmen würde, wenn eine fremde Person auf den Eingangsstufen sitzt, aber das Licht der Hausleuchte würde auf sie fallen und vielleicht würde man sie ansprechen. Sie legt keinen Wert darauf, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Also doch die Müllcontainer?

Als sie um die Ecke biegt, hört sie plötzlich Motorengeräusch und die gelben Kegel von Scheinwerfern beleuchten den zerrissenen Asphalt neben ihr. Alena erstarrt, zwingt sich dann aber, weiterzugehen. Der Wagen fährt an ihr vorbei, die Straße entlang und biegt nach rechts ab. Sie erkennt einen dunklen Toyota. Aber er ist weitergefahren. Also nicht ihr Kandidat.

Die Stille kriecht zurück in die Straßen und Alena geht langsamer. Sie muss sich jetzt für ein Versteck entscheiden; noch einmal diese Straße entlang zu gehen, wäre erst recht auffällig. Nach der gerade vergangenen Aufregung ist ihr Kopf sehr klar. Sie biegt in den nächsten mit Betonplatten belegten Weg, der zu dem, ein paar Meter vom Bürgersteig entfernten, Hauseingang führt und schaut kurz nach oben. Hinter den meisten Fenstern brennt Licht, aber sie sieht keine Schatten. Das Mäuerchen befindet sich direkt neben ihr, die Container stehen in einer Grube dahinter. Sie stellt sich so, dass die Mauer ihren Körper verbirgt, sie aber noch die Straße sehen kann. Gleichzeitig hofft sie, dass der Schatten des Containers sie für eventuelle Blicke aus den Fenstern unsichtbar macht. Alena holt tief Atem und beginnt zu warten.



Die unterdrückte Erregung, die Bergmann in Pia Gesicht lesen kann, lässt ihn aufhorchen. Vorsichtig beugt er sich nach vorn und wendet den Kopf nach links. Der Gesuchte sitzt auf seiner Seite und ist zu weit weg. Bedauernd schüttelt er den Kopf. „Müssen Sie nicht vielleicht mal auf Toilette,“ schlägt Pia ungeduldig vor. Bergmann grinst und steht auf. Bevor er den Tisch entlang geht, zwinkert er ihr verschwörerisch zu. Christopher hat die Geste bemerkt und wendet sich mit einem fragenden Ausdruck auf dem Gesicht seiner Frau zu. „Wenn du jetzt ebenfalls aufstehst und in Richtung der Toiletten verschwindest, sollte ich mir wohl Gedanken machen,“ murmelt er. Pia lacht und isst schnell das letzte Stückchen Gemüse, bevor der Teller abgeräumt wird. „Dein Historiker führt einen dienstlichen Auftrag aus,“ erklärt sie und zuckt die Achseln, als Christopher gequält aufstöhnt. „Du wirst doch jetzt nicht anfangen, meine Kollegen zu beschatten,“ sagt er vorwurfsvoll. „Und ausgerechnet heute. Ich dachte, wir haben ein wenig Spaß zusammen.“ Pia schnaubt leise. „Beim jährlichen Universitätsessen? Ich glaube, wir haben überall sonst mehr Spaß als hier.“ Christopher setzt eine gekränkte Mine auf. „So schlimm ist es doch gar nicht. Und ich verbringe außerdem den Großteil meines Tages mit den Kollegen und habe es bisher ganz gut ausgehalten.“ – „Schon gut,“ zischt Pia, die sieht wie Bergmann wieder zurück kommt. Sie beugt sich über den Tisch, während er sich setzt. „Und, kennen Sie ihn?“ – „Wen,“ fragt Christopher dazwischen und Bergmann wirft einen verwirrten Blick von Pia zu Christopher. „Ihre Frau hat jemanden entdeckt, der dort hinten zwischen den BWLern sitzt. Ich glaube, sie meint Professor Krause. Roland Krause, mittelgroß, braunes Haar, glattrasiert, so um die 50 würde ich sagen.“ Er sieht Pia an, wie um zu fragen, ob ihr die Information reicht. „Hatten Sie schon mal mit ihm zu tun,“ bohrt Pia weiter und bemerkt im gleichen Moment, dass Frau Sacher sie neugierig anstarrt. Pia wirft ihr einen ungnädigen Blick zu. „Das ist ein vertrauliches Gespräch,“ sagt sie schnippisch und wendet sich wieder Bergmann zu. Frau Sacher schaut Christopher empört an, der mit einem strahlenden Lächeln versucht sie zu beruhigen. „Meine Frau ist beruflich gerade mit einem wichtigen Fall beschäftigt und es fällt ihr schwer, loszulassen,“ erklärt er entschuldigend und verflucht Pia innerlich.

„Mit Krause habe ich noch nie ein Wort gewechselt. Ich weiß auch nicht, was genau sein Fachgebiet ist,“ erläutert Bergmann. Pia starrt einen Moment in die Luft. Dann sagt sie: „Vielleicht sollten wir nach dem Kaffee versuchen, ihn mal näher kennen zu lernen.“

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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