58: Freunde und Feinde
Alena schaut tapfer in das misstrauische Gesicht von Brigitte Dahlem. Vorsichtig erklärt sie: „Bei dem Mordfall in dem Haus, in dem ich wohne, habe ich ihr geholfen.“ Sie wird rot und verbessert sich schnell: „Nicht wirklich geholfen, sie hat den Fall natürlich allein bearbeitet. Aber es ging um sehr spezielles Wissen und sie hatte mich diesbezüglich angesprochen. Als jetzt der Tod von Schwarz in der Zeitung stand, habe ich mit Kaspar gesprochen und wir waren der Meinung, dass wir versuchen sollten, mehr darüber zu erfahren. Deswegen hatte ich sie angerufen, einfach in der Hoffnung, dass sie sich an mich erinnert und mir ein paar Einzelheiten gibt. Wir wollten ja keine Geheimnisse erfahren, nur ein wenig mehr als das, was in der Zeitung gestanden hat.“ Alena denkt kurz nach und fügt dann hinzu: „Ich habe ihr allerdings nichts von Kaspar erzählt, weder dass Marianne Wagenbach einen Sohn hat, noch das ich ihn kenne. Ersteres hat sie natürlich schnell allein herausgefunden und letzteres weiß sie nun auch. Ich glaube, damit habe ich endgültig bei ihr verschissen.“ Sie setzt ein komplizenhaftes Lächeln auf, aber die Augen der hageren Frau bleiben kalt. Eine Weile hält Alena dem eindringlichen Blick stand, dann schaut sie verunsichert zur Seite. „Was ist jetzt mit Wagenbach, ist er verhaftet?“ Die Frage kommt unvermittelt und Alena blinzelt. Dann schüttelt sie den Kopf. „Bisher gibt es nur den Verdacht gegen ihn. Aber momentan ist er ihr einziger Verdächtiger.“ Sie stockt kurz und fügt dann hinzu: „Bis auf Sie, natürlich.“ Neugierig sieht sie Brigitte Dahlem an, deren Gesicht unbewegt bleibt. „Hat sie gesagt, dass ich unter Verdacht stehe,“ fragt die Frau dann, und ihre Augen werden schmal. Alena weiß, dass sie einen Fehler gemacht hat. Sie versucht sich herauszuwinden: „Nein, natürlich hat sie mit mir nicht über Verdächtige gesprochen,“ lügt sie. Brigitte Dahlem darf auf gar keinen Fall erfahren, dass Pia sie und Kaspar auf die Ex-Terroristin angesetzt hatte. „Aber wenn sie Kaspar gefunden hat, dann hat sie bestimmt auch Sie gefunden. Sie war doch sicher schon bei Ihnen, oder?“ Alena wartet gespannt und Frau Dahlem nickt kurz. „Sie hat versucht mich auszuquetschen, hat aber bisher keinen Erfolg gehabt.“ Alena beobachtet erleichtert, wie ihre Gegenüber ein Grinsen unterdrückt. Gemeinsame Gegner sind eine noch bessere Kommunikationsbasis als gemeinsame Freunde. „Haben Sie ein Alibi für die Tatzeit? Den Mord an Schwarz?“ Sie hat das Gefühl jetzt mehr wagen zu dürfen. Die blassen grünen Augen beobachten sie forschend, begleitet von einem Kopfschütteln. „Ich habe keine Arbeit, bin in keinem Sportverein und gehe auch nicht zu Tupper-Parties. Natürlich habe ich kein Alibi.“ Alena liegt es auf der Zunge zu fragen, woher eine Frau, die über 20 Jahre inhaftiert war weiß, was Tupper-Parties sind. Aber woher weiß sie selbst das eigentlich? Sie konzentriert sich wieder auf das Thema: die Morde. „Hat sie Sie auch zum Mord an Burg befragt?“ Brigitte Dahlem nickt. „Ja. Es scheint ihr egal zu sein, dass es total sinnlos ist, mich des Mordes an einem alten Freund zu verdächtigen.“ Dann ändert sich der Gesichtsausdruck, plötzlich blickt sie Alena fast entschuldigend an. „Sie weiß von mir, dass Sie und Kaspar Wagenbach mich Mittwoch in diesem Kaffee interviewt haben. Habe ich Sie damit reingerissen?“ Alena atmet tief ein. Pias Auftauchen hatte sie so geschockt, dass sie sich bisher noch gar keine Gedanken darüber gemacht hatte, woher Pia von ihrer Bekanntschaft zu Kaspar wusste. Vielleicht hatte sie stillschweigend angenommen, dass Pia irgendwann alles herausfindet. Alena zieht eine Grimasse und senkt dann ihren Kopf. „Sieht fast so aus.“ Interessiert schaut sie dann wieder hoch. „Haben Sie denn gestern noch mit ihr gesprochen? Gegen Abend hat sie jedenfalls sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie mir am liebsten den Kopf abreißen würde. Kaspar war vormittags bei ihr und ihm gegenüber hatte sie noch keine Andeutungen gemacht. Und ich glaube kaum, dass sie sich diese Gelegenheit entgehen lassen hätte, ihn fertig zu machen.“ Brigitte Wagenbach kaut auf ihren blassen Lippen. „Sie hat mich kurzfristig vorgeladen. Um über den Mord an Hajo zu sprechen.“ Auf einmal beginnen die Lippen zu zittern und für einen Moment birgt sie das Gesicht in den Händen. Die plötzlich erscheinenden Emotionen irritieren Alena und sie kann nicht anders als Brigitte Dahlem fassungslos anzustarren. Die rauen Hände mit den kurzgeschnittenen Nägeln fahren kurz über die zurückgebundenen Haare und das Gesicht sieht wieder undurchdringlich aus. „Wenn ich das Schwein erwische,“ murmelt Brigitte Dahlem.
Flannery Culp - 18. Jan, 20:08