46: Wut

In der Küche klackt der Wasserkocher als er fertig ist und Alena gießt das kochende Wasser vorsichtig über die Teeblätter. Sie sieht eine Weile zu, wie die Blätter in der Glaskanne durch das Wasser wirbeln und sich dann am Boden absetzen. Sie ist froh, dass sie Kaspar angerufen hat. Und neugierig auf den Bericht vom zweiten Mord. Auch wenn Kaspar nichts Genaues weiß. Aber sie könnte Pia ausquetschen. Als sie überlegt, wann und unter welchem Vorwand sie Pia anrufen könnte, klingelt es an der Tür. Kaspar ist schnell hier, denkt sie. Vermutlich war er ganz in der Nähe. Sie öffnet die Tür, und als sie die Lauftritte auf der Treppe hört ruft sie: „Du hast dich ja echt beeilt.“ Das letzte Wort bleibt ihr im Hals stecken, als sie Pia um die Ecke biegen sieht. Ihre Verwunderung schlägt in nackte Panik um, als sie Pias Gesicht sieht. Die blauen Augen sprühen vor Wut und der Mund ist zu einem fadendünnen Strich zusammengepresst. Instinktiv weicht Alena einen Schritt zurück und widersteht nur mühsam der Versuchung, die Tür vor Pia zuzuschlagen. Aber schon steht Pia vor ihr und drängelt sich ohne ein Wort vorbei in die Wohnung. Alena schließt die Wohnungstür, dreht sich um und bleibt vor der Tür stehen. Als wenn sie die Chance hätte, jetzt noch zu fliehen. Pia hat die Hände in die Hüften gestemmt und sieht sie mit einem undefinierbaren Blick an. Alena starrt zurück, ihr Kopf ist leer. Jetzt spricht Pia. „Sie haben nicht mich erwartet.“ Das ist keine Frage und Alena rührt sich nicht. „Wen dann? Ihren Freund Kaspar Wagenbach, den Historiker?“ Pias Lippen sind fast weiß, als sie sie in ein verzerrtes Grinsen zwingt. „Wann haben Sie geplant, mir von dieser ungewöhnlichen Bekanntschaft zu erzählen?“ Alena versucht zu schlucken, aber ihr Mund ist zu trocken. Sie bringt kein Wort heraus. Sie wünscht sich nichts anderes, als wieder allein zu sein, Pia nie wieder zu sehen. Ihr nie begegnet zu sein. Stattdessen kommt Pia einen Schritt näher und stellt sich direkt vor Alena, die die Tür in ihrem Rücken fühlt. „Wann, verdammt noch mal.“ Pias Stimme ist leise und drohend und Alena drückt sich stärker gegen die Tür. „Wann!“ Jetzt schreit Pia wutentbrannt und Alenas Sicherungen brennen durch, sie stößt die große Frau vor ihr wild zur Seite, duckt sich an ihr vorbei und weicht in den Flur zurück, rückwärts, immer die Augen auf Pia gerichtet. Alenas deutlich sichtbare Angst bringt Pia zur Besinnung und sie versucht sich zu beruhigen. Mit beiden Händen fährt sie durch ihr Gesicht, schweratmend. „Kann ich einen Schluck Wasser haben,“ murmelt sie. Alena findet ihre Stimme wieder. „Tee,“ fragt sie schüchtern. Auf ein wortloses Nicken von Pia hin geht sie schnell in die Küche und schüttet den Tee durch ein Sieb in die Porzellankanne. Als sie zwei Tassen aus dem Schrank holt, merkt sie, dass ihre Hände zittern. Langsam gießt sie den Tee in die Tassen und stellt sie mit der Zuckerdose und einem Milchkännchen auf ein Tablett. Pia ist ins Wohnzimmer gegangen und hat sich auf das Sofa gesetzt. Mit versteinertem Gesicht nimmt sie die Tasse entgegen und füllt Zucker hinein. Bevor sie trinkt, fixiert sie Alena. „Was haben Sie sich dabei gedacht,“ sagt sie ernst. Alena starrt sie an. Dann setzt sie sich auf die vorderste Kante des Sessels und angelt nach der Milch. Ohne die Augen von Pia zu nehmen, gießt sie Milch in ihren Tee. Langsam sagt sie: „Ich war in einer Zwickmühle. Zwischen Ihnen und Kaspar. Sie wollten, dass ich Kaspar zu Brigitte Dahlem schicke und Kaspar wollte ebenfalls mit Brigitte Dahlem reden. So weit so gut.“ Sie trinkt vorsichtig einen Schluck. Der Tee ist bitter geworden, aber sie hat das seltsame Gefühl, als ob sie das verdient hätte. Sie nimmt einen weiteren Schluck. „Aber gleichzeitig wollte ich Kaspar schützen. Wenn ich Ihnen erzählt hätte, dass er Marianne Wagenbachs Sohn ist, was hätten Sie dann gedacht?“ Sie lässt die Frage im Raum stehen. Pia runzelt die Stirn und stellt die Tasse ab. „Es kann Ihnen verdammt noch mal egal sein, was ich denke. Sie hätten es mir sagen müssen.“ Die Partie um ihren Mund ist hart und angespannt. „Wenn dieser Wagenbach unschuldig ist, brauchen Sie ihn nicht zu schützen.“ Ihre Stimme ist schneidend und Alena spürt einen Klos im Hals. „Aber durch dieses blödsinnige Spiel, das Sie mit mir gespielt haben, haben Sie nicht nur sich selbst in Schwierigkeiten gebracht – sondern auch Kaspar Wagenbach.“ Alenas Hand beginnt wieder zu zittern und sie sucht einen Platz für die Tasse auf dem mit Zeitschriften bedeckten Tisch. „Hören Sie, ich wollte Sie nicht reinlegen. Ich wollte nur Kaspar helfen.“ Verzweifelt versucht sie zu verdeutlichen, dass ihr Schweigen nicht gegen Pia gerichtet war, als ob ihre größte Angst wäre, dass Pia es persönlich nehmen könnte. Für einen Moment verwundert sie dass, dann klingelt es an der Tür. Der Ton hängt in der Luft wie eine Drohung. Alena rührt sich nicht. Pia betrachtet sie mit zugekniffenen Augen. Es klingelt erneut und Alena zuckt unwillkürlich zusammen. „Wollen Sie nicht aufmachen,“ fragt Pia kühl. Als Alena nicht antwortet, steht sie auf. „Dann öffne ich eben die Tür.“

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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