Donnerstag, 3. Mai 2007

sternkleinsternkleinsternklein

109: ein Schuss

Im gleichen Moment zerreißt ein schnelles, hartes Geräusch die Nacht, ohrenbetäubend und unwirklich. Der Nachhall des Schusses scheint im Raum zu stehen, als wenn die Zeit angehalten würde.

Alena sieht Pia einen Herzschlag lang zögern, dann springt sie vor die Motorhaube, hält mit gestrecktem Arm eine Taschenlampe ins Wageninnere und schlägt mit der flachen Hand auf das Wagenblech. „Polizei. Werfen Sie die Waffe aus dem Wagen und steigen Sie sofort aus.“ Ihre Stimme ist laut und kräftig. Der helle, weiße Strahl der Stablampe ruckt zwischen Fahrersitz und Beifahrersitz hin und her; dann zieht sie ihren Ausweis aus der Tasche und zeigt ihn vor. Alena starrt auf die Beifahrerseite, auf den reglosen Rücken von Brigitte Dahlem. Eine endlose Sekunde vergeht, dann klappert etwas auf den Asphalt. Auf der Fahrerseite. Alenas Kehle wird eng. Pia spurtet auf die Seite des Wagens und hebt die Waffe auf, die sie jetzt auf den Mann richtet, der langsam und mit erhobenen Händen aussteigt. „Drehen Sie sich um und legen Sie die Hände auf das Wagendach. Beine auseinander.“ Und in Alenas Richtung: „Sagen Sie, wir brauchen dringend einen Krankenwagen!“

Nach dem Telefonat steht Alena langsam aus ihrer Hocke auf und geht mit wackeligen Knien auf die Konstellation zu, die, beleuchtet von den Straßenlampen, wie die Szene aus einem Film wirkt. Sie nimmt den Wagen mit den geöffneten Türen wahr, den gesenkten Kopf des Mannes, der von Pia abgesucht wird, den schwarzen Rücken von Frau Dahlem. Die Waffe auf den Mann gerichtet, ruft Pia jetzt ins Wageninnere: „Brigitte Dahlem, hören Sie mich?“ Dann sieht sie Alena in den Lichtkegel treten, ihre Blicke treffen sich. „Alles in Ordnung, Alena?“ Sie nickt stumm und geht weiter auf die Beifahrertür zu.

„Krause, gehen Sie um den Wagen herum und legen Sie sich mit dem Gesicht nach unten auf die Straße. Wenn Sie sich rühren, schieße ich aus Notwehr,“ befiehlt Pia. Als Krause sich mit ausgestreckten Armen auf den Asphalt gelegt hat, kommt sie an Alenas Seite. „Wir versuchen, sie aus dem Wagen zu kriegen. Können Sie unter ihre Arme greifen und ihren Oberkörper herausziehen?“ Aus der Nähe sieht man das Blut auf dem schwarzen Pulli der Dahlem glänzen. Alena beisst sich auf die Lippen und schiebt vorsichtig ihre Arme unter den Achselhöhlen der Frau durch; als ihre Finger in etwas Nasses, Glitschiges in Bauchnähe greifen, zuckt sie zusammen. Dann zieht sie, erst sanft, dann etwas stärker, während Pia den Kopf der Dahlem nach unten drückt und gleichzeitig mit der Waffe den Mann auf dem Asphalt im Auge behält. Schließlich ist der Oberkörper frei und sinkt schlaff gegen Alenas Brust; sie spürt den Pferdeschwanz an ihrer Wange, während sie mit Pias Hilfe die Frau aus dem Wagen holt und rücklings auf den Bürgersteig legt. Sofort zieht Pia ihre dunkelblaue Jacke aus und stopft sie unter den Kopf der Frau.

Brigitte Dahlem ist bleich, ihre Augen sind geschlossen. Als Pia ihren Kopf anhebt, beginnt sie plötzlich zu husten, und ein Blutschwall fließt aus ihrem Mund. Pia flucht leise und murmelt: „Halten Sie durch, der Krankenwagen kommt gleich.“ Brigitte Dahlem öffnet die Augen, ihr Blick geht von Pia zu Alena und bleibt dort hängen. Ihr Mund bewegt sich, aber es kommt nur ein Gurgeln hinaus. „Versuchen Sie nicht zu reden,“ drängt Pia und wischt mit einem Papiertaschentuch das Blut vom Mund der Frau. Hilflos starrt Alena auf die Augen der Dahlem, als könne sie dort lesen, was die Frau sagen will. In Brusthöhe ist die Stelle zu sehen, in die die Kugel eingedrungen ist, immer mehr Blut fließt dort aus. Pia zieht ihr graues Sweatshirt aus und drückt es mit einer Hand auf die Wunde um den Blutfluss zu stoppen. „Wann kommt endlich der verdammte RTW,“ zischt sie. Ihr Blick fällt auf die bewegungslose Gestalt auf der Straße und sie wünscht sich, sie könnte ihre Wut an dem Mann auslassen, der sein Gesicht in das Asphalt drückt. Unter dem Pulli hat sie nur ein T-Shirt mit kurzen Armen an, aber sie spürt keine Kälte.

Alena hat die Hand der Dahlem genommen und hält sie. Plötzlich wird ihr bewusst, wie still es ist. Sie schaut nach oben, aber nirgendwo brennt Licht. Trotzdem kann sie die Gesichter hinter den Scheiben spüren, die Gaffer, die nichts mit dem zu tun haben wollen, was hier unten passiert; und das taube Gefühl in ihr wird vom Zorn verdrängt, der kurz und heftig auflodert. Als er wie ein Streichholz verglimmt, breitet sich eine Traurigkeit in ihrem Bauch aus, ein schwarzer See, der immer höher steigt, mit dunklem Wasser so dick wie Öl.

Endlich hören sie aus der Ferne das Horn des Rettungswagens.

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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