92: Bekanntschaft mit Bergmann
Eine Stunde später steht sie mit einem Sektglas in der Hand im Festsaal der Universität und betrachtet versonnen die hohen Fenster, die bis an die cremefarbene, stuckverzierte Decke reichen. Kristallleuchter tauchen den Raum in honigfarbenes Licht. Die Wände sind mit rotem Brokat bespannt und auf dem Boden liegt alter dunkler Parkett. Eine langgezogene Tafel mit weißen Damasttischdecken, auf denen das goldumränderte Porzellan und schlanke Gläser angeordnet sind, steht mitten im Raum. Klavierklänge mischen sich harmonisch mit dem Gemurmel vieler Stimmen, hin und wieder ist ein klingendes Lachen zu hören. Pia würde lügen, wenn sie behaupteten würde, dass ihr die Atmosphäre nicht gefällt.
„Langweilig, nicht wahr.“ Ein junger Typ mit blonden Haaren in einem engen dunkelroten Cordanzug ist an Pias Seite getreten. „Sie sind bestimmt Frau Stein.“ – „Stein-Bachmüller,“ korrigiert Pia und ein Grinsen überfliegt das schmale Gesicht des Blonden. Er hält ihr seine Hand hin und Pia betrachtet ihn stirnrunzelnd. „Gehören Sie zur Universität?“ Das Grinsen wird breiter, aber die Hand vorsichtshalber zurück gezogen. „Entschuldigen Sie, ich hätte mich vorstellen sollen. Meine Name ist Jochen Bergmann, Professor für Neuere Deutsche Geschichte.“ Mit einer verlegenen Geste fährt er sich durch die unordentlichen blonden Strähnen. „Ich hatte in letzter Zeit interessante Gespräche mit Ihrem Mann, Professor Stein. Über den RAF-Terrorismus.“
Pia seufzt innerlich. Sie erinnert sich an ihren Vorsatz, als nette und angenehme Gesprächspartnerin aufzutreten. Den Anfang hat sie komplett versaut. Aber der in ihren Augen ungewöhnlich junge Professor scheint die Abfuhr nicht übel zu nehmen. In dem Fall kann sie sich also mühsam gespielte Höflichkeit sparen. Sie nickt daher kühl und sagt: „Guten Abend.“ Bergmann sieht über seine Schulter. „Möchten Sie etwas trinken?“ Sein Blick fällt auf das leere Glas in ihrer Hand. „Ich hole uns noch was von dem Zeug.“ Er nimmt ihr das Glas aus der Hand und geht mit großen Schritten zu einer schwarz gekleideten Serviererin mit einem Tablett in der Hand. Pia beobachtet ihn amüsiert. Er ist definitiv der einzige Mann im Raum, der keinen schwarzen Anzug trägt. In Grüppchen stehen die Angehörigen der Universität mit ihren Ehefrauen zusammen und weiter hinten im Raum winkt Christopher ihr entschuldigend zu. Sie schüttelt leicht den Kopf um zu signalisieren, dass er sie problemlos allein lassen kann. Dann hält Bergmann ihr ein gefülltes Glas hin.
„Ich wurde quasi gezwungen, an dem Essen teilzunehmen,“ erklärt er düster. „Ich bin Juniorprofessor und man erwartet, dass ich mich anpasse, wenn ich meine Karriere an dieser ehrwürdigen Institution fortsetzen möchte.“ Pia zuckt mitleidlos mit den Schultern. „Ihr Problem. Aber Sie werden es überleben.“ Bergmann starrt sie neugierig an. „Ihr Mann hat erzählt, dass Sie bei der Kripo arbeiten.“ Pia verdreht die Augen. „Sie erwarten jetzt nicht von mir, dass ich Ihnen meine blutigsten Fälle erzähle. Vergessen Sie´s.“ Bergmann legt den Kopf zurück und lacht laut auf. „Wenn ich ehrlich bin, hatte ich darauf spekuliert, heute abend mit ein paar Morden unterhalten zu werden. Aber auch das werde ich überleben.“ Er prostet ihr zu und Pia hebt ihr Glas in seine Richtung, ehe sie einen kleinen Schluck nimmt.
„Kennen Sie Leute aus der linken, radikalen Szene, oder lesen Sie nur Bücher,“ fragt Pia den jungen Professor. Wieder das Grinsen. „Ich lese nur Bücher. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es mir weiterhelfen würde, wenn ich mich mit den alten Recken unterhalten würde.“ Sein Ton ist ironisch. Dann fragt er erwartungsvoll: „Und Sie, haben Sie im Laufe Ihrer Tätigkeit schon mal mit RAF-Terroristen zu tun gehabt?“ Kühl fragt Pia: „Für wie alt halten Sie mich eigentlich? Ich war noch Berufsanfänger, als 1992 das De-Eskalationsschreiben verfasst wurde.“ Das blasse Gesicht Bergmanns färbt sich rot und für einen Moment fehlen ihm die Worte. Pia spürt, dass sie eigentlich keine Lust hat ihn zu ärgern und setzt ein versöhnliches Lächeln auf. „Lassen Sie sich nicht verunsichern. Es gehört zu meinem Beruf, dumme Gegenfragen zu stellen.“ Bergmanns Gesicht hellt sich wieder auf und sofort stürzt er sich auf das Stichwort, dass sie ihm unfreiwillig gegeben hatte. „Interessant, dass Sie das Schreiben von 1992 erwähnen. Ich habe mich lange damit beschäftigt, weil es eine Menge über die Entwicklung der Gruppenstrukturen der späten Generationen aussagt.“ Pia unterbricht ihn, weil sie eigentlich mehr an der zweiten Generation interessiert ist. Ohne viel nachzudenken sagt sie: „Um auf Ihre Frage zurück zu kommen: ich habe tatsächlich seit kurzem beruflich mit der RAF zu tun.“
„Langweilig, nicht wahr.“ Ein junger Typ mit blonden Haaren in einem engen dunkelroten Cordanzug ist an Pias Seite getreten. „Sie sind bestimmt Frau Stein.“ – „Stein-Bachmüller,“ korrigiert Pia und ein Grinsen überfliegt das schmale Gesicht des Blonden. Er hält ihr seine Hand hin und Pia betrachtet ihn stirnrunzelnd. „Gehören Sie zur Universität?“ Das Grinsen wird breiter, aber die Hand vorsichtshalber zurück gezogen. „Entschuldigen Sie, ich hätte mich vorstellen sollen. Meine Name ist Jochen Bergmann, Professor für Neuere Deutsche Geschichte.“ Mit einer verlegenen Geste fährt er sich durch die unordentlichen blonden Strähnen. „Ich hatte in letzter Zeit interessante Gespräche mit Ihrem Mann, Professor Stein. Über den RAF-Terrorismus.“
Pia seufzt innerlich. Sie erinnert sich an ihren Vorsatz, als nette und angenehme Gesprächspartnerin aufzutreten. Den Anfang hat sie komplett versaut. Aber der in ihren Augen ungewöhnlich junge Professor scheint die Abfuhr nicht übel zu nehmen. In dem Fall kann sie sich also mühsam gespielte Höflichkeit sparen. Sie nickt daher kühl und sagt: „Guten Abend.“ Bergmann sieht über seine Schulter. „Möchten Sie etwas trinken?“ Sein Blick fällt auf das leere Glas in ihrer Hand. „Ich hole uns noch was von dem Zeug.“ Er nimmt ihr das Glas aus der Hand und geht mit großen Schritten zu einer schwarz gekleideten Serviererin mit einem Tablett in der Hand. Pia beobachtet ihn amüsiert. Er ist definitiv der einzige Mann im Raum, der keinen schwarzen Anzug trägt. In Grüppchen stehen die Angehörigen der Universität mit ihren Ehefrauen zusammen und weiter hinten im Raum winkt Christopher ihr entschuldigend zu. Sie schüttelt leicht den Kopf um zu signalisieren, dass er sie problemlos allein lassen kann. Dann hält Bergmann ihr ein gefülltes Glas hin.
„Ich wurde quasi gezwungen, an dem Essen teilzunehmen,“ erklärt er düster. „Ich bin Juniorprofessor und man erwartet, dass ich mich anpasse, wenn ich meine Karriere an dieser ehrwürdigen Institution fortsetzen möchte.“ Pia zuckt mitleidlos mit den Schultern. „Ihr Problem. Aber Sie werden es überleben.“ Bergmann starrt sie neugierig an. „Ihr Mann hat erzählt, dass Sie bei der Kripo arbeiten.“ Pia verdreht die Augen. „Sie erwarten jetzt nicht von mir, dass ich Ihnen meine blutigsten Fälle erzähle. Vergessen Sie´s.“ Bergmann legt den Kopf zurück und lacht laut auf. „Wenn ich ehrlich bin, hatte ich darauf spekuliert, heute abend mit ein paar Morden unterhalten zu werden. Aber auch das werde ich überleben.“ Er prostet ihr zu und Pia hebt ihr Glas in seine Richtung, ehe sie einen kleinen Schluck nimmt.
„Kennen Sie Leute aus der linken, radikalen Szene, oder lesen Sie nur Bücher,“ fragt Pia den jungen Professor. Wieder das Grinsen. „Ich lese nur Bücher. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es mir weiterhelfen würde, wenn ich mich mit den alten Recken unterhalten würde.“ Sein Ton ist ironisch. Dann fragt er erwartungsvoll: „Und Sie, haben Sie im Laufe Ihrer Tätigkeit schon mal mit RAF-Terroristen zu tun gehabt?“ Kühl fragt Pia: „Für wie alt halten Sie mich eigentlich? Ich war noch Berufsanfänger, als 1992 das De-Eskalationsschreiben verfasst wurde.“ Das blasse Gesicht Bergmanns färbt sich rot und für einen Moment fehlen ihm die Worte. Pia spürt, dass sie eigentlich keine Lust hat ihn zu ärgern und setzt ein versöhnliches Lächeln auf. „Lassen Sie sich nicht verunsichern. Es gehört zu meinem Beruf, dumme Gegenfragen zu stellen.“ Bergmanns Gesicht hellt sich wieder auf und sofort stürzt er sich auf das Stichwort, dass sie ihm unfreiwillig gegeben hatte. „Interessant, dass Sie das Schreiben von 1992 erwähnen. Ich habe mich lange damit beschäftigt, weil es eine Menge über die Entwicklung der Gruppenstrukturen der späten Generationen aussagt.“ Pia unterbricht ihn, weil sie eigentlich mehr an der zweiten Generation interessiert ist. Ohne viel nachzudenken sagt sie: „Um auf Ihre Frage zurück zu kommen: ich habe tatsächlich seit kurzem beruflich mit der RAF zu tun.“
Flannery Culp - 6. Apr, 17:11