50: Blutsbande?
Alena starrt Kaspar an, der langsam auf ihren Schreibtisch zugeht und sich dann in den Drehstuhl fallen lässt. Er streckt seine Beine lang aus, als er erklärt: „Nein. In meiner Geburtsanzeige findet sich nur ein kleiner Strich an der Stelle, wo der Name des Vaters stehen sollte. Vermutlich ist das keine Seltenheit gewesen, zur damaligen Zeit.“ Als Alena ihn damals gefragt hatte, bekam sie eine ähnliche Antwort, mit der gleichen Mischung aus gespielter Langeweile und vorgetäuschter Abgeklärtheit. Sie beobachtet wie Pia die Antwort aufnimmt, die sie wahrscheinlich sowieso bereits kannte. Pia bleibt unbeeindruckt. „“Haben Sie nie versucht, den Namen heraus zu bekommen?“ Kaspar verzieht sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen und langsam bekommt Alena den Eindruck, als wenn ihm die Situation Spaß macht. „Es könnte so ziemlich jeder sein, der damals in diese WG ein- und ausgegangen ist.“ Pia hebt ihre Augenbrauen. „Sie haben keine gute Meinung von Ihrer Mutter, nicht wahr?“ Kurzfristig färbt sich Kaspars Gesicht sehr rot. „So war das eben in den 70ern. Kommunen. Sie wissen schon, wer zweimal mit der gleichen pennt… .“ Er fährt sich nervös durch seine Haare. „Ich halte meine Mutter nicht für ein Flittchen, wenn Sie das meinen. Viele Sexualkontakte gehörten damals wahrscheinlich zu den Mitteln, mit denen man sich von der bürgerlichen Gesellschaft abgrenzen wollte.“ Wohl aufgrund der offensichtlichen Klischeelastigkeit dieser Ansichten wird Kaspar noch ein bisschen roter. Pia lächelt, aber es steckt wenig Humor darin. „Haben Sie Brigitte Dahlem nach Ihrem Vater gefragt? Oder haben Sie das noch vor? Vielleicht weiß sie etwas. Haben Sie jemals daran gedacht, dass es Hoffmann sein könnte? Sie hat mit ihm in Berlin zusammengelebt und ist mit ihm nach Frankfurt gegangen.“ Kaspar zuckt mit den Schultern. „Klar habe ich das in Erwägung gezogen. Aber ich habe keine Ahnung, ob sie 1970 schon zusammen waren.“ Er sieht Pia nachdenklich an, als er fortfährt: „Ich konnte bisher niemanden fragen, weil ich keinen ihrer alten Freunde kannte. Vielleicht versuche ich es bei Frau Dahlem. Allerdings vermute ich, dass sie nicht besonders scharf darauf ist, von mir nach meiner Mutter ausgefragt zu werden.“ Alena spürt seinen Blick auf sich und dreht sich zu ihm. Sie nickt. „Den Eindruck habe ich auch. Schon damals hatte sie dich abgewiesen, als du sie im Gefängnis angeschrieben hast. Ich frage mich, warum jemand so etwas tut. Es hätte sie doch nichts gekostet, Dir etwas über deine Mutter zu erzählen. Es hätte ihr ja auch daran gelegen sein können, das Bild von deiner Mutter zurecht zu rücken. Sie für dich in einem positiven Licht erscheinen zu lassen.“ Sie bemerkt Kaspars Anspannung, aber redet weiter. „Und als du sie jetzt vor kurzem angerufen hast, ging es ihr wohl vor allem um das Buch. Sie hat meiner Meinung nach schon damit gerechnet, dass du sie zwischendurch mal nach Marianne Wagenbach fragen würdest, aber ich glaube, sie hätte abgeblockt, wenn sich herausgestellt hätte, dass das Buch nur ein Vorwand ist, um sie auszuquetschen.“ Kaspar nickt vorsichtig. „Sie war ziemlich ausweichend, als du sie nach Hoffmann und meiner Mutter gefragt hast.“ Alena starrt ihn an. Sie erinnert sich daran, dass Brigitte Dahlem erzählt hat, dass Wagenbach und Hoffman ein Paar waren. Kaspar kannte dieses Detail bereits, er hatte es Alena vor ein paar Jahren erzählt, zu der Zeit, als sie sich noch öfter sahen. Brigitte Dahlem gegenüber brachte er statt dessen zum Ausdruck, dass er überhaupt nichts vom Leben seiner Mutter wusste. Ein Trick, um mehr aus ihr herauszuholen? Wieder kommt ihr Kaspar so fremd vor, so undurchschaubar. Pia konzentriert die Konversation auf den Punkt, der sie interessiert. „Also gibt es einen Grund, aus dem die Dahlem nicht über Marianne Wagenbach reden will.“ Fast gleichzeitig wenden Kaspar und Alena ihr den Kopf zu. „Das habe ich nicht gesagt,“ behauptet Kaspar schnell. „Sie ziehen Ihre Schlüsse aus den subjektiven Eindrücken, die wir gewonnen haben. Das ist schlimmer als Spekulation.“ Pia grinst. „Manchmal erkennt der unbeteiligte Beobachter schneller die Tatsachen hinter dem ganzen Gerede. Und ich glaube, auch Sie selbst können nicht leugnen, dass diese Annahme nicht vollkommen abwegig ist.“
Flannery Culp - 30. Dez, 20:07