Dienstag, 12. Dezember 2006

sternkleinsternkleinsternklein

43: Perspektiven?

Kaspar ist durch stundenlang durch die Stadt gelaufen, kopflos, wie jemand, der etwas Wichtiges verloren hat, etwas Essentielles, aber keine Ahnung hat, wo er es wiederfinden kann. Und was es ist. Irgendwann hat er versucht etwas zu essen, aber das Stück Pizza widerte ihn in dem Moment an, als er es in den Mund stecken wollte. Danach bot sich ein leerer Stuhl in einem Cafe an, wie der letzte Ort, wo er hingehen konnte. Von dort aus rief er auf der Arbeit an und entschuldigte sein Fernbleiben mit Krankheit. Sein Chef zweifelte keinen Moment daran, dass Kaspar tatsächlich krank war. „Himmel, Sie hören sich furchtbar an. Bleiben Sie zu hause und kurieren sich aus.“ Stecken Sie uns nicht an, mit was auch immer, schien er sagen zu wollen, und wenn es tödlich ist, sterben Sie irgendwo weit weg von der Firma. Es ist bewölkt und etwas windig. Eine Frau mit Top geht an ihm vorbei und verschränkt die Arme vor der Brust. Bei Kaspar setzt nach der dritten Tasse Kaffee der Beruhigungseffekt ein, ähnlich der Erfahrung, dass starker Schmerz plötzlich nachlässt, wenn man mit einem weniger starken Schmerz konfrontiert wird. Dafür beginnt sein Hirn zu arbeiten und alles wieder aufzurollen. Er sieht Pias Gesicht dicht vor seinem, diese Maske eisiger Entschlossenheit. Was ihn jedoch sehr viel mehr beunruhigt ist der Jagdtrieb, den er dahinter verspürt hatte, eine Lust am Treiben und Fangen. Mit der Empathie eines Exzentrikers erkennt er ihn ihr die Pathologin und das trägt vor allem dazu bei, dass er völlig schwarz sieht, was seine Zukunft und sein Strafregister angeht. Es ist sinnlos sich zu wehren. Sie wird nicht nachlassen, nicht aufhören zu suchen, dicht an seinen Fersen kleben. Er kann nichts vor ihr verbergen. Der Gedanke kriecht in sein Hirn und beginnt dort zu suchen. Und findet. Abgestumpft bestellt Kaspar noch eine Tasse Kaffee und diesmal ein Stück Obstkuchen dazu. Zweiter Versuch. Eine Papiertüte mit dem Logo einer Kaufhauskette fliegt an ihm vorbei. Alles ist im Fluss. Was nun? Er könnte hier für den Rest der Ewigkeit sitzen bleiben. Er sieht sich auf dem Stuhl hängen, nachts mit dem Kopf auf dem Tisch schlafend, morgens als erster Kunde einen Milchkaffee und Hörnchen bestellend, kurz ins WC laufen um sich zu rasieren. Ein gutes Leben. Jedes Leben ist besser als das was er führt. Als der Kaffee kommt klingelt das Telefon. Erst registriert er nicht, dass es sein Handy ist. Dann hat er keine Lust, den Anruf anzunehmen. Es klingelt weiter, schickt einen schrillen Ton in die nächste Windbö und hängt den nächsten Ton nahtlos an. Es wird niemals aufhören zu klingeln, denkt Kaspar und fühlt sich hilflos. Er holt das Handy aus der Tasche und sieht auf das Display. Fokussiert. Sieht hoch, auf einen Punkt der nicht existiert. Starrt erneut auf das Handy. Kann es nicht glauben. Es ist Alena.


Brigitte Dahlem und Pia sitzen sich gegenüber wie bei einem Wettkampf, bei dem der erste Kandidat verliert, der den Blick abwendet. Unerwarteterweise kam Frau Dahlem ihren Bürgerpflichten prompt und ohne langwierige Einwände nach und meldete sich vor ein paar Minuten unten bei dem diensthabenden Kollegen. Ohne Worte nickten die beiden Frauen sich zu, fasziniert beobachtet von Riesel, der sich an seinen Schreibtisch verzogen hatte, als ob dieser Schutz vor den zu erwartenden Kollateralschäden bieten würde. Ohne Einleitung beginnt Pia: „Wo haben Sie sich Dienstag Abend aufgehalten?“ Brigitte Dahlem trägt eine dunkelgraue Bluse und Jeans. Die Haare sind straff zurückgebunden, was ihre Gesichtszüge noch härter macht. Einen Moment fixiert sie Pia und runzelt dann die Stirn. „Warum ist das wichtig?“ Pia verzieht keine Miene. „Dienstag Abend?“ Mit dem Gesichtsausdruck einer Frau, die sowieso nichts als sinnentleerte Schikane auf einer Polizeibehörde erwartet, antwortet Brigitte Dahlem lakonisch: „Ich war zu hause. Habe Ferngesehen. Wer wird Millionär, war es glaube ich. Habe ich ein Alibi, wenn ich die Zwangzigtausendeurofrage wiederholen kann?“ Pia wirft Riesel einen Blick zu. „Protokollieren Sie das. Kein Alibi.“ Brigitte Dahlem verzieht genervt einen Mundwinkel nach oben. „Und wofür brauche ich ein Alibi?“ Kaspar Wagenbach hatte eine ähnliche Frage gestellt, erinnert sich Pia und vergleicht den nervösen jungen Mann mit der abgebrühten älteren Frau, die vor ihr sitzt. Sie grinst innerlich. "Dienstag Abend wurde ein Bekannter von Ihnen erschossen. Und wir fragen uns, ob Sie etwas damit zu tun haben.“ Wieder kommt das Photo zum Vorschein und diesmal entdeckt Pia einen Anflug von Betroffenheit auf Dahlems Gesicht. Eine Sekunde später ist der Eindruck verschwunden und Brigitte Dahlem blickt Pia mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Was ist passiert?“ – „Sagen Sie es mir,“ antwortet Pia im Plauderton. Dann legt sie ihre Unterarme auf den Tisch. „Kannten Sie Burgs Aufenthaltsort?“

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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