Sonntag, 19. November 2006

sternkleinsternkleinsternklein

32: Unruhe

Pia dreht sich zu Riesel um. „Burg ist weg. In der Wohnung ist er nicht und auf der Arbeit ist er auch nicht wieder aufgetaucht. Allerdings haben die Kollegen verifiziert, dass es sich bei Brückner tatsächlich um Burg handelt. Die Leiterin des Altenheims hat ihn anhand des Fotos identifiziert. Die Kollegen haben die Fahndung eingeleitet“ Sie beginnt erneut, mit den Fingern auf der Tischplatte zu trommeln, als wenn sie dadurch die Suche beschleunigen könnte. „Die Kollegen werden sich jetzt das Apartment ansehen, das Burg unter dem Namen Brückner für ein halbes Jahr gemietet hat. Aber Brenner von der Kripo Freiburg hat bereits anklingen lassen, dass die Räume eher spartanisch eingerichtet sind, um nicht zu sagen, fast völlig leer stehen.“ Ein Stirnrunzeln zeigt an, dass sie diesen Umstand in ihrem Kopf hin und her wälzt. „Der Zeitvertrag auf der Arbeit. Das Apartment für sechs Monate. Freiburg sollte definitiv nur ein Intermezzo sein, das in zwei Monaten geendet hätte. Warum hat er sich die ganze Mühe gemacht?“ Sie sieht Riesel skeptisch an. „Um bei seiner Mutter zu sein? Er hätte sie doch einfach besuchen können. Er wird schließlich nicht gesucht. Er muss sich nicht verstecken.“ Vorsichtig wirft Riesel ein: „Und wenn doch?“ Pia starrt ihn an. Diese Option entbehrt momentan jeder Grundlage, trotzdem ist sie es wert, im Hinterkopf behalten zu werden. Sie seufzt tief auf. Es bringt nichts, jetzt auf den nächsten Anruf aus Freiburg zu warten. „Was haben Sie heute noch vor? Ich werde mich jetzt mal den Berichten aus Frankfurt widmen.“ Riesel zuckt mit den Schultern. „Ich versuche es noch einmal bei Marianne Wagenbachs Sohn. Vielleicht ist er heute Nachmittag zu hause.“ Dann sieht er den Zettel auf seinem Schreibtisch. „Gut, und außerdem werde ich versuchen, Harald ausfindig zu machen.“ Pia nickt sein lakonisches Grinsen mit unbewegtem Gesicht ab.

Die Berichte der Frankfurter Polizei hinsichtlich der Überwachung von Robert Kochs Vater sind wenig informativ. Herrmann Koch wurde zwei Wochen lang beschattet, nachdem sich die Spur von Robert Koch in der DDR verloren hatte. Vorher hatte das BKA den Tipp vom Bundesamt für Verfassungsschutz erhalten, dass Robert Koch anscheinend vom Monitor der Stasi verschwunden sei. Letztlich war die Überwachung von vornherein fruchtlos, da davon auszugehen war, dass jegliche Aktion zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen war. Dementsprechend wurde das Verhalten Herrmann Kochs als überaus normal und unauffällig geschildert. Dies betraf auch seine Kontakte, die sich in diesem Zeitraum ausschließlich auf Geschäftskunden und private Freunde beschränkten. Frustriert wirft Pia die Akten an den Rand ihres Schreibtisches. Sackgasse. Es würde nicht einfach sein, Robert Koch ausfindig zu machen. Und doch hatte Schwarz von irgendwem mit Namen Harald den Hinweis erhalten, dass Schwarz sich in Altenburg aufhalten sollte. Wo könnte er sein? Unter welchem Namen? Sie beißt sich auf die Lippen. Das Dossier, das Riesel angefertigt hatte, enthält ein Foto von Koch im Alter von 20 Jahren. Blonde, etwas zu lange Haare. Blaue Augen. Nicht unattraktiv. Weicher Mund. Er sieht nicht aus wie ein Terrorist, eher wie ein reiches Kind, das ein wenig Abenteuer will. Aber das sind die Interpretationen von jemandem, der die ganze Geschichte kennt, denkt Pia. Die langweiligen Familienväter, die ihre Frauen ermorden, sehen im Nachhinein auch immer wie gewissenlose Mörder aus. Außerdem kennt sie die ganze Geschichte von Koch nicht. Vielleicht wollte er tatsächlich Revolution machen und ist aus der DDR in den Nahen Osten verschwunden. Vielleicht ist er von dort irgendwann und aus irgendwelchen Gründen nach Altenburg gekommen. In das verschlafene, gelehrte, langweilige Altenburg. Pia verdreht ihre Augen angesichts der Abstrusität dieses Gedankens. Sie sieht sich erneut das Dossier an. Robert Koch hatte ein Studium abgebrochen, als er sich der RAF anschloss. Philosophie in Frankfurt. Müde reibt sie ihre Augen und nimmt dann entsetzt ihre Hände weg, mit denen sie ihr Mascara verwischt hat. „Auch das noch,“ murmelt sie verzweifelt. Als sie im Waschraum mit einem feuchten Papierhandtuch versucht, die schwarzen Striche unter ihren Augen zu entfernen, fällt ihr erneut das Foto von Koch ein. Philosophie. Es kann nichts schaden, ihrem Mann eine Kopie des Fotos zu zeigen. Vielleicht ähnelt der 20-jährige darauf einem seiner Kollegen….

Entspannt schließt Alena die Haustür auf. Sie war ein wenig spazieren und hatte sich dann mit einem Buch in den kleinen Park in ihrem Viertel gesetzt; ganz entgegen ihrer Gewohnheit, sich vor der Sonne in ihrer Wohnung zu vergraben. Heute hatte sie das unbestimmte Gefühl gehabt, dass ihre Wohnung, ihr geliebter Zufluchtsort, zu viele Schatten barg. Eigentlich liebte sie Schatten, die für sie Zeichen waren für etwas, das auf den ersten Blick verborgen lag. Wie die Schatten in der Höhle Platons. Flüchtige Hinweise auf Dinge, nach denen man forschen konnte, die man suchen musste und deren Entdeckung momentanes Glück bedeutete. Manchmal fühlte sie sich jedoch mit der Zweideutigkeit des Phänomens konfrontiert, mit der Assoziation von Schatten und dem Nichtgreifbaren aber Vorhandenen, dem Drohenden, der Erinnerung an etwas, das es zu vergessen galt. Auf dem Weg nach draußen, der einer kleinen Flucht ähnelte, blieb ihr Blick für eine Sekunde an der Tür in der Diele hängen, die immer verschlossen blieb. Dann war sie aus der Wohnung gestürmt, in die heiße Mittagsonne, die jeden Schatten auf ein Minimum reduzierte. Aber nun war das Gefühl vorbei und Alena freut sich auf die angenehme Kühle ihrer Wohnung, als sie das Telefon klingeln hört. Sie murmelt eine Fluch und beschließt, nicht abzuheben. Dann fällt ihr ein, dass es Pia sein könnte. Die determinierte, energische Pia, die immer wieder anrufen würde, bis Alena ans Telefon gehen würde, oder die vielleicht sogar bald vor ihrer Tür stehen würde. Also schließt sie die Augen, hebt den Hörer ab und wartet. Nicht Pias selbstbewusste Stimme kommt ihr aus dem Hörer entgegen, sondern die mit Panik aufgeladene Aufregung Kaspars. „Alena, die Polizei war heute bei mir. Ein Typ namens Riesel. Er hat mich zum Mord an Schwarz befragt.“

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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