Kapitel Drei

Samstag, 9. Dezember 2006

sternkleinsternkleinsternklein

42: die nächste Generation

Er hat keine Wahl, also erzählt er von seinen privaten Forschungen, nach seiner Mutter, nach Burg und Dahlem, nach Koch. Als er fertig ist blickt er in Pias unbewegtes Gesicht. Eine gefühlte Ewigkeit verstreicht, dann fragt sie völlig ruhig: „Und Sie finden das nicht krank? Sie würden nicht eventuell in Betracht ziehen, dass bei Ihnen eine Art ungesunde Besessenheit herrscht in Bezug auf die RAF?“ Kaspars Mund klappt auf. Er schließt ihn wieder und versucht verzweifelt, ihren Standpunkt zu verstehen. Er schafft es nicht. „Marianne Wagenbach war meine Mutter,“ versucht er. „Ich habe sie niemals kennen gelernt. Sie hat nie versucht mich zu sprechen, sie hat mich niemals angerufen, oder mir geschrieben. Sie hat sich umgebracht, ohne mir einen Brief zu hinterlassen.“ Er starrt verzweifelt in Pias kühles, maskenhaftes Gesicht. Es kann nicht sein. Wieso kapiert sie das nicht? Etwas heftiger fährt er fort: „Ich habe nur versucht zu verstehen. Ich wollte dahinter kommen, warum sie mich total vergessen hat, total verdrängt hat zugunsten dieser Organisation.“ Er holt tief Luft. Seine Stimme wird lauter ohne dass er es merkt. „Ich war ihr Sohn, und ich habe sie einen Dreck interessiert. Sie hat ihr ganzes Leben auf die RAF ausgerichtet, sie hat alles geopfert, alles aufgegeben, sie hat erst im Untergrund gelebt, dann versteckt in der DDR und schließlich hat sie sogar ihr Leben weggeworfen. Alles für diese verdammte Scheiß-RAF. Und ich wollte verdammt noch mal wissen, was daran so toll war. Was sie so faszinierte, dass ich ihr scheißegal war.“ Die letzten Worte schreit er fast. Pia bleibt vollkommen ruhig, als er keuchend abbricht. Hektisch dreht er sich zu Riesel um, der einen roten Kopf bekommen hat und leicht hilflos wirkt. „Vielen Dank für die engagierte Erläuterung,“ kommt es aus Pias Richtung und er wendet sich ihr zu, nur um an ihren Eisaugen abgestoppt zu werden. „Wissen Sie, was mir Ihre Worte verraten?“ Ihr Gesicht kommt wieder näher und Kaspar ist nicht in der Lage zurück zu weichen. Hypnotisiert hört er ihren sachlichen, ungerührten Kommentar. „Dass Sie total kaputt sind. Dass Sie jeden Realitätsbezug verloren haben. Dass Sie nicht mehr relativieren können. Nicht mehr wissen, was richtig und was falsch ist. Und dass Ihnen alles zuzutrauen ist.“ Ihre Augen bekommen einen sanften Schimmer aber er weiß, dass das eine Lüge ist. „Wollen Sie sich rächen? An allen, die Ihnen Ihre Mutter weggenommen haben? An Schwarz, der sie in die DDR vertrieben hat? An Burg, der Teil des Kommandos war und darum Schuld daran ist, dass sie sich der RAF mit Haut und Haaren verschrieben hat? Geht es Ihnen besser wenn all diese Leute genauso tot sind wie Ihre Mutter? Wer ist als nächster dran? Brigitte Dahlem? Sie wissen, wo sie wohnt, oder?“ Er starrt sie an, sein Atem ist flach, sein Kopf total leer. Sie nimmt ihr Gesicht zurück und steht auf. „Danke für Ihr Erscheinen. Sie können gehen. Wir melden uns, wenn wir weitere Fragen haben.“

Als Kaspar aus dem Büro gestolpert ist, setzt sich Pia zurück auf den Schreibtischstuhl und sieht Riesel an, der einen mitgenommen Eindruck macht. „Ich könnte jetzt einen Kaffee vertragen. Wenn Sie so gut wären…“ Riesel beeilt sich zur Maschine zu gelangen. Als er die Glaskanne in die Hand nimmt, fragt er: „Woher wissen Sie, dass ein schwarzer Citroen am Tatort war?“ Pia seufzt auf. „Du lieber Himmel. Was glauben Sie denn? Das ist natürlich eine Erfindung, ich wollte nur sehen, wie er reagiert. Und machen Sie ruhig ein paar Tassen Kaffee mehr.“ Später sieht sie zu, wie schwarze Tropfen in die Kanne fallen. „Er ist definitiv seltsam,“ murmelt sie. „Warum haben Sie ihn gehen lassen,“ fragt Riesel in der nervösen Erwartung, etwas Dummes zu sagen. Wie erwartet erntet er einen herablassenden Blick. „Wir haben Nichts. Keinen einzigen Beweis. Ich halte es zwar nicht für unwahrscheinlich, dass er die Morde begangen hat, aber wir können es nicht nachweisen.“ Sie grinst leicht. „Noch nicht. Er ist jetzt zumindest unbalanciert genug, um vielleicht etwas falsch zu machen.“ Ungeduldig klopft sie mit dem Finger leicht gegen die Glaskanne. „Wieso dauert das so lange?“ Zu Riesel gewandt meint sie dann lächelnd: „Vielleicht dreht er ja total durch und versucht die Dahlem zu erschießen. Dann kriegen wir ihn.“ Riesel starrt sie an. „Sie können Ihn doch nicht auf Brigitte Dahlem hetzen in der Hoffnung, dass er ermordet.“ Pia zuckt mit den Schultern. „Wir haben natürlich ein Auge auf die Dahlem. Schon um in der Ersten Reihe zu sitzen, wenn Wagenbach mit gezogener Beretta vor ihr steht. Und natürlich können wir einen so guten Staatsbürger wie die Dahlem nicht einfach über die Klinge springen lassen.“ Sie grinst wieder, aber diesmal nur weil der Kaffee fertig ist. „Rufen Sie sie an um sie vorzuladen. Am besten heute noch. Auch wenn sie uns nichts sagen wird, wir müssen sie auf jeden Fall zu Burg befragen, daran führt kein Weg vorbei. Und vielleicht erzählen wir ihr auch schon mal, dass in Kürze die nächste Generation zu den Waffen greift.“

Freitag, 8. Dezember 2006

sternkleinsternkleinsternklein

41: die Schlinge zieht sich zusammen

„Sie haben versucht Burg im Gefängnis zu kontaktieren.“ Die Feststellung allein klingt bereits wie ein Anklagepunkt. „Was wollten Sie von ihm?“ Kaspar versucht sich zu konzentrieren. Langsam erklärt er: „Ich hatte damals so eine Phase, in der ich unbedingt mehr über meine Mutter herausfinden wollte.“ Er stockt und sieht Pia dann genau ins Gesicht. „Man hatte mich darüber unterrichtet, dass sie tot sei. Vorher wusste ich nur, dass sie unter falschem Namen irgendwo in der DDR lebte. Ich wusste weder wie sie hieß noch in welcher Stadt sie wohnte. Vielleicht hat es der Verfassungsschutz gewusst, aber niemand hat es mir jemals gesagt. Wieso auch, ich bin ja nur ihr Sohn.“ Pia starrt ihn an. „Wer hat Ihnen von dem Selbstmord erzählt?“ – „Verfassungsschutz. Ich habe einen Brief erhalten. Noch nicht einmal die Floskel: Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen. Nur die lapidare Feststellung, dass sie sich mit Schlaftabletten umgebracht hat.“ Interessiert hört Pia die Verbitterung heraus, die in Wagenbachs Worten steckt. „Daraufhin haben Sie Burg und Dahlem geschrieben und um ein Treffen gebeten.“ Sie zieht ihre Augenbrauen nach oben. „Was wollten Sie die beiden fragen? Was das Lieblingsessen Ihrer Mutter war? Oder ihre Lieblingswaffe?“ Mit der Bemerkung erreicht sie ihre Absicht prompt. Kaspar wird wütend. „Ich glaube kaum, dass Sie meine Situation verstehen können. Und ich finde auch nicht, dass Sie das Recht haben, sich darüber lustig zu machen.“ Ein winziges Zucken an seinen Augenlidern beginnt, das Pia nicht entgeht. „Haben Sie auch versucht von Schwarz Informationen zu erhalten?“ Vehement schüttelt Kaspar den Kopf. „Habe ich nicht, wie ich bereits sagte.“ Seine Stimme wird schneidend. „Was hätte ich schon von einem Bullen erfahren können? Die lügen doch, wenn sie den Mund aufmachen.“ Auf Pias Gesicht erscheint ein entzücktes Grinsen. „Wie niedlich, ganz die Mutter.“ Kaspar wird rot und atmet schwer ein und aus. Belustigt beobachtet Pia, wie er um seine Fassung ringt. Sie bringt ihr Gesicht näher an seins heran. „Besitzen Sie eine Waffe, Herr Wagenbach?“ Schweigend schüttelt er wieder den Kopf. „Haben Sie einen Wagen?“ Er nickt. „Marke, Alter, Farbe, Kennzeichen?“ Sie klingt ungeduldig. Er muss sich räuspern, weil seine Stimme belegt klingt. „Citroen, fünf Jahre alt, schwarz.“ Er nennt das Kennzeichen und sieht aus dem Augenwinkel, wie Riesel alles aufschreibt. Er scheint die ganze Zeit mitstenographiert zu haben. Kaspars Herz flattert wie ein eingesperrter und in Panik geratener Vogel. Er muss hier raus. Sofort. „Waren Sie Dienstag Abend mit dem Wagen unterwegs?“ – „Nein,“ presst er heraus. „Ich habe gearbeitet. Habe ich schon gesagt.“ Pias Gesicht ist undurchdringlich. „Und wenn ich Ihnen sage, dass ein älterer schwarzer Citroen Dienstag Nacht am Tatort gesehen wurde?“ Kaspars Atem geht stoßweise. „Ich war nicht weg. Ich war die ganze Nacht zu hause. Und ich weiß noch nicht einmal, wo dieser Tatort sein soll.“ Jetzt fällt ihm etwas ein und der Druck auf seiner Kehle lässt schlagartig nach. „Und Sie glauben doch nicht, dass ich es bis zum Abend noch bis nach Hamburg geschafft hätte? Ich war bis 19 Uhr auf der Arbeit, dafür habe ich Zeugen. Wenn ich direkt losgefahren wäre, hätte ich mindestens sieben Stunden gebraucht. Das ist Bullshit.“ Ein erleichtertes Grinsen macht sich auf seinem Gesicht breit, bis er das triumphierende Funkeln in ihren Augen sieht. Seine Mundwinkel schnappen zurück und ihm wird übel. Irgendwas hat er falsch gemacht. Irgendwas hat er ihr geliefert, das sie gut gebrauchen kann. Er muss nicht lange grübeln. „Sie wissen, dass Burg eine Zeitlang in Hamburg war? Das ist interessant. Hat er Ihnen eine Postkarte geschrieben?“ Sie legt ihren Kopf schief und mimt unschuldiges Interesse. Kaspar hasst sie.

Sonntag, 3. Dezember 2006

sternkleinsternkleinsternklein

40: Christopher und Pia

Die Kopie des Fotos ist gut. Christopher hat sie auf seinen Schreibtisch gelegt und betrachtet sie nachdenklich. Robert Koch im Alter von ca. 20 Jahren. „Es ist unwahrscheinlich. Völlig unwahrscheinlich. Aber ich möchte keine Möglichkeit auslassen,“ hatte Pia bemerkt, als sie ihm das Foto in die Hand drückte. Koch könnte sich in Altenburg aufhalten. Er könnte sein Philosophiestudium wieder aufgenommen haben. Er könnte an der Uni Altenburg lehren. Er könnte aber auch irgendwo im nahen Osten Bomben legen oder bereits tot sein. Christopher runzelt die Stirn. Der Mann auf dem Foto ist ihm völlig unbekannt. Und doch, dieser Mund. Die Augen. Diese blauen, herausfordernden Augen, deren Arroganz in einem seltsamen Gegensatz zu der weichen Zeichnung des Mundes steht. Christopher lehnt sich zurück und schließt kurz die Augen. Wieso glaubt er, dass ihm diese Features bekannt vorkommen? Einbildung? Suggestion seitens seiner Frau, die keinen Ort der Welt von der Infiltration durch das Verbrechen ausschließt? Christopher sieht sie vor sich, die steile Falte zwischen den Augen, die immer tiefer wird, der harte Zug um ihren Mund, der vor ein paar Jahren noch nicht da war. Als sie sich kennen gelernt hatten, auf einer Feier von Pias ehemaligen Vorgesetzten, waren ihre Gesichtszüge weicher gewesen, ihre Augen strahlender. Wie lange ist das her, acht Jahre? Er war damals noch Doktorand gewesen und sein Doktorvater ein guter Freund des Geburtstagskindes, das kurz vor seiner Pensionierung gestanden hatte und sämtliche Arbeitskollegen und Freunde zu einer riesigen Feier geladen hatte. Sein Doktorvater, Professor Brecht, ein massiger, humorvoller Mann, mit einer sprühenden Intelligenz und einem warmen Humor. Christopher lächelt, als er sich an ihn erinnert. Er sollte ihn bald mal wieder anrufen. Seitdem Brecht erimitiert war, ist der Kontakt dünn geworden. Dann sieht Christopher wieder Pia vor sich, die allein am Buffet stand und ihren Teller mit diversen Sorten Nachtisch füllte. Sie hatte aufgesehen und ihre Blicke trafen sich. Christopher kann wieder diesen Blitz spüren, dem ihm der Blick durch den ganzen Körper geschickt hatte. Warum gerade sie? Er weiß es nicht und wusste es auch damals nicht. Die letzte Beziehung hatte er anderthalb Jahre vorher beendet, weil ihm bewusst geworden war, dass ihm die Arbeit an seiner Doktorarbeit wichtiger war als die Gesellschaft seiner damaligen Freundin. Er war erleichtert gewesen, wieder Single zu sein, auf niemanden Rücksicht nehmen zu müssen, sich ganz auf seine Arbeit konzentrieren zu können. Keine Spur schlechten Gewissens. Eine kühle, egoistische Entscheidung, die ihm niemals verziehen worden war, was ihn nicht weiter gestört hatte. Es gibt Dinge, die sind wichtiger als Beziehungen. Vielleicht war es die Erkenntnis gewesen, dass es jemanden gab, der ähnlich dachte wie er. Die Selbstsicherheit in ihren Augen, die Bestimmtheit, die er wieder erkannte. Die Unabhängigkeit, die sie ausstrahlte, als sie abseits von ihren Kollegen stand, die mit Gläsern in der Hand einen abgeschlossenen Block bildeten, dicht beieinander Halt suchend und durch lautes Lachen ihre Zusammengehörigkeit demonstrierend. Sie hatte das nicht nötig, sagten ihre Augen. Sie schafft es allein, alles. Sie braucht niemanden. War die stumme Kommunikation ihrer Blicke derart gewesen? Ein bedauernder Zug umspielt Christophers Mund, dessen Augen noch immer geschlossen sind. Sie sind an einem Punkt angelangt, an dem ihrer beider Unabhängigkeit und die Ziele, denen sie ihr Leben verschrieben haben, zu zwei Parallelen geführt haben, die nebeneinander herlaufen. Noch sind die Linien so dicht, dass sie sich über den Zwischenraum verständigen können. Manchmal nähern sich die Linien einander an, wie im letzten Urlaub, als sie fast übereinanderlappten, zu einer Linie konvergierten. Sich aber jetzt wieder voneinander entfernen, in die alten Bahnen zurücklaufen. Wann werden sie so weit auseinander driften, dass sogar der Blickkontakt unmöglich wird? Unwillkürlich seufzt er auf und der hörbare Laut schreckt ihn aus seinen Grübeleien. So weit sollte es nicht kommen denkt er. Um sofort mit dem Gedanken konfrontiert zu werden: wer von ihnen beiden wird die Initiative ergreifen, diesen Linien einen Stoß auf einander zu zu geben? Wer wird die Energie dazu haben? Oder den Wunsch? Es tut weh, darüber nachzudenken und Christopher ist froh, als das Telefon klingelt und Frau Becker ihn an die Konferenz erinnert, die in zehn Minuten stattfindet.

Freitag, 1. Dezember 2006

sternkleinsternkleinsternklein

39: während des Verhörs

Die Schreibtischlampe brennt, weil die Vorhänge wieder zugezogen sind. Es ist still in der Wohnung. Das Leben läuft draußen weiter, ausgesperrt, nur mit leisen Straßengeräuschen macht sich bemerkbar, dass es eine Welt außerhalb der Wohnung gibt. Das Wohnzimmer ist leer. Die Bücher in den wandhohen dunklen Regalen umstehen den Raum und beherrschen das Blickfeld. Es scheint, als atmeten sie in die Stille, als bildeten sie eine eigene Lebensform. Durch den kleinen Flur in die Küche, in der niemand ist. Eine Tasse steht auf der Spüle, gefüllt mit kaltem Tee, dessen Öle einen schmutzigen Film auf der Oberfläche bilden. Die Küche ist hell im Gegensatz zum Wohnzimmer, die Nachmittagssonne füllt den Raum aus und wird von den weißen Möbeln kalt zurückgeworfen. Zurück im Flur fällt der Blick auf die Wohnungstür, die Ketten sind vorgelegt. Um in das Schlafzimmer zu gelangen, muss man das Wohnzimmer erneut betreten, diese düstere Höhle der Wörter, schnell hindurch, die Tür zum Schlafzimmer aufgestoßen – aber es ist ebenfalls leer. Das Bett ist ordentlich gemacht. Die Mille-Fleur-Tagesdecke ist aufgelegt, der Bronzespiegel über der bersteinfarbenen Kommode zeigt die weiße Zimmerecke. Es riecht nach Lavendel und Schlaf. Von der starrenden Anwesenheit der Bücher verfolgt, steht man erneut im Flur und blickt ratlos um sich. Die verschlossene Tür. Der Blick bleibt daran hängen, wie ein Magnet zieht das unscheinbare weiße Holz den Betrachter näher, bis er dicht davor steht. In die Stille horcht. Nichts. Doch, leiser Atem. Jemand ist in dem Zimmer. Kein anderes Geräusch, nur der Atem, wie hatte man ihn überhören können, das Geräusch des Lebendigen in der stummen, abwartenden Wohnung. Dann das Knarren eines Stuhls. Schritte die zur Tür führen, vor der man langsam, wie hypnotisiert zurückweicht, die Türklinke geht nach unten und die Tür öffnet sich. Alena, noch blasser als sonst, mit zusammengepressten Lippen und zu Fäusten geballten Händen.

Die Tür wird aufgerissen und ein Kollege aus der IT steckt den Kopf herein: „Ist Führmann vielleicht hier? Nein?“ Ohne eine Antwort abzuwarten knallt er die Tür wieder zu, dazwischen dringen Gesprächsfetzen in das Zimmer, lautes Lachen aus einem anderen Büro. Kaspar ist zusammengezuckt und versucht sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren. Pia hat den Zwischenfall anscheinend nicht registriert, sie hat die ganze Zeit über ihre Augen nicht von ihm genommen. Mit ihrer kühlen Stimme, die Kaspar in ein starres Stück Materie verwandelt, wiederholt sie: „Sie waren also letzte Woche Freitag zu hause, ganz allein, ohne Zeugen. Niemand, der Ihre Aussage bestätigen kann.“ Er nickt beklommen. Sein Atem ist flach und er fühlt sich schuldig. Sie sieht ihn an, mit eisigen blauen Augen. Seine Bewusstsein geht mit ihm durch, legt die Empfindungen schon im Wahrnehmen überzogen aus; das bewirkt die Angst. „Und wo waren Sie Dienstag Abend bzw. Nacht?“ Dienstag? Die unerwartete Frage rückt ihm den Kopf zurecht. Plötzlich ist er wieder ruhig. Kann wieder denken. „Wieso wollen Sie das wissen?“ Pia blinzelt, sie hat den Wechsel in ihm bemerkt. Enttäuscht, dass sie die auf Panik gründende Kontrolle verloren hat, fordert sie ihn brüsk auf: „Beantworten Sie einfach die Frage.“ Dienstag. Alena hat ihn abends angerufen, nachdem sie sich mit diesem blonden Monster getroffen hatte, das jetzt hinter dem Schreibtisch lauert. „Ich war zu hause und habe gearbeitet.“ Die Augen werden schmal. „Wieder kein Alibi? Wie dumm.“ Kein Lächeln begleitet die Worte, auch kein zynisches Verziehen der Mundwinkel. Gleichgültige Bestätigung eines Faktums. Kaspar holt tief Luft. Die Fenster sind geschlossen und das lässt ihn die Freiheit geradezu spüren, die hinter der hohen Mauer in der Warteschleife steht. „Warum brauche ich für Dienstag Abend ein Alibi?“ Seine Stimme ist fest und er ist stolz darauf. Anstelle einer Antwort hält Pia ihm nachlässig ein Foto hin. Ein bleiches Antlitz, die Augen geschlossen, dünnes blondes Haar. Kaspar braucht eine Weile, bis er ihn erkennt. Seine Nerven zittern. „Was ist damit?“ Pia zieht das Foto zurück und lässt es auf die Schreibtischplatte fallen. „Erkennen Sie ihn?“ Kaspar sieht sie an und versucht nachzudenken. Zwecklos. Er zuckt die Schultern. „Hans-Joachim Burg. Im gleichen Kommando wie Marianne Wagenbach. War lange im Knast.“ Er schaut sie unbewegt an. „Ist er draußen?“ Jetzt kräuseln sich Pias Mundwinkel ganz leicht, aber Kaspar bezweifelt, dass das ein gutes Zeichen ist. „Er ist draußen. Und tot.“ Kleine Spiralen beginnen in Kaspars Kopf zu laufen und drehen sich immer schneller. Er versucht zu verstehen, was er gerade gehört hat. Burg ist tot. Tot. Burg? Er schüttelt den Kopf. „Ich habe keine Ahnung,“ sagt er hilflos. „Ich weiß nichts davon. Ich weiß nichts.“ Eine Bewegung in seinem Augenwinkel veranlasst ihn, sich dem Polizisten zuzuwenden, der ihn in seiner Wohnung aufgesucht hatte. „Warum kommen Sie zu mir,“ fragt er. „Was habe ich damit zu tun?“ Riesel sieht zu Pia und Kaspar dreht seinen Kopf ebenfalls wieder in ihre Richtung. Es ist ihr Verhör. „Sagen Sie es uns. Und wenn Sie nichts damit zu tun haben, überzeugen Sie uns davon. Umso schneller sind Sie uns wieder los.“ Sie lächelt und Kaspar bekommt eine Gänsehaut.

Dienstag, 28. November 2006

sternkleinsternkleinsternklein

38: Pias Zwischenüberlegungen

Zufrieden hängt Pia den Hörer auf. „Lang ist sicher, dass Schwarz und Burg mit der gleichen Waffe getötet wurden. Und er würde sich jetzt außerdem eher auf Dienstag Nacht festlegen, was den Todeszeitpunkt angeht.“ Dann erinnert sie sich an etwas: „Haben Sie Wagenbach erreicht?“ Riesel nickt. „Er war nicht sonderlich begeistert von der Einladung und hat ein wenig herumgedruckst, aber er kommt heute Nachmittag um Drei, mit dem überdeutlichen Hinweis, dass er um fünf auf der Arbeit sein muss.“ Pia zuckt mit den Schultern. „Wir werden sehen.“ Ungeduldig blättert sie durch ihre Notizen. „Was haben wir bis jetzt? Einen toten Ex-Terroristenjäger und einen toten Ex-Terroristen. Hat der Ex-Terrorist den Ex-Polizisten getötet und wurde dann von einem Mitwisser oder Komplizen getötet, mit der gleichen Waffe, mit der auch Schwarz erschossen wurde? Wurden beide von einem dritten getötet? Von wem? Wer ist noch übrig von unserem munteren Quartett?“ Riesel murmelt die Namen Dahlem und Koch. „Robert Koch, der sich angeblich in Euskirchen aufhalten soll. Haben Sie diesen ominösen Harald ausfindig gemacht?“ Zurückhaltendes Kopfschütteln. „Ich habe keinen Harald beim BKA gefunden, mit dem Schwarz bekannt war. Wenn Harald bei einer anderen Behörde arbeitet, können wir lange suchen.“ – „Können Sie lange suchen,“ präzisiert Pia. Nachdenklich ergänzt sie: „Wenn wir diesen Harald finden, kann er wohlmöglich den Aufenthaltsort von Koch konkretisieren.“ Sie sieht aus dem Fenster, das auf den Innenhof der Dienststelle hinausgeht. Hinter der Betonmauer, die das Gelände einschließt, kann sie die Bäume des umliegenden Parks erkennen, dunkelgrüne Baumwipfel, in denen die Mittagssonne spielt. Für eine Sekunde schweifen ihre Gedanken in die Toskana, wo sie mit Christopher die letzten beiden Wochen verbracht hat. Sehr ruhige, sonnige Tage, fast schwerelos. Momente des Lachens, des unbeschwerten Plapperns, in denen sie wieder die Verbindung zu Christopher spürte, die in den letzten Jahren so dünn geworden ist. Momente, in denen sie sich selbst kaum wieder erkannte. „Vielleicht sollte ich die Unterlagen von Schwarz noch einmal durchgehen. Es könnte ja doch einen Hinweis auf die neue Identität von Koch geben, die bisher übersehen wurde.“ Riesels Vorschlag holt sie zurück in das Heute, zu den beiden Leichen und zu Briefen, die ein Stern mit einer Maschinenpistole ziert. „Es kann nichts schaden,“ murmelt sie und Riesel wartet vergeblich auf eventuelle zynische Spitzen. Stattdessen führt sie ihre Überlegungen fort, noch immer mit Blick aus dem Fenster. „Angenommen Koch ist der Mörder von Schwarz. Warum hat er die Briefe geschrieben? Wollte er sich an Schwarz rächen, ihm seine Pensionierung versauen? Aber ihm musste doch auch klar sein, dass er ihn aus der Reserve locken würde? Hat er es darauf ankommen lassen, wollte er vielleicht entdeckt werden, wollte er eine Art Shoot Out?“ Dann überzieht Frust ihr Gesicht. Riesel zugewandt erklärt sie: „Wir haben noch nichts, außer den zwei Leichen, einem Haufen Briefe, die uns nicht weiter bringen und eine Verdächtige, die nicht mit uns reden will.“ Eine leichte Falte erscheint zwischen ihren Augen, die ihr ein bedrohliches Aussehen verleihen. „Vielleicht kann uns ja Herr Wagenbach auf die Sprünge helfen.“

Sonntag, 26. November 2006

sternkleinsternkleinsternklein

37: Theorie und Praxis

Die Mensa der Universität Altenburg ist voller Menschen, hauptsächlich Studenten, deren lebhafte Unterhaltung in auf- und abschwellenden Wellen die zwei Professoren umspült, die bei ihren Getränken sitzen. Das Gespräch zwischen Professor Stein und Professor Bergmann dreht sich um die Texte zu den Zielen und Motiven der RAF. Bergmann kratzt sich die blonden Bartstoppeln, die irgendwann einmal eine Art Vollbart ergeben sollen, wie Christopher vermutet. „Sie möchten wissen, wie ich diese Texte bewerte?“ Er lehnt sich auf den unbequemen Holzstühlen zurück, die unter anderem dazu angeschafft wurden, um den Studenten allzu lange Aufenthalte in der Mensa oder der Cafeteria zu verleiden. „Die Texte sind nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern stellen immer eine Reaktion auf bestimmte Aktionen und auf die öffentliche Meinung dar – wobei als öffentliche Meinung für die erste Generation natürlich nur die Stimmen der Linken gezählt haben. Was die Bildzeitung geschrieben hat, wurde allerdings ebenfalls zur Kenntnis genommen und vor allem genossen, schließlich repräsentierte die Springer-Presse die Meinungen der Spießergesellschaft und je größer die Hysterie in den plakativen Überschriften auf Seite Eins, umso besser.“

Christopher betrachtet den jungen Professor, während er redet und registriert interessiert den Gegensatz zwischen der sehr lässigen Kleidung – graues, verbeultes Sacko über dem roten T-Shirt einer Band, deren Name Christopher vollkommen unbekannt ist, helle Jeans und blonde Haare mit einem unidentifizierbaren Schnitt – und der Ernsthaftigkeit und Präzision, mit der Bergmann über sein Spezialgebiet referiert. „Trotzdem kann man eine durchgehende Linie erkennen, die all diese Texte auszeichnet.“ Er macht eine Pause, um die Spannung zu erhöhen. „Es sind natürlich zum einen Kommunikationsmittel. Sie richten sich an eine ganz bestimmte Zielgruppe, nämlich die intellektuelle Linke. Auch wenn die RAF z.B. in dem frühen Text von 1970, „Die Rote Armee aufbauen“, das Proletariat zum Ansprechpartner erklärt, als Sprachrohr wird eine Zeitung genutzt, die Agit 883, die zwar ihre Grundlage in Berichten über Demonstrationen und Zusammenstöße mit der Polizei hat, und damit eine gewisse Praxisbezogenheit aufweist, aber natürlich von Leuten aus der linken Intelligenz verlegt wurde. Die RAF war immer ein Kind dieser Richtung, während die Bewegung 2. Juni schon eher eine proletarische Organisation genannt werden konnte.“ Er zuckt mit den Schultern. „Was der Bewegung aber auch nicht unbedingt Rückendeckung oder Unterstützung in Arbeiterkreisen verschaffte. Die proletarische Revolution konnte die Bewegung auch nicht auslösen.“ Bergmann grinst, wird aber sofort wieder ernst. „Die RAF, vor allem die erste Generation, hatte immer das Problem, dass sie die Linke gebraucht hat, aber sich gleichzeitig von ihr entfernte, nämlich durch das Moment der Gewaltanwendung. Dazu kam die Verfolgung durch die Polizei, durch die Baader, Ensslin und vor allem Meinhof sich zunehmend isolierten. Die Texte waren der Versuch der Kontaktaufnahme, die allerdings zum größten Teil einseitig verlief.“

Zwei Studenten kommen an ihrem Tisch vorbei und Bergmann erwidert ihren Gruß. Christopher fragt sich, ob Bergmann gut bei seinen Studenten ankommt. Besser als er vielleicht? Sollte er sich ebenfalls Band-T-Shirts zulegen? „Und die Notwendigkeit der Kommunikation ergab sich meiner Meinung nach aus der Notwendigkeit der Legitimation.“ Bergmanns Stimme gewinnt an Intensität und Christopher konzentriert sich unwillkürlich stärker auf seine Worte. „Verstehen Sie, Terroristen erhalten keinen Auftrag, sondern sie entscheiden selbst tätig zu werden. Und diese Entscheidung muss legitimiert werden, sonst ist der Terrorist nichts anderes als ein gewöhnlicher Verbrecher.“ Wieder das jungenhafte Grinsen auf Bergmanns blassem Gesicht. „Wir können uns jetzt darüber streiten, ob Terroristen Verbrecher sind, und es ist klar, dass Terroristen nicht unbedingt das Bürgerliche Gesetzbuch zur Legitimation heranziehen. Tatsächlich suchen sie ihre Legitimationsgrundlage selbst aus und das ist sicher als Willkür zu bezeichnen. Aber auch die RAF benötigte eine solche Legitimation und die sollte, neben den Texten von Mao, die Meinhof in den Ausführungen zu „Stadtguerilla und Klassenkampf“ immer wieder zitiert, eben die intellektuelle Linke bieten.“ Ein Schluck von dem mittlerweile erkalteten Kaffee unterbricht Bergmanns Ausführungen. „Interessant ist zum Beispiel, dass die erste Aktion, die Brandsätze, die Baader und Ensslin im April 1968 in den Frankfurter Kaufhäusern zur Explosion brachten, direkt auf ein Flugblatt bezogen, dass die Kommune 1 damals nach dem Brüsseler Kaufhausbrand herausbrachte, bei dem eine Vielzahl von Menschen umgekommen ist. Dieses Flugblatt , dass als satirische Provokation gedacht war, heute aber eher geschmacklos wirkt, endete mit der Frage, wann auch in Berlin die Kaufhäuser brennen. Und Baader und Ensslin wollten das als Aufforderung verstehen, oder zumindest deutlich machen, dass sie diejenigen sind, die nicht nur rumsitzen, diskutieren oder Puddingbomben auf den amerikanischen Vizepräsidenten werfen, sondern die die vorgeblich gemeinsamen Ziele der gesamten Linken durch Handlung zu erreichen suchen. Und zwar gewalttätige Handlung und nicht nur solche Spaßaktionen, durch die die Kommune 1 bekannt wurde.“ – „Sie wollten sich quasi als ausführender Arm betrachten und gleichzeitig vom Körper trennen,“ wirft Christopher ein. „Durch die Gewalt hat sich die RAF ausgegrenzt, aber gerade durch die Gewalt wollten sie sich auch abgrenzen. Aber die Verantwortung für diese Entscheidung zur Gewalt sollten andere tragen.“ Bergmann nickt vorsichtig. „Ich würde erst mal sagen, es ist sicher eine Frage der Verantwortung, aber vor allem auch der Versuch, die eigene, individuelle Entscheidung in ein größeres Ganzes einzubetten.“ Christopher nickt nachdenklich. Dann fällt sein Blick auf die große Uhr, die an der Wand gegenüber hängt und er steht auf. „Ich muss leider in die Vorlesung. Vielen Dank für Ihre Darlegung. Das nächste Gespräch sollten wir dann vielleicht in meinem Büro führen, da sind die Getränke besser. Zumindest kocht meine Frau Becker besseren Kaffee als ich oder der Automat in der Mensa.“

Samstag, 25. November 2006

sternkleinsternkleinsternklein

36: das stille Wasser

„Zum Teufel mit den Scheißbullen.“ Kaspar läuft hektisch in Alenas Wohnzimmer herum. „Was wollen die denn noch von mir wissen? Das ist doch reine Schikane! Es gibt überhaupt keine Anzeichen, dass ich irgendetwas mit dem Mord an Schwarz zu tun habe. Die kleben jetzt nur an mir, weil ich Marianne Wagenbachs Sohn bin. So etwas nennt man Sippenhaftung.“ Alena nippt an einer Tasse schwarzen Tee. Die Tasse, die sie für Kaspar auf die Ecke des Schreibtisches gestellt hat, ist unberührt. Helle Morgensonne scheint von außen herein und sie wünschte, es wäre nicht so hell im Zimmer. Als Kaspar heute morgen unangemeldet in ihre Wohnung stürmte, riss er zuallererst die Vorhänge auf, die wie gewohnt ihr Wohnzimmer verdunkelten. Dann berichtete er, unterbrochen von diversen Schimpftiraden, dass Kommissar Riesel ihn heute morgen telefonisch für nachmittags in die Dienststelle gebeten hatte. „Zu weiteren Fragen? Was glauben diese Idioten, was ich ihnen erzählen könnte? Haben die nichts anderes zu tun?“ Alena schließt die Augen und versucht die wütende Stimme Kaspars für einen Moment auszublenden. Sie wäre jetzt lieber allein. Langsam lässt sie sich seitwärts auf ihr Ledersofa sinken, hebt die Beine auf die Sitzfläche und zieht die Knie an. Sie bleibt so liegen, während Kaspar die Strecke von der Tür bis zum Fenster hin und her läuft. Ihre Gedanken hängen an der telefonischen Vorladung. Warum lädt Pia Kaspar nun doch vor? Hat ihr Kollege Riesel den Fragenkatalog nicht zufriedenstellend abgearbeitet? Haben sich Änderungen ergeben, die ein erneutes Gespräch erforderlich machen? Oder besteht doch ein Verdacht gegen Kaspar, vielleicht aufgrund von Tatsachen, die ihr selbst unbekannt sind? „Nett, dass du die Zeit nutzt, um ein bisschen zu schlafen, während ich hier gleich durchdrehe.“ Alena bleibt liegen, aber öffnet ihre Augen und wendet den Kopf der vorwurfsvollen Stimme Kaspars zu. „Gibt es irgendeine Kleinigkeit, die du mir vielleicht verschwiegen hast?“ Ihre Stimme ist ruhig und sanft. „Sie laden dich nicht ohne Grund vor. Sie haben irgendwas. Und ich frage mich, ob du weißt, was das sein könnte.“ Kaspar steht sehr still und sieht sie an. Die Strahlen der Morgensonne nehmen die Gelegenheit wahr, schräg bis in den letzten Winkel dieses Raums zu leuchten, aus dem sie sonst so rigoros ausgeschlossen werden. Kaspar steht mit dem Rücken zum Fenster, sein Gesicht ist im Schatten verborgen. Alena hört nur seine Stimme, die aus dem undeutlichen Dunkel seines Gesichts spricht. „Du hattest von Anfang an die Vermutung, dass ich Schwarz getötet haben könnte, nicht wahr? Dann hast du den Gedanken verdrängt, was ich dir durchaus zugute halte. Aber in bestimmten Situationen kommt er wieder an die Oberfläche, dieser Verdacht, den du niemals tief genug versenken kannst.“ Es ist irritierend, das Gesicht nicht zu sehen, das zu dieser seltsam leisen Stimme gehört und Alena richtet sich auf. „Der Gedanke steigt nach oben wie eine Wasserleiche, die jetzt halb verrottet und stinkend auf dem Wasser treibt.“ Alena spürt, wie ihre Halswirbel sich anspannen, ihre Hände klammern sich in das kühle Leder der Sitzkante. Kaspar macht einen Schritt auf sie zu und sie braucht all ihre Selbstbeherrschung, um nicht auf dem Sofa nach hinten zu rutschen. „Du hast mir noch nie getraut. Von Anfang an nicht. Warum nicht? Was ist los mit mir? Oder sollte ich besser fragen, was ist los mit dir?“ Sie antwortet nicht, das sind keine Fragen, die eine Antwort verlangen. „Wir waren niemals Freunde, Alena. Für dich war ich immer ein interessantes Objekt, eine Begegnung, die die Langeweile vertreibt, die dich manchmal überfällt, wenn du genug von deinem zurückgezogenen Lesen hast. Ich selbst habe nie gezählt für dich, ich habe dich nur in meiner Eigenschaft als Marianne Wagenbachs Sohn interessiert. Der Sohn einer Terroristin, wie aufregend.“ Er redet immer weiter, zwingt Alena seine Worte auf. „Und es war meine Besessenheit, die dich fasziniert hat. Die Fragen, die ich mir immer wieder stellen musste, die so wichtig für mich waren – für dich gibt es keine Fragen, die dich nachts wach halten, die dich quälen, die dein ganzes Leben bestimmen. Du hast kein Ziel, dein Leben hat keinen Sinn, du lebst vor dich hin und hebst Steine auf in der Hoffnung, das etwas Spannendes darunter liegt. Und ich bin nichts anderes als einer dieser Steine.“ Alena schließt die Augen und stellt sich vor, dass sie mit dem Rücken auf einem stillen See treibt, sie spürt die leichten Wellen um sich, die sie fort tragen, immer weiter weg. Kaspars Stimme dringt jetzt gedämpft zu ihr, als wenn er durch das kühle, durchsichtige Wasser spricht. Sie öffnet ihren Mund, um etwas zu sagen, das ihr am Herzen liegt, etwas, das sie unbedingt sagen muss, es ist wichtig. Ohne ihn wirklich zu sehen oder zu hören spürt sie, dass er aufgehört hat zu reden und sie anstarrt. Aus ihrem Mund kommen die Worte: „Lass mich allein.“

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

Und hier gehts zum Anfang

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Archivierung Ihres Blog-Krimis,...
Das Deutsche Literaturarchiv verfolgt mit Interesse...
Jochen Walter (Gast) - 26. Feb, 11:52
Off topic: Anfrage des...
Das Deutsche Literaturarchiv verfolgt mit Interesse...
Jochen Walter - 25. Mai, 13:12
Das Ende eines Blog-Krimis
und ich bin ein bisschen wehmütig, weil es mir viel...
Flannery Culp - 13. Mai, 20:54
113: Ende
Die Sonne scheint heiß, vielleicht zum letzten Mal...
Flannery Culp - 12. Mai, 14:00
112: Auf-Lösung
„Schwarz hat die Adressen von Burg und der Dahlem herausbekommen...
Flannery Culp - 7. Mai, 21:21

Links (Der Betreiber dieses Blogs übernimmt keinerlei Gewähr für die Aktualität, Korrektheit, Vollständigkeit oder Qualität der bereitgestellten Informationen. Haftungsansprüche gegen den Betreiber dieses Blogs, welche sich auf Schäden materieller oder ideeller Art beziehen, die durch die Nutzung oder Nichtnutzung der dargebotenen Informationen bzw. durch die Nutzung fehlerhafter und unvollständiger Informationen verursacht wurden, sind grundsätzlich ausgeschlossen.)

Suche

 

Status

Online seit 6490 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 26. Feb, 11:52

Credits

RSS Box


Kapitel Drei
Kapitel Eins
Kapitel Fünf
Kapitel Sechs
Kapitel Vier
Kapitel Zwei
Metablog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren