105: Heimfahrt und Aufbruch

Pia sieht müde auf die Uhr. Halb Zwei. Krause hat vor einer Stunde mit seiner Frau das Essen verlassen, und seitdem wehrt sie die neugierigen Fragen von Bergmann ab. „Ich kann Ihnen wirklich nicht mehr erzählen. Es handelt sich um laufende Ermittlungen,“ wiederholt sie genervt, aber Bergmann lässt sich nicht so schnell abwimmeln. „Aber warum suchen gerade Sie flüchtige RAF Terroristen? Das ist doch eigentlich Sache des Verfassungsschutzes oder des BKA.“ Pia rollt mit den Augen. „Wollen Sie das jetzt zu einem Zuständigkeitsproblem machen? Das BKA hat augenscheinlich keine Ahnung wo Koch steckt. Das ist doch nicht meine Schuld. Ich werde es ihnen schon früh genug mitteilen. Aber den Zeitpunkt bestimme ich.“ Sie fixiert Bergmann drohend. „Und wenn ich irgendwas davon morgen in der Zeitung lese, dann hole ich mir Ihren Kopf.“ Bergmann grinst verschwörerisch. „Ich schweige wie ein Grab.“

Christopher kommt zurück an ihren Tisch und stützt sich mit den Unterarmen schwer auf die runde Platte. „Ich kann nicht mehr. Die Ausführungen von Professor Helmstedt zur Lichtmetaphysik haben mir den Rest gegeben.“ Er sieht Pia an. „Wollen wir langsam mal fahren, oder kannst du dich noch nicht losreißen?“ Pia zieht die Augebrauen hoch. „Ich warte nur darauf, dass du dich endlich entschließt, deine entzückenden Kollegen, die du schon morgen alle wieder siehst, endlich zu verlassen.“ Sie wirft einen Blick auf Bergmann. „Während du dich erleuchten ließest, musste ich mich hier um den universitären Nachwuchs kümmern. Ich komme mir schon vor wie ein Babysitter.“ Bergmann lacht aus vollem Halse und schlägt Christopher auf den Rücken. „Sie ist klasse. Echt. Habe ich schon gesagt, dass ich sie liebe?“ Christopher seufzt und nickt. „Wie kommen Sie nach hause,“ fragt er, im Hinblick auf den leicht alkoholisierten Zustand seines Kollegen. „Keine Ahnung. Vielleicht schlafe ich im Büro. Das habe ich schon öfter gemacht.“ – „Das wundert mich nicht,“ murmelt Pia und Christopher nimmt Bergmann beim Arm. „Kommen Sie, wir teilen uns ein Taxi.“

Eine halbe Stunde später steht das Taxi vor dem modernen Mehrfamilienhaus, in dem sich ihre Eigentumswohnung befindet. Christopher bezahlt den Fahrer, während Pia den schwarzen Wollschal enger um ihre Schultern zieht. Es ist kühl geworden. Sie blickt nach oben und sieht nichts als das unruhige Dunkel einer bewölkten Nacht. Der Fahrer knallt die Wagentür zu und fährt los. Sie betrachtet die wenigen Fahrzeuge, die an der Straße parken und versucht automatisch, den Umriss eines Körpers in einem der Wagen zu entdecken. Christopher kommt zu ihr und legt den Arm um sie. „Kalt,“ fragt er. Sie nickt und schmiegt sich enger an ihn. „Vielleicht hätte ich Krause doch folgen sollen,“ murmelt sie. Christopher löst sich von ihr und sieht streng in ihr Gesicht. „Kannst du nicht einmal diesen Fall vergessen? Himmel, wir stehen hier in der Nacht, du hast ein bezauberndes Kleid an, ich bin leicht betrunken und die Sterne funkeln über uns. In einer solchen Situation könnten wir doch mal ein anderes Gesprächsthema anschneiden. Oder besser gar nicht reden.“ Pia verzichtet darauf, ihn darauf hinzuweisen, dass die Sterne nicht über ihnen funkeln, und erwidert seinen Kuss.

Aber ihre Gedanken sind nicht bei ihrem Mann. Sie schweben über einer Straßen in Weißbach. Ihr imaginäres Auge überblickt die Reihe von Autos, die dicht hintereinander an beiden Seiten der Straße stehen. Es zoomt hinunter, in jeden einzelnen Wagen hinein, und versucht eine Silhouette zu erspähen, ein Profil. Was, wenn Brigitte Dahlem doch recht hatte mit ihrer Beobachtung? Und was, wenn Krause oder Koch heute Abend wieder seinen Wachposten einnimmt? Sie denkt an das Weinglas in ihrer Tasche. Ob Krause wirklich Koch ist, wird sich erst nach einer Analyse der Fingerabdrücke zeigen. Aber ihr Instinkt sagt ihr, dass kein Zweifel besteht. Und ihr Instinkt lockt sie in die diese Straße. Jetzt. Ihr Instinkt hat immer recht, oder? Na gut, fast immer. Aber was spricht schon dagegen, heute nacht noch mal bei der Dahlem vorbeizufahren? Wenn sie sich irrt, wird es nie jemand erfahren. Und wenn sie recht hat, …. Pia muss bei dem Gedanken an ihren Triumph lächeln. Und an die Beförderung, auf die sie schon so lange wartet. Vielleicht bekommt sie eine eigene Abteilung?

„Schatz, kann es sein, dass du nicht ganz bei der Sache bist?“ Christopher schaut sie fragend an und Pia kann die Frustration in seinen Augen entdecken. Sie gibt ihm einen entschuldigenden Kuss auf die Wange. „Es tut mir leid, wirklich. Aber ich ziehe mich jetzt um und fahre noch mal los. Es ist wichtig.“ Sie legt einen flehenden Ausdruck in ihre Augen, auch wenn sie langsam ahnt, dass Christopher darauf nicht mehr hereinfällt. Ihr Mann reißt entsetzt die Augen auf. „Du kannst jetzt nicht mehr fahren, du hast getrunken! Und nicht nur ein Glas Wein! Und was soll das überhaupt, hat das nicht Zeit bis morgen früh?“ Er reißt seinen Arm hoch und schüttelt die Armbanduhr unter seinen Jackettärmel hervor. „Es ist fast halb drei! In fünf Stunden bist du doch eh schon wieder im Büro.“ Fassungslos starrt er sie an. Pia fasst sanft seinen Arm und zieht ihn in Richtung Haustür, wo sie den Schlüssel aus ihrer Handtasche holt. „Ich bleibe nicht lange weg, versprochen. Ich bin vielleicht in einer Stunde schon wieder zurück. Ich muss mich nur von etwas vergewissern. Vorher kann ich sowieso nicht schlafen.“ Seufzend folgt Christopher ihr in den Hausflur. Er weiß, dass er gegen den Starrsinn seiner Frau keine Chance hat.

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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