99: Chaos-Pia

Als Professor Krause Pia sein Gesicht zuwendet, läuft ihr gehirneigenes Identifikationsprogramm erneut auf Hochtouren und jetzt spürt sie neben sich, dass auch Christophers Muskeln sich für einen Moment anspannen. Ihr Herz macht einen kleinen Sprung. Er bemerkt die Ähnlichkeit, denkt sie. Krause streckt ihr seine Hand entgegen, sein Händedruck ist weich, die Innenfläche leicht feucht. Du bist nervös, denkt Pia triumphierend. Krause bringt ein angespanntes Lächeln zustande und schüttelt dann Christopher und Bergmann die Hand. Pia sieht zu dem jungen Geschichtsprofessor, kann aber keine Reaktion erkennen. Er hat das Photo nur kurz gesehen, sagt sie sich. Christopher übernimmt das Gespräch. „Schön, Sie einmal kennen zu lernen, Professor. Zwischen unseren Fakultäten bestehen leider wenig Kontakte und ich bin froh, dass man wenigstens auf diesen Jahresfeiern die Gelegenheit bekommt, sich auszutauschen. Ich muss gestehen, ich weiß noch nicht einmal, welches Seminar Sie leiten.“ Krause hat dunkle Ringe unter den Augen und die sorgfältig rasierte Gesichtshaut ist fahl. Pia sucht seine Pupillen und stellt plötzlich fest, dass die Iris braun ist. Auf dem Foto in der Akte sind die Augen blau, denkt sie irritiert. Ist die Ähnlichkeit doch nur Zufall? Auch die Haarfarbe stimmt nicht, aber er könnte seine Haare färben. Vielleicht trägt er auch farbige Kontaktlinsen.

Sie spürt, dass sie unruhig wird. Sie muss seine Fingerabdrücke bekommen. Ihre Augen heften sich auf ein halbleeres Glas Rotwein, dass noch auf Krauses Platz steht. Mit halbem Ohr bekommt sie mit, dass Krause etwas umständlich von dem Seminar für Allgemeine BWL und Bankbetriebslehre erzählt. Neben dem Weinglas liegt eine Serviette. „Seit wann lehren Sie an der Universität Altenburg,“ hört sie Christopher fragen. „Seit ungefähr 10 Jahren,“ antwortet Krause knapp. „Und wo waren Sie vorher,“ bohrt Christopher weiter. „Ich war Privatdozent beim Institut für Bankbetriebslehre an der Uni Hamburg,“ sagt Krause, während seine Finger sich ineinander verkrampfen. Als er es bemerkt, steckt er eine Hand in die Tasche seiner dunkelgrauen Anzughose. „Haben Sie in Hamburg studiert?“ Pias Blick kehrt zu Krause zurück und sie beobachtet, wie er den Kopf schüttelt. „Nein, ich habe im Ausland studiert.“ Interessant, denkt Pia. „Das ist ja interessant,“ sagt Christopher. „Wo genau haben Sie studiert?“ – „Harvard,“ presst Krause heraus. Es ist ihm anzusehen, dass er genug von den Fragen hat. „Harvard,“ wiederholt Christopher mit gespielter Bewunderung. „Ich habe immer gehofft, dass man mich einmal zu einer Gastvorlesung dorthin lädt.“ Er grinst Bergmann zu, der mit den Schultern zuckt. „Hoffen wir das nicht alle,“ sagt er, während er Krause nicht aus den Augen lässt.

Vielleicht war es ein Fehler, die beiden einzuweihen, fährt es Pia durch den Kopf. Sie übertreiben. Krause wird merken, dass etwas nicht stimmt. Und ich muss an dieses Glas kommen. Sie beschließt, Krause aus der Schusslinie zu nehmen. „Sind Sie auch berufstätig,“ wendet sie sich an Elena Krause, die sichtlich gelangweilt der Konversation gelauscht hat, nachdem sie feststellen musste, dass sie nicht mehr im Mittelpunkt steht. Ein gekränkter Ausdruck erscheint nun auf ihrem Gesicht. „Nein, natürlich nicht.“ Sie setzt ein gekünsteltes Lächeln auf. „Ich habe genug damit zu tun, mich um unser Anwesen zu kümmern.“ – „Wohnen Sie in Altenburg,“ heuchelt Pia Interesse. „Am Rande von Altenburg. Im Süden,“ betont die blonde Elena. Im Süden Altenburgs stehen die Villen inmitten von großen Gartenanlagen. „Wie nett,“ zwitschert Pia und weiß, dass sie gute Chancen auf den Oskar für ihre Vorstellung hat.

Sie winkt der weiblichen Bedienung, die nun wieder Weiß- und Rotweingläser auf ihrem Tablett hat. Sie nimmt ein Glas Rotwein herunter und wartet, bis auch die anderen sich bedient haben. Aus dem Augenwinkel sieht Pia, dass die junge Frau die leeren Gläser auf dem Esstisch entdeckt und darauf zusteuert, um sie mit in die Küche zu nehmen. Jetzt, denkt Pia. Mit den Worten „Dann lassen Sie uns doch auf dieses nette Essen anstoßen,“ reißt sie den Arm hoch, mit dem sie das Glas hält und tritt einen Schritt zurück. In ihrem Rücken spürt sie das Tablett der Service-Kraft, die einen entsetzten Laut ausstößt und das Gleichgewicht verliert. Pia macht einen Schlenker und manövriert den Inhalt ihres Glases in Richtung Elena. Einen Moment lang ist es unwirklich still, dann klirren die Gläser auf den Boden, die Bedienung reißt mit einem Poltern den Stuhl um, an dem sie sich festhalten wollte, und Elena beginnt schrill zu schreien.

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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