80: Grundsätze
Auch Brigitte Dahlems Gesicht überzieht nun eine leichte Röte, wie Alena mit Befriedigung feststellt. „Die Bundesregierung war unser direkter Feind. Man sollte erst vor der eigenen Haustür kehren. Und es war eine Frage der Effizienz – von hier kam das Geld, hier wurde den Amis eine Machtbasis verschafft, von der aus sie agieren konnten. Wir konnten das Übel an der Wurzel taktieren. Aber davon verstehen Sie nichts, Sie sehen nur das, was Sie sehen wollen.“
Alena stößt einen abfälligen Laut aus. „Ich verstehe das nicht? Was gibt es da zu verstehen? Gibt es eine Art Geheimlehre, in die nur die RAF eingeweiht war? So wollten Sie es doch. Das hat Ihnen die Rechtfertigung erspart. Sie hatten die Moral auf Ihrer Seite, weil Sie bestimmten, was Gut und Böse ist. Das ist so einfach. Sie haben sich nie auf Diskussionen eingelassen, Sie haben sich nie die Kritik angehört. Selbst kritisieren, dass konnten Sie dagegen verdammt gut. Die Leute, die Ihrer Meinung nach ihren Hintern nicht hochbekommen haben. Aber vielleicht wollten sie ihn gar nicht hochbekommen, weil sie vorher mal nachgedacht haben. Weil sie Ziel gegen Mittel abgeglichen und festgestellt haben, dass es nicht verhältnismäßig ist, für die vielleicht gerechtfertigte Kritik an manchen politischen Entscheidungen einfach ein paar Leute in die Luft zu jagen. Und nicht nur unverhältnismäßig, es hat auch überhaupt nichts gebracht. Sie haben die politischen Diskussionen nicht angestoßen, Sie haben sie zum Schweigen gebracht. Sie haben alle guten, kritischen und innovativen Momente der 68er im Keim erstickt. Aber so weit wollten Sie nicht denken. Sie haben das Denken einfach abgeschaltet und auf vier Leute gehört, die auch im Knast noch ein bisschen Macht und Einfluss haben wollten und kryptische Reden geschwungen haben. Wenn Sie mal ehrlich darüber nachdenken, können Sie mit ein bisschen gesunden Menschenverstand doch sicher beantworten, ob ein egozentrischer Selbstdarsteller wie Andreas Baader, der überhaupt keine soziale Verantwortung kannte und mit einem politischen Konzept völlig überfordert war, es wirklich wert war, dass Menschen sterben mussten.“
Alena hört ihr eigenes Blut in der Schläfe trommeln. Brigitte Dahlem sitzt sehr gerade. „Es geht nicht um Andreas Baader. Es geht nicht um Einzelne. Das wollen Sie nicht verstehen. Es geht um eine Vision, und ein höheres Ziel. Wir wollten Gerechtigkeit, wir wollten das die Ausbeutung stoppt, die Machtübernahme des Kapitalismus verhindern. Sie haben nur ein Argument: man darf Einzelne nicht einer Idee opfern. Aber ich sage, dass man genau das tun muss. Dass es nicht anders geht, wenn man etwas verändern möchte. Diese Tatsache ist nicht so bequem wie Ihr kleines behütetes Leben, und man muss verdammt stark sein, um das erstens zu begreifen und zweitens zu realisieren. Man muss damit klarkommen, dass man einen Menschen mit eigenen Händen tötet, das ist verdammt noch mal nicht einfach. Und dafür braucht man Kraft und Überzeugung. Wir haben an etwas geglaubt.“
Brigitte Dahlems Stimme ist seltsam ruhig und Alenas Wut verfliegt. Langsam geht sie auf die Frau zu und setzt sich auf den Rand des niedrigen Wohnzimmertisches. „Sie haben nur Ihre Schlagworte und die höre ich andauernd. Gerechtigkeit, Kapitalismus, Faschismus. Das sind Label, aber die Welt besteht aus Einzelnen, aus Individuen. Ich sage nicht, dass man keine Ziele, dass man keine Visionen haben sollte. Aber die Ziele sind nicht alles. Ein Ziel zu haben ist kein universelles Rechtfertigungsinstrument. Ziele werden durch Mittel erreicht und nicht jedes Ziel rechtfertigt jedes Mittel. Sie haben irgendwann nicht mehr unterschieden zwischen Mittel und Ziel, sondern einfach beides in eins gesetzt.
Und Sie haben die Dynamik der Zielsetzung nicht gesehen oder verfolgt. Die Heterogenität jedes Ziels, seine unterschiedlichen Komponenten und die Veränderungen, die die Bedeutung des Ziels erfährt. Und die Veränderung der Rechtfertigung, die jedes Mal notwendig ist. Die letzte Bedeutungsveränderung stellte die Befreiung der Gefangenen ins Zentrum des Ziels, das damit eine Einengung erfuhr, eine Subjektivierung, die niemand mehr nachvollziehen konnte, außer einer kleinen Gruppe. Und das Anfangsziel, war das bereits so etwas Abstraktes wie Gerechtigkeit? War es nicht vielmehr etwas noch Subjektiveres? Sie sagten, Hoffmann hätte Gewissensbisse gehabt. Das war sein individuelles Problem, das er im Sinne der RAF abstrahiert hat. Sie hatten vielleicht einen ähnlichen individuellen Grund, oder vielleicht auch einen ganz anderen. Aber auch den haben Sie im Sinne eines Abstraktums wie Gerechtigkeit uminterpretiert. Das ist nicht schlimm, das machen wir vielleicht alle. Aber Sie haben nicht Schritt gehalten. Sie haben die Ziele geändert, aber die Gründe und die Mittel nicht angepasst. Und das ist schlimm.“
Alena stößt einen abfälligen Laut aus. „Ich verstehe das nicht? Was gibt es da zu verstehen? Gibt es eine Art Geheimlehre, in die nur die RAF eingeweiht war? So wollten Sie es doch. Das hat Ihnen die Rechtfertigung erspart. Sie hatten die Moral auf Ihrer Seite, weil Sie bestimmten, was Gut und Böse ist. Das ist so einfach. Sie haben sich nie auf Diskussionen eingelassen, Sie haben sich nie die Kritik angehört. Selbst kritisieren, dass konnten Sie dagegen verdammt gut. Die Leute, die Ihrer Meinung nach ihren Hintern nicht hochbekommen haben. Aber vielleicht wollten sie ihn gar nicht hochbekommen, weil sie vorher mal nachgedacht haben. Weil sie Ziel gegen Mittel abgeglichen und festgestellt haben, dass es nicht verhältnismäßig ist, für die vielleicht gerechtfertigte Kritik an manchen politischen Entscheidungen einfach ein paar Leute in die Luft zu jagen. Und nicht nur unverhältnismäßig, es hat auch überhaupt nichts gebracht. Sie haben die politischen Diskussionen nicht angestoßen, Sie haben sie zum Schweigen gebracht. Sie haben alle guten, kritischen und innovativen Momente der 68er im Keim erstickt. Aber so weit wollten Sie nicht denken. Sie haben das Denken einfach abgeschaltet und auf vier Leute gehört, die auch im Knast noch ein bisschen Macht und Einfluss haben wollten und kryptische Reden geschwungen haben. Wenn Sie mal ehrlich darüber nachdenken, können Sie mit ein bisschen gesunden Menschenverstand doch sicher beantworten, ob ein egozentrischer Selbstdarsteller wie Andreas Baader, der überhaupt keine soziale Verantwortung kannte und mit einem politischen Konzept völlig überfordert war, es wirklich wert war, dass Menschen sterben mussten.“
Alena hört ihr eigenes Blut in der Schläfe trommeln. Brigitte Dahlem sitzt sehr gerade. „Es geht nicht um Andreas Baader. Es geht nicht um Einzelne. Das wollen Sie nicht verstehen. Es geht um eine Vision, und ein höheres Ziel. Wir wollten Gerechtigkeit, wir wollten das die Ausbeutung stoppt, die Machtübernahme des Kapitalismus verhindern. Sie haben nur ein Argument: man darf Einzelne nicht einer Idee opfern. Aber ich sage, dass man genau das tun muss. Dass es nicht anders geht, wenn man etwas verändern möchte. Diese Tatsache ist nicht so bequem wie Ihr kleines behütetes Leben, und man muss verdammt stark sein, um das erstens zu begreifen und zweitens zu realisieren. Man muss damit klarkommen, dass man einen Menschen mit eigenen Händen tötet, das ist verdammt noch mal nicht einfach. Und dafür braucht man Kraft und Überzeugung. Wir haben an etwas geglaubt.“
Brigitte Dahlems Stimme ist seltsam ruhig und Alenas Wut verfliegt. Langsam geht sie auf die Frau zu und setzt sich auf den Rand des niedrigen Wohnzimmertisches. „Sie haben nur Ihre Schlagworte und die höre ich andauernd. Gerechtigkeit, Kapitalismus, Faschismus. Das sind Label, aber die Welt besteht aus Einzelnen, aus Individuen. Ich sage nicht, dass man keine Ziele, dass man keine Visionen haben sollte. Aber die Ziele sind nicht alles. Ein Ziel zu haben ist kein universelles Rechtfertigungsinstrument. Ziele werden durch Mittel erreicht und nicht jedes Ziel rechtfertigt jedes Mittel. Sie haben irgendwann nicht mehr unterschieden zwischen Mittel und Ziel, sondern einfach beides in eins gesetzt.
Und Sie haben die Dynamik der Zielsetzung nicht gesehen oder verfolgt. Die Heterogenität jedes Ziels, seine unterschiedlichen Komponenten und die Veränderungen, die die Bedeutung des Ziels erfährt. Und die Veränderung der Rechtfertigung, die jedes Mal notwendig ist. Die letzte Bedeutungsveränderung stellte die Befreiung der Gefangenen ins Zentrum des Ziels, das damit eine Einengung erfuhr, eine Subjektivierung, die niemand mehr nachvollziehen konnte, außer einer kleinen Gruppe. Und das Anfangsziel, war das bereits so etwas Abstraktes wie Gerechtigkeit? War es nicht vielmehr etwas noch Subjektiveres? Sie sagten, Hoffmann hätte Gewissensbisse gehabt. Das war sein individuelles Problem, das er im Sinne der RAF abstrahiert hat. Sie hatten vielleicht einen ähnlichen individuellen Grund, oder vielleicht auch einen ganz anderen. Aber auch den haben Sie im Sinne eines Abstraktums wie Gerechtigkeit uminterpretiert. Das ist nicht schlimm, das machen wir vielleicht alle. Aber Sie haben nicht Schritt gehalten. Sie haben die Ziele geändert, aber die Gründe und die Mittel nicht angepasst. Und das ist schlimm.“
Flannery Culp - 11. Mär, 12:05