70: Freiheit
Die Stille drückt sich in jeden Winkel ihrer Wohnung. Bewegungslos sitzt sie auf dem Stuhl, den sie vor das Fenster zur Straße gestellt hat und beobachtet, wie der Asphalt in der Dämmerung versinkt. Die Abende hasst sie besonders. Am Abend erdrückt sie das Gefühl, dass sich wieder ein Tag in Nichts aufgelöst hat, Stunden ihres Lebens vergeudet, diese wertvolle Lebenszeit, Möglichkeiten ungenutzt, Ziele unerreicht. Aber was für Ziele, sie haben ihr alles genommen, alles wofür sie gekämpft hat. Jeden Tag muss sie daran denken, muss sich fragen, wie es so weit gekommen ist, was passiert ist. Nichts. Nichts ist passiert. Sie hat keine Worte mehr um es zu beschreiben. Sie hat ihren Vorrat an Worten aufgebraucht. Da ist kein Inhalt mehr, keine Gründe, nur noch Bilder, die durch ihren Kopf zucken, zusammenhanglos, verblasst. Dieser dumpfe Schmerz ist alles, was geblieben ist. Dieses Loch in ihr, das sie auffrisst.
Warum haben sie sie nicht erschossen, wie die anderen? Es hätte ihr nichts ausgemacht zu sterben. Sie war darauf vorbereitet gewesen. Es wäre das richtige Ende gewesen. Aber sie haben sie eingesperrt, wie ein Tier. Ein Tier, das man über alles fürchtet. In ihrer Wohnung verdichtet sich die Dämmerung, aber sie nimmt nichts davon wahr und ein Lächeln stiehlt sich auf ihr Gesicht. Anfangs hat es ihr Genugtuung verschafft, der ganze Hass, der ihr entgegenschlug, die ständige latente Angst vor ihr, so dämlich, was hätte sie denn tun können? Dachten sie, sie wäre eine lebende Bombe? Erbärmliche Feiglinge, selbstgerechte Wichser. Aber die Mischung aus Misstrauen und Abneigung, die man ihr entgegenbrachte, hat sie am Leben gehalten, das Gefühl eine Bedrohung für sie zu sein, auch noch im Knast. Das hat sie stark gemacht.
Diese Kraft, die sie anfangs noch hatte, keiner konnte sie kaputt machen, es war gut dass man sie hasste, es hat ihr bewiesen, dass sie auf dem richtigen Weg war. Sie hat den Hass in ihrer Zelle konserviert, sie hat lange davon gezehrt.
Aber irgendwann war die Konzentration nicht mehr hoch genug. Irgendwann wurde ihr klar, dass das Leben draußen weiterging. Ein paar mickrige Aktionen, aber die Köpfe der Leute waren voll mit anderen Sachen. Die Zeitungen beschäftigten sich mit Krisen, die nichts mehr mit ihren Zielen zu tun hatten. Die Politik lief an ihnen vorbei, ohne sich auch nur umzudrehen. Keiner interessierte sich mehr für ihre Verachtung. Man hatte sie vergessen. Sie waren Geschichte.
Die Erkenntnis hatte sie umgehauen. Handlungsunfähig gemacht. Hatte ihre Energie aufgefressen. Wie schwer ihr jeder Atemzug gefallen ist, wie anstrengend es war, die Augen zu öffnen. Sie hatte wochenlang auf ihrem Bett gelegen und auf die Gitterstäbe gestarrt, hatte sich ausgemalt, wie sie ihr Bettzeug in Streifen riss und einen Knoten um ihren Hals knüpfte. Sie hatte es nicht getan. Nicht, weil sie Angst vor dem Sterben hatte, sondern weil ihre Batterien leer waren. Zu leer, um zu sterben.
Das war die Zeit, in der der Automatismus sie besiegt hatte, der Automatismus des Lebens. Ihr Wille war weg, und ihr Körper hat das Steuer übernommen. Hat für sie geatmet, hat für sie gegessen. Aber in ihr war es tot.
Eine Weile sitzt sie dort und verschmilzt mit der Dunkelheit. Dann zucken ihre Augen. Auf der Straße unter ihr fährt langsam der Wagen in eine Parklücke und bleibt dort stehen. Die Scheinwerfer gehen aus. Das Motorengeräusch bricht ab. Dann nichts mehr. Keine Tür geht auf, niemand steigt aus. Der Wagen bleibt einfach auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen. Wie die Tage davor. Sie hat das Gefühl, als ob jemand zu ihrem Fenster hochsieht, ihr direkt in die Augen sieht. Sie hält dem Blick stand.
Die Minuten ticken vorbei.
Warum haben sie sie nicht erschossen, wie die anderen? Es hätte ihr nichts ausgemacht zu sterben. Sie war darauf vorbereitet gewesen. Es wäre das richtige Ende gewesen. Aber sie haben sie eingesperrt, wie ein Tier. Ein Tier, das man über alles fürchtet. In ihrer Wohnung verdichtet sich die Dämmerung, aber sie nimmt nichts davon wahr und ein Lächeln stiehlt sich auf ihr Gesicht. Anfangs hat es ihr Genugtuung verschafft, der ganze Hass, der ihr entgegenschlug, die ständige latente Angst vor ihr, so dämlich, was hätte sie denn tun können? Dachten sie, sie wäre eine lebende Bombe? Erbärmliche Feiglinge, selbstgerechte Wichser. Aber die Mischung aus Misstrauen und Abneigung, die man ihr entgegenbrachte, hat sie am Leben gehalten, das Gefühl eine Bedrohung für sie zu sein, auch noch im Knast. Das hat sie stark gemacht.
Diese Kraft, die sie anfangs noch hatte, keiner konnte sie kaputt machen, es war gut dass man sie hasste, es hat ihr bewiesen, dass sie auf dem richtigen Weg war. Sie hat den Hass in ihrer Zelle konserviert, sie hat lange davon gezehrt.
Aber irgendwann war die Konzentration nicht mehr hoch genug. Irgendwann wurde ihr klar, dass das Leben draußen weiterging. Ein paar mickrige Aktionen, aber die Köpfe der Leute waren voll mit anderen Sachen. Die Zeitungen beschäftigten sich mit Krisen, die nichts mehr mit ihren Zielen zu tun hatten. Die Politik lief an ihnen vorbei, ohne sich auch nur umzudrehen. Keiner interessierte sich mehr für ihre Verachtung. Man hatte sie vergessen. Sie waren Geschichte.
Die Erkenntnis hatte sie umgehauen. Handlungsunfähig gemacht. Hatte ihre Energie aufgefressen. Wie schwer ihr jeder Atemzug gefallen ist, wie anstrengend es war, die Augen zu öffnen. Sie hatte wochenlang auf ihrem Bett gelegen und auf die Gitterstäbe gestarrt, hatte sich ausgemalt, wie sie ihr Bettzeug in Streifen riss und einen Knoten um ihren Hals knüpfte. Sie hatte es nicht getan. Nicht, weil sie Angst vor dem Sterben hatte, sondern weil ihre Batterien leer waren. Zu leer, um zu sterben.
Das war die Zeit, in der der Automatismus sie besiegt hatte, der Automatismus des Lebens. Ihr Wille war weg, und ihr Körper hat das Steuer übernommen. Hat für sie geatmet, hat für sie gegessen. Aber in ihr war es tot.
Eine Weile sitzt sie dort und verschmilzt mit der Dunkelheit. Dann zucken ihre Augen. Auf der Straße unter ihr fährt langsam der Wagen in eine Parklücke und bleibt dort stehen. Die Scheinwerfer gehen aus. Das Motorengeräusch bricht ab. Dann nichts mehr. Keine Tür geht auf, niemand steigt aus. Der Wagen bleibt einfach auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen. Wie die Tage davor. Sie hat das Gefühl, als ob jemand zu ihrem Fenster hochsieht, ihr direkt in die Augen sieht. Sie hält dem Blick stand.
Die Minuten ticken vorbei.
Flannery Culp - 20. Feb, 19:37