52: neue Wege
Pia ist erschöpft. Sie sitzt hinter dem Steuer ihres Wagens und starrt auf die Ampel, die bereits seit einigen Sekunden grün ist. Hinter ihr beginnt ein wütendes Hupkonzert, das ihr mit einem Schlag klar macht, dass sie jetzt nach hause fahren sollte. Nicht zurück ins Büro, nicht zurück zu den Akten, auf keinen Fall zurück zu Riesels neugierigen Fragen. Sie will einfach nur in ihre Wohnung und dort ihre Ruhe haben. Nicht nachdenken. Weder über den Fall noch über Alena. Christopher sieht sie überrascht an, als sie in der Diele steht. „Bist du krank,“ fragt er besorgt und Pia schüttelt stumm den Kopf. Sie geht an ihm vorbei ins Bad, um sich die Hände zu waschen. Der Spiegel über dem weißen, eckigem Waschbecken wirft ihr müdes, abgekämpftes Spiegelbild zurück. „Ist der Fall gelöst?“ Christopher steht hinter ihr und hat ein Buch in der Hand, in dem er bis zu ihrem Eintreffen gelesen hatte. „Der Fall kotzt mich an,“ sagt Pia müde. „Ich habe keine Lust mehr. Soll sich doch jemand anders mit diesem Mist auseinandersetzen.“ Sie weiß, dass sie das nicht Ernst meint, nicht ernst meinen kann, aber in diesem Moment erscheint es eine sehr verlockende Aussicht einfach aufzugeben. Christopher schüttelt den Kopf und legt von hinten seine Arme um sie. Sie betrachten ihr gemeinsames Spiegelbild an, fast erstaunt über diese Konstellation. Pia lächelt Christopher im Spiegel zaghaft an. Ein ungewohntes Lächeln. Er küsst ihr Haar und streicht mit dem Zeigefinger leicht über ihre Wange. Dann lässt er sie los und geht aus dem Bad. „Ich mache dir einen Tee.“ Pia bleibt einen Moment stehen um die viel zu kurze Berührung noch etwas festzuhalten, dann dreht sie sich um und löscht das Licht.
Mitten in der Nacht wacht Alena auf. Sie hat von Kaspar geträumt, einen dunklen, verschwommenen Traum, hat seine angstgeweiteten Augen gesehen und sein Stimme wie aus weiter Ferne gehört. „Was willst du jetzt tun.“ Die Worte klingen in ihrem Kopf nach wie bei einem Echo. Sie richtet sich auf und zieht die Knie an ihren Oberkörper, umschlingt sie mit beiden Armen und legt ihre Stirn auf die Kniescheibe. Was sie im Traum gehört hatte, war keine Frage gewesen sondern eher eine Aufforderung und eigentlich war es Alenas eigene Frage, die in ihrem Traum herumgespukte. Was werde ich jetzt tun, wiederholt sie für sich. Auf welcher Seite stehe ich? Du stehst auf keiner Seite mehr, sagt die Stimme und dreht sich fröhlich um sich selbst. Alena bekommt eine Gänsehaut und trotzdem ist sie fasziniert von dieser tanzenden Stimme in ihrem Kopf. Dann brauche ich gar nichts mehr zu tun, antwortet sie und die Stimme schlägt einen übermütigen Salto, du willst doch die Wahrheit herausfinden, lacht sie. Für die Wahrheit musst du keine Seite vertreten, die Wahrheit ist eine Sache für sich, sie kümmert sich nicht um das was du oder Kaspar oder Pia Stein-Bachmüller möchte. Das Wort „Wahrheit“ echoet durch ihren Kopf, wie ein Flummi, der von den Seiten ihres Bewussteins abprallt und von einer in die andere Ecke springt. Dann steht die Stimme still und sagt sanft: du kannst Kaspar nicht helfen. Alena weiß, dass sie recht hat. Kaspar, der auf der Suche nach einer Toten ist, um sein eigenes Leben zu verstehen, das aber nur aus der Suche nach der Vergangenheit besteht, ein sinnloser Kreislauf, schlimmer noch, ein Strudel, der auch sie mit hinunterziehen würde. Sie erinnert sich an ihre Maxime, an den Schritt aus dem Strom des Lebens, an das stille Ufer, von dem aus sie beobachten kann, teilnahmslos und unbeeinflusst. Ruhig und rational. Die Stimme schweigt und betrachtet sie mit großen Augen, bevor sie sich in ihrem Bewusstsein auflöst. Gut, denkt Alena. Ich finde die Wahrheit heraus. Der Gedanke ist groß und hoch, er steht vor ihr wie ein undurchdringliche Mauer und macht ihr etwas Angst. Alena überlegt eingeschüchtert, wie sie vorgehen soll. Ihre beiden Kontaktpersonen stehen außer Reichweite, die eine hat sie selbst dorthin geschoben und die andere dreht ihr den Rücken zu. Es bleibt nur eine Person, mit der sie reden kann. Ein kleines Steinchen fällt aus der Mauer auf die andere Seite und ein winziger Lichtstrahl zwängt sich hindurch. Alena legt sich wieder hin und zieht die Bettdecke bis zum Kinn. Morgen wird sie Brigitte Dahlem besuchen.
Mitten in der Nacht wacht Alena auf. Sie hat von Kaspar geträumt, einen dunklen, verschwommenen Traum, hat seine angstgeweiteten Augen gesehen und sein Stimme wie aus weiter Ferne gehört. „Was willst du jetzt tun.“ Die Worte klingen in ihrem Kopf nach wie bei einem Echo. Sie richtet sich auf und zieht die Knie an ihren Oberkörper, umschlingt sie mit beiden Armen und legt ihre Stirn auf die Kniescheibe. Was sie im Traum gehört hatte, war keine Frage gewesen sondern eher eine Aufforderung und eigentlich war es Alenas eigene Frage, die in ihrem Traum herumgespukte. Was werde ich jetzt tun, wiederholt sie für sich. Auf welcher Seite stehe ich? Du stehst auf keiner Seite mehr, sagt die Stimme und dreht sich fröhlich um sich selbst. Alena bekommt eine Gänsehaut und trotzdem ist sie fasziniert von dieser tanzenden Stimme in ihrem Kopf. Dann brauche ich gar nichts mehr zu tun, antwortet sie und die Stimme schlägt einen übermütigen Salto, du willst doch die Wahrheit herausfinden, lacht sie. Für die Wahrheit musst du keine Seite vertreten, die Wahrheit ist eine Sache für sich, sie kümmert sich nicht um das was du oder Kaspar oder Pia Stein-Bachmüller möchte. Das Wort „Wahrheit“ echoet durch ihren Kopf, wie ein Flummi, der von den Seiten ihres Bewussteins abprallt und von einer in die andere Ecke springt. Dann steht die Stimme still und sagt sanft: du kannst Kaspar nicht helfen. Alena weiß, dass sie recht hat. Kaspar, der auf der Suche nach einer Toten ist, um sein eigenes Leben zu verstehen, das aber nur aus der Suche nach der Vergangenheit besteht, ein sinnloser Kreislauf, schlimmer noch, ein Strudel, der auch sie mit hinunterziehen würde. Sie erinnert sich an ihre Maxime, an den Schritt aus dem Strom des Lebens, an das stille Ufer, von dem aus sie beobachten kann, teilnahmslos und unbeeinflusst. Ruhig und rational. Die Stimme schweigt und betrachtet sie mit großen Augen, bevor sie sich in ihrem Bewusstsein auflöst. Gut, denkt Alena. Ich finde die Wahrheit heraus. Der Gedanke ist groß und hoch, er steht vor ihr wie ein undurchdringliche Mauer und macht ihr etwas Angst. Alena überlegt eingeschüchtert, wie sie vorgehen soll. Ihre beiden Kontaktpersonen stehen außer Reichweite, die eine hat sie selbst dorthin geschoben und die andere dreht ihr den Rücken zu. Es bleibt nur eine Person, mit der sie reden kann. Ein kleines Steinchen fällt aus der Mauer auf die andere Seite und ein winziger Lichtstrahl zwängt sich hindurch. Alena legt sich wieder hin und zieht die Bettdecke bis zum Kinn. Morgen wird sie Brigitte Dahlem besuchen.
Flannery Culp - 2. Jan, 20:08