51: Fronten
Alena beobachtet Kaspar bei Pias Aussage und bemerkt seine Beunruhigung. Ist ihm dieser Gedanke auch schon gekommen? Kennt er wohlmöglich den Grund, aus dem Brigitte Dahlem so abweisend ist, wenn die Sprache auf Marianne Wagenbach kommt? „Ich glaube, das ist nur Einbildung,“ sagt Kaspar jetzt und Pia betrachtet ihn nachdenklich. „Brigitte Dahlem kann vielleicht gar nicht verstehen, dass ich als Sohn Interesse in Marianne Wagenbach habe. Und noch weniger kann sie es befürworten. Dieses Mutter-Sohn-Verhältnis ist ihr suspekt. Marianne Wagenbach hat mich damals zurück gelassen, sie hat mich, ihren Sohn, zugunsten der Revolution, oder wie man das auch immer nennen möchte, aufgegeben. Und jetzt komme ich und versuche dieses Verhältnis im Nachhinein zu rekonstruieren. Ich vermute, dass passt ihr einfach nicht.“ Pia schlägt ihre langen Beine übereinander. „Interessant, wie gut Sie sich in diese RAF-Mentalität hineinversetzen können.“ Kaspar starrt sie einem Moment an und schüttelt dann langsam den Kopf. „Es hat keinen Sinn, mit Ihnen zu reden. Alles was ich sage, interpretieren Sie so, wie es Ihnen in den Kram passt. Sie verdächtigen mich, und jede meiner Äußerungen wird so zurecht gebogen, dass sie Ihren Verdacht unterfüttert.“ Er klingt erschöpft. „Ich weiß auch gar nicht, warum ich hier mit Ihnen spreche, in diesem fast privaten Rahmen, außerhalb des Präsidiums. Sie können mich nicht einfach so verhören, Sie müssen bestimmte Formalien beachten.“ Pia lächelt amüsiert. „Ich verhöre Sie doch gar nicht. Ich habe eine alte Bekannte besucht und auf einmal tauchen Sie hier auf. Und wenn hier die Sprache auf den Fall kommt, dann doch nur, weil wir alle darin verwickelt sind. Mehr oder weniger.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Außerdem kann ich alles, was Sie mir hier sagen, nicht gegen Sie verwenden. Im Raum befindet sich kein objektiver Zeuge, auf dessen Aussage ich mich verlassen könnte.“ Pia sieht nicht in ihre Richtung, aber die Bemerkung trifft Alena direkt ins Herz. Die Fronten sind klar. Pia und sie sind Gegner in diesem Fall. Aber noch etwas verstört sie. Ihr wird immer deutlicher, dass sie auch nicht auf Kaspars Seite stehen kann. Plötzlich kommt sie sich vollkommen verlassen vor.
Als Pia sich mit dem Versprechen eines baldigen Wiedersehens, das allein an Kaspar gerichtet ist, verabschiedet hat, bleiben Alena und Kaspar einen Moment lang still im Wohnzimmer sitzen. Ein leichter Schwindel setzt in Alenas Kopf ein und sie muss die Augen schließen. Das war zu viel. „Sie hat mich angeschrieen,“ murmelt sie, völlig fertig. „Sie stand vor mir und hätte mich am liebsten mit ihren Händen erwürgt. Sie hasst mich. Sie verachtet mich.“ Sie hört, wie Kaspar sich vom Schreibtischstuhl erhebt und spürt, wie er sich neben ihren Sessel kniet. Seine Hand auf ihrem Arm. Es ist weniger als eine Berührung für Alena, nur ein leichter Druck, der durch die Mechanik der Muskeln und die Schwere von Fleisch und Knochen hervorgerufen wird. „Alena, bitte,“ sagt Kaspar sanft. „Sie ist ein Bulle. Ein Bulle von der schlimmsten Sorte. Sie manipuliert dich und mich, um ihren Fall zu lösen. Sie ist nichts als ein gut funktionierendes Rädchen in dieser Maschine Polizeistaat. Ihr kann es immer nur um ihre klar definierte Aufgabe gehen, unabhängig davon kennt sie keine Solidarität und erst recht keine Freundschaft. Sie kennt nur Verbündete, die ihr weiterhelfen können. Du hast das doch erkannt, oder?“ Alena nickt müde, ohne die Augen zu öffnen. Der Druck auf ihrem Arm verstärkt sich. „Und trotzdem liegt dir etwas daran, was sie von dir denkt? Was ist los, Alena? Du bist doch sonst so unabhängig von der Meinung anderer. Du brauchst niemanden. Du lässt niemanden an dich heran. Du willst keine Freunde.“ Der bittere Ton hat sich erneut in Kaspars Stimme geschlichen. „Warum also gerade sie?“ Alena verbirgt ihr Gesicht hinter ihren Händen, wo es schön dunkel und ruhig ist. Wo sie beinahe schon allein ist. Dort denkt sie einen Moment über Kaspars Frage nach, die eine berechtigte Frage ist. Und eine Frage, die sie nicht beantworten kann. Kaspar steht auf. „Ich gehe jetzt, in Ordnung?“ Er kennt diesen Zustand und weiß, dass Alena jetzt nicht mehr ansprechbar ist. Sie belohnt ihn mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken und spürt, wie er mit seiner Hand über ihre Haare streicht. „Ich rufe Dich an,“ sagt er. Dann hört sie die Tür hinter ihm zufallen.
Als Pia sich mit dem Versprechen eines baldigen Wiedersehens, das allein an Kaspar gerichtet ist, verabschiedet hat, bleiben Alena und Kaspar einen Moment lang still im Wohnzimmer sitzen. Ein leichter Schwindel setzt in Alenas Kopf ein und sie muss die Augen schließen. Das war zu viel. „Sie hat mich angeschrieen,“ murmelt sie, völlig fertig. „Sie stand vor mir und hätte mich am liebsten mit ihren Händen erwürgt. Sie hasst mich. Sie verachtet mich.“ Sie hört, wie Kaspar sich vom Schreibtischstuhl erhebt und spürt, wie er sich neben ihren Sessel kniet. Seine Hand auf ihrem Arm. Es ist weniger als eine Berührung für Alena, nur ein leichter Druck, der durch die Mechanik der Muskeln und die Schwere von Fleisch und Knochen hervorgerufen wird. „Alena, bitte,“ sagt Kaspar sanft. „Sie ist ein Bulle. Ein Bulle von der schlimmsten Sorte. Sie manipuliert dich und mich, um ihren Fall zu lösen. Sie ist nichts als ein gut funktionierendes Rädchen in dieser Maschine Polizeistaat. Ihr kann es immer nur um ihre klar definierte Aufgabe gehen, unabhängig davon kennt sie keine Solidarität und erst recht keine Freundschaft. Sie kennt nur Verbündete, die ihr weiterhelfen können. Du hast das doch erkannt, oder?“ Alena nickt müde, ohne die Augen zu öffnen. Der Druck auf ihrem Arm verstärkt sich. „Und trotzdem liegt dir etwas daran, was sie von dir denkt? Was ist los, Alena? Du bist doch sonst so unabhängig von der Meinung anderer. Du brauchst niemanden. Du lässt niemanden an dich heran. Du willst keine Freunde.“ Der bittere Ton hat sich erneut in Kaspars Stimme geschlichen. „Warum also gerade sie?“ Alena verbirgt ihr Gesicht hinter ihren Händen, wo es schön dunkel und ruhig ist. Wo sie beinahe schon allein ist. Dort denkt sie einen Moment über Kaspars Frage nach, die eine berechtigte Frage ist. Und eine Frage, die sie nicht beantworten kann. Kaspar steht auf. „Ich gehe jetzt, in Ordnung?“ Er kennt diesen Zustand und weiß, dass Alena jetzt nicht mehr ansprechbar ist. Sie belohnt ihn mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken und spürt, wie er mit seiner Hand über ihre Haare streicht. „Ich rufe Dich an,“ sagt er. Dann hört sie die Tür hinter ihm zufallen.
Flannery Culp - 31. Dez, 13:27