28: Schwarz und Rot
Die Bildschirmuhr von Pias Rechner zeigt 20.00. Müde reibt sie sich die Augen und starrt dann erneut auf die Unterlagen, die aus Schwarz´ Schließfach stammen. Zum wiederholten Mal hat sie die Notizen durchgeblättert, immer auf der Suche nach Anhaltspunkten auf den Briefeschreiber und Mörder. Sie stoppt den Gedanken. Handelt es sich dabei wirklich um eine Person? Pia massiert ihre Schläfe. Wenn der Schreiber auch der Mörder war, warum hat er Schwarz dann plötzlich an diesem Freitag Abend ermordet, nachdem er sich monatelang damit begnügte, ihn lediglich mit Briefen in den Wahnsinn zu treiben? Ist Schwarz ihm auf die Spur gekommen und hat ihm gedroht, ihn der Polizei auszuliefern? Deutlich wird aus den handbeschriebenen Blättern, dass Schwarz die Spur des Schreibers verfolgte, aber Pia findet keinen Hinweis darauf, dass er tatsächlich den Aufenthaltsort von Dahlem, Burg und Koch herausgefunden hatte. Hat sie etwas übersehen? Als die Buchstaben vor ihren Augen verschwimmen, schließt sie ihre Lider, aber in ihrem Kopf arbeitet es weiter. Hätte Schwarz den Schreiber wirklich den Kollegen ausgeliefert? Wenn er das vorgehabt hätte, warum hat er sich nicht bereits früher an die Kollegen gewandt? Warum hat er ganz allein die Ermittlungen aufgenommen? Mit Hilfe der früheren Kontakten wäre es ein leichtes gewesen, die Informationen zu beschaffen, die er brauchte, um Dahlem und Co. zu finden. Pia schlägt mit der flachen Hand auf den Schreibtisch und öffnet die Augen. „Du hattest etwas zu verbergen, stimmt´s? Es ging Dir nicht darum, den einsamen Wolf zu spielen. Du konntest niemanden um Hilfe bitten,“ murmelt sie mit zusammengebissenen Zähnen. Abrupt steht sie auf und läuft aus dem Zimmer. An Oberdorfs Tür bleibt sie stehen und klopft kurz. Die Vorzimmersekretärin ist bereits nach Hause gegangen. Auf das überraschte „Herein.“ öffnet sie die Tür, geht mit langen Schritten in den Raum und lässt sich in den Besuchersessel fallen. „Kennen Sie den Grund, aus dem Schwarz sich entschieden hat, die alten Kollegen nicht über die Briefe zu informieren?“ Oberdorf sieht sie an und richtet sich dann langsam auf. „Sie glauben, dass Schwarz einen bestimmten Grund hatte? Ich vermute eher, dass er es noch einmal wissen wollte. Er wollte auf eigene Faust den Absender ermitteln und dann den Kollegen auf dem Silbertablett präsentieren.“ Er zuckt müde mit den Schultern. „Vermutlich hat er sich zu keiner Zeit wirklich bedroht gefühlt. Es war vielleicht so etwas wie eine Freizeitbeschäftigung. Er hat den aktiven Dienst vermisst.“ Oberdorf seufzt. Pia hat sich seine Erläuterungen stirnrunzelnd angehört und ihr vehementes Kopfschütteln zeigt ihm deutlich, dass sie nicht überzeugt ist. „Er soll sich nicht bedroht gefühlt haben? Er hat sein halbes Leben lang Terroristen verfolgt und wusste wie gefährlich sie werden konnten. Er kannte die Mentalität der RAF-Mitglieder. Von einem Polizisten mit seiner Erfahrung würde ich eher erwarten, dass er die Sache ernst genommen hat und dass ihm daran gelegen war, den Schreiber so bald als möglich zu finden. Das wäre aber nur mit Hilfe der Informationsbeschaffung durch die Kollegen möglich gewesen. Ein Blick in die hiesigen Meldedaten, und er hätte zumindest schon mal Brigitte Dahlem gefunden.“ Oberdorf schließt kurz die Augen. „Ich bin mir sicher, das er Dahlem auch ohne die Hilfe der hiesigen Kollegen sehr schnell gefunden hat. Sie ist gemeldet. Er hat wahrscheinlich einen seiner alten Kontakte beim BKA angerufen.“ Die kleinen runden Augen öffnen sich. „Haben Sie die Dahlem gefragt, ob Schwarz sich bei ihr gemeldet hat?“ Pia beißt sich auf die Lippen. „Sie hat sich geweigert, überhaupt mit uns über den Fall zu reden. Ich bin nicht mehr dazu gekommen.“ Sie macht eine kurze Pause. „Ich versuche jetzt, auf andere Art und Weise an die Informationen zu kommen.“ Schwarz sieht sie prüfend an, fragt aber nicht weiter. Das Abkommen zwischen ihnen funktioniert. „Aber ich glaube trotzdem, dass da noch etwas anderes ist. Er wollte die Kollegen nicht einschalten. Es ging ihm dabei nicht um Ehre oder Ehrgeiz, sondern um irgendetwas anderes.“ Ihre Augen werden schmal. „Wenn ich weiter ermittle, dann werde ich eine Antwort auf diese Frage finden, das ist Ihnen doch klar, oder? Und vielleicht wird Ihnen diese Antwort nicht unbedingt gefallen.“ Mit einem Kopfschütteln wehrt Oberdorf die Frage an. „Finden Sie den Mörder von Schwarz. Alles andere sehen wir dann.“
Flannery Culp - 15. Nov, 21:50