Krimi im Blog: Teil 11
Sie verabreden sich für morgen Nachmittag in einem Cafe und nachdem Pia den Hörer aufgelegt hat, wirft sie ihrem Kollegen die Liste mit den Namen auf den Schreibtisch. „Finden Sie alles über diese Personen heraus, was Sie kriegen können. Ein paar davon könnten noch einsitzen, andere sind vielleicht bereits entlassen. Suchen Sie die aktuellen Adressen heraus, Familienverhältnisse, aktuelle Vergehen, Verwandte und was Ihnen noch so einfällt. Seien Sie ruhig kreativ.“ Während Riesel sich auf seinen Rechner stürzt, nimmt sie sich die übrigen Papiere vor, die im Schließfach lagen.
Am späten Abend schließt sie die Tür zur Wohnung auf. Die Unterlagen haben keine weiteren Erkenntnisse ergeben und Pia ist frustriert. Christopher, ihr Mann, ist zu hause. Er ist Professor für Philosophie an der Altenburger Universität und hat Montags keine Vorlesungen. „Viel los bei Euch,“ ruft er aus der Küche heraus. Er steckt seinen Kopf durch die Tür und lächelt. Pia grinst unwillkürlich, als sie ihn mit seiner Lieblingsküchenschürze sieht. Es riecht nach Pasta, das einzige, was Christopher kochen kann, und sie hat Hunger. Langsam fühlt sie, wie die Anspannung des ganzen Tages von ihr fällt. „Wir haben einen neuen Fall,“ murmelt sie, während sie ihren Trenchcoat an die minimalistische Garderobe hängt. Ihr Blick fällt auf ihre Reflexion in dem großen quadratischen Spiegel neben der Garderobe. Einen Moment starrt ihr eine schlanke, mittelgroße Frau Anfang Vierzig mit kurzen glatten blonden Haaren entgegen, deren blaue Augen glanzlos und müde sind. Sie atmet tief ein und wieder aus und geht dann in die Küche, wo sie ein gedeckter Tisch begrüßt. Schwer lässt sie sich auf den Stuhl fallen. „Worum geht es? Bis in die Nachrichten scheint es der Fall bisher noch nicht geschafft zu haben, also vermute ich mal, es ist eher unspektakulär.“ Mit einer Grimasse füllt Pia sich Spagetti auf den großen Teller. Sie spricht selten und ungern mit Christopher über ihre Arbeit, aber in der Vergangenheit hat sich herausgestellt, dass bei bestimmten Fall-Konstellationen seine Meinung hilfreich ist. Nach ihrer Ansicht mochten Philosophen weltfremd sein, zu übertriebenen Abstraktionen neigen und Probleme bei kleineren Reparaturen im Haushalt haben, aber was Pia durchaus zu schätzen weiß, sind die logischen Fähigkeiten, die die meisten dieser seltsamen Spezies aufweisen. Momentan hat sie keine logischen Probleme, sondern eher das Bedürfnis zu reden. Dass die RAF involviert sein soll, bedrückt sie aus unerfindlichen Gründen. Aber sie darf nicht zu viele Einzelheiten nach außen tragen. „Es hat einen Toten gegeben,“ sagt sie daher nur und lässt sich von Christopher die Bolognese-Sauce reichen. „Was ich Dir jetzt sage, bleibt unter uns.“ Sie sieht ihn an und er nickt neugierig. Während sie den Parmesan gleichmäßig über dem roten Haufen auf ihrem Teller verteilt erklärt sie: „Es gibt Grund zur Annahme, dass die RAF irgendwas mit dem Mord zu tun hat.“ Auf Christophers entsetztes Gesicht hin hebt sie beruhigend die Hand. „Das heißt nicht, dass die Rote Armee als Organisation zurück ist. Es könnte sich um eine Art Racheakt handeln.“ – „Du meinst, es könnte eher ein persönliches als ein ideologisches Motiv geben?“ Christopher füllt Wein in ihre Gläser. Pia sieht ihm zu, während sie über seine Frage nachdenkt. „Ich bin eigentlich von einem persönlichen Motiv ausgegangen. Ein ideologischer Hintergrund? Jetzt? Die Welt hat sich verändert seit den 70er und 80ern, oder?“ Christopher zuckt mit den Schultern und trinkt einen Schluck. „Die RAF könnte sich auch verändert haben. Und es ist die Frage, ob die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse bis heute nicht im Kern gleich geblieben sind. Aber man müsste natürlich fragen, wogegen die RAF damals tatsächlich gekämpft hat und dann sehen, ob diese Front auch heute noch besteht.“ – „Wogegen hat sie gekämpft,“ fragt Pia mit vollem Mund. Über Christophers Gesicht fährt ein müdes Lächeln. „Gute Frage, und ich bin mir nicht einmal sicher, ob das damals überhaupt jemand konkret erläutern konnte.“ Er rollt Spagetti auf seine Gabel. „Antiimperialismus, Antifaschismus, das waren die Schlagworte. Soviel ich weiß, zielten die Anschläge der Kerngruppe der RAF damals auf amerikanische Stützpunkte, weil man ein Statement gegen den Vietnam-Krieg abgegeben wollte. Gleichzeitig zog man die Bundesrepublik zur Verantwortung, weil die USA von dort Unterstützung fand, und weil die Bonner Republik als repressiver Staatsapparat aufgefasst wurde. Wenn man den Startpunkt der RAF auf die Befreiung Baaders 1970 legt, dann war der Ausgangspunkt des Ganzen die gescheiterte Studentenrevolution 1968.“ Pia hört aufmerksam zu, während sie die Spagetti kaut. Christopher fährt fort, als wenn er sich in einem Hörsaal befinden würde. „Während der Studentenrevolution wurden bei vielen bestimmte Überzeugungen manifest. Politisches Engagement war einer der Hauptfaktoren und daneben soziales Engagement, das man aber auch immer als politisch verstand. Es etablierte sich gleichzeitig ein gewisses Schwarz-Weiß-Denken, und zwar sowohl auf Seiten der Studenten, als auch auf Seiten der Regierung oder der Bürger. Presseorgane wie die Bildzeitung hatten daran einen gewaltigen Anteil. Aus diesem polarisierten Denken entwickelte sich ein Antagonismus, dem auf der friedlichen Ebene mit den Mittel der Publikation und der Weiterbildung Rechnung getragen wurde, dazu gehörten auch noch Demonstrationen. Das es aber von Anfang an unterschwellige Aggressionen gegeben haben könnte, darauf deutet die Eskalation nach dem Tod von Benno Ohnesorg hin.“ Christopher schwenkt sein Glas, sein Blick ist in die Vergangenheit gerichtet. „Die Schüsse auf Ohnesorg haben wohl für nicht wenige 68er damals eine Radikalisierung bedeutet. Plötzlich fühlte man sich mitten in einem Kampf. Schon vorher gab es diese Identifizierung mit revolutionären Gruppen außerhalb Deutschlands, und plötzlich hatte man wohl den Eindruck, dass man Gewalt anwenden müsste, um die Verhältnisse in Deutschland und schließlich in der ganzen Welt zu ändern.“ Christopher zuckt hilflos mit den Schultern. „Der Wunsch nach Frieden, Sozialismus, gleiche Chancen, Diskussionskultur, vor diesem Hintergrund ist auch die RAF entstanden. Es ist verrückt, wenn man es aus der heutigen Perspektive betrachtet.“ Pia betrachtet ihn schweigend. Dann fragt sie: „Du warst 1977 16 Jahre alt, oder? Hast du das Ganze irgendwie verfolgt? Hast Du einen Standpunkt zur RAF eingenommen?“
Am späten Abend schließt sie die Tür zur Wohnung auf. Die Unterlagen haben keine weiteren Erkenntnisse ergeben und Pia ist frustriert. Christopher, ihr Mann, ist zu hause. Er ist Professor für Philosophie an der Altenburger Universität und hat Montags keine Vorlesungen. „Viel los bei Euch,“ ruft er aus der Küche heraus. Er steckt seinen Kopf durch die Tür und lächelt. Pia grinst unwillkürlich, als sie ihn mit seiner Lieblingsküchenschürze sieht. Es riecht nach Pasta, das einzige, was Christopher kochen kann, und sie hat Hunger. Langsam fühlt sie, wie die Anspannung des ganzen Tages von ihr fällt. „Wir haben einen neuen Fall,“ murmelt sie, während sie ihren Trenchcoat an die minimalistische Garderobe hängt. Ihr Blick fällt auf ihre Reflexion in dem großen quadratischen Spiegel neben der Garderobe. Einen Moment starrt ihr eine schlanke, mittelgroße Frau Anfang Vierzig mit kurzen glatten blonden Haaren entgegen, deren blaue Augen glanzlos und müde sind. Sie atmet tief ein und wieder aus und geht dann in die Küche, wo sie ein gedeckter Tisch begrüßt. Schwer lässt sie sich auf den Stuhl fallen. „Worum geht es? Bis in die Nachrichten scheint es der Fall bisher noch nicht geschafft zu haben, also vermute ich mal, es ist eher unspektakulär.“ Mit einer Grimasse füllt Pia sich Spagetti auf den großen Teller. Sie spricht selten und ungern mit Christopher über ihre Arbeit, aber in der Vergangenheit hat sich herausgestellt, dass bei bestimmten Fall-Konstellationen seine Meinung hilfreich ist. Nach ihrer Ansicht mochten Philosophen weltfremd sein, zu übertriebenen Abstraktionen neigen und Probleme bei kleineren Reparaturen im Haushalt haben, aber was Pia durchaus zu schätzen weiß, sind die logischen Fähigkeiten, die die meisten dieser seltsamen Spezies aufweisen. Momentan hat sie keine logischen Probleme, sondern eher das Bedürfnis zu reden. Dass die RAF involviert sein soll, bedrückt sie aus unerfindlichen Gründen. Aber sie darf nicht zu viele Einzelheiten nach außen tragen. „Es hat einen Toten gegeben,“ sagt sie daher nur und lässt sich von Christopher die Bolognese-Sauce reichen. „Was ich Dir jetzt sage, bleibt unter uns.“ Sie sieht ihn an und er nickt neugierig. Während sie den Parmesan gleichmäßig über dem roten Haufen auf ihrem Teller verteilt erklärt sie: „Es gibt Grund zur Annahme, dass die RAF irgendwas mit dem Mord zu tun hat.“ Auf Christophers entsetztes Gesicht hin hebt sie beruhigend die Hand. „Das heißt nicht, dass die Rote Armee als Organisation zurück ist. Es könnte sich um eine Art Racheakt handeln.“ – „Du meinst, es könnte eher ein persönliches als ein ideologisches Motiv geben?“ Christopher füllt Wein in ihre Gläser. Pia sieht ihm zu, während sie über seine Frage nachdenkt. „Ich bin eigentlich von einem persönlichen Motiv ausgegangen. Ein ideologischer Hintergrund? Jetzt? Die Welt hat sich verändert seit den 70er und 80ern, oder?“ Christopher zuckt mit den Schultern und trinkt einen Schluck. „Die RAF könnte sich auch verändert haben. Und es ist die Frage, ob die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse bis heute nicht im Kern gleich geblieben sind. Aber man müsste natürlich fragen, wogegen die RAF damals tatsächlich gekämpft hat und dann sehen, ob diese Front auch heute noch besteht.“ – „Wogegen hat sie gekämpft,“ fragt Pia mit vollem Mund. Über Christophers Gesicht fährt ein müdes Lächeln. „Gute Frage, und ich bin mir nicht einmal sicher, ob das damals überhaupt jemand konkret erläutern konnte.“ Er rollt Spagetti auf seine Gabel. „Antiimperialismus, Antifaschismus, das waren die Schlagworte. Soviel ich weiß, zielten die Anschläge der Kerngruppe der RAF damals auf amerikanische Stützpunkte, weil man ein Statement gegen den Vietnam-Krieg abgegeben wollte. Gleichzeitig zog man die Bundesrepublik zur Verantwortung, weil die USA von dort Unterstützung fand, und weil die Bonner Republik als repressiver Staatsapparat aufgefasst wurde. Wenn man den Startpunkt der RAF auf die Befreiung Baaders 1970 legt, dann war der Ausgangspunkt des Ganzen die gescheiterte Studentenrevolution 1968.“ Pia hört aufmerksam zu, während sie die Spagetti kaut. Christopher fährt fort, als wenn er sich in einem Hörsaal befinden würde. „Während der Studentenrevolution wurden bei vielen bestimmte Überzeugungen manifest. Politisches Engagement war einer der Hauptfaktoren und daneben soziales Engagement, das man aber auch immer als politisch verstand. Es etablierte sich gleichzeitig ein gewisses Schwarz-Weiß-Denken, und zwar sowohl auf Seiten der Studenten, als auch auf Seiten der Regierung oder der Bürger. Presseorgane wie die Bildzeitung hatten daran einen gewaltigen Anteil. Aus diesem polarisierten Denken entwickelte sich ein Antagonismus, dem auf der friedlichen Ebene mit den Mittel der Publikation und der Weiterbildung Rechnung getragen wurde, dazu gehörten auch noch Demonstrationen. Das es aber von Anfang an unterschwellige Aggressionen gegeben haben könnte, darauf deutet die Eskalation nach dem Tod von Benno Ohnesorg hin.“ Christopher schwenkt sein Glas, sein Blick ist in die Vergangenheit gerichtet. „Die Schüsse auf Ohnesorg haben wohl für nicht wenige 68er damals eine Radikalisierung bedeutet. Plötzlich fühlte man sich mitten in einem Kampf. Schon vorher gab es diese Identifizierung mit revolutionären Gruppen außerhalb Deutschlands, und plötzlich hatte man wohl den Eindruck, dass man Gewalt anwenden müsste, um die Verhältnisse in Deutschland und schließlich in der ganzen Welt zu ändern.“ Christopher zuckt hilflos mit den Schultern. „Der Wunsch nach Frieden, Sozialismus, gleiche Chancen, Diskussionskultur, vor diesem Hintergrund ist auch die RAF entstanden. Es ist verrückt, wenn man es aus der heutigen Perspektive betrachtet.“ Pia betrachtet ihn schweigend. Dann fragt sie: „Du warst 1977 16 Jahre alt, oder? Hast du das Ganze irgendwie verfolgt? Hast Du einen Standpunkt zur RAF eingenommen?“
Flannery Culp - 7. Okt, 16:24