Krimi im Blog: Spuren und Sterne 1

„Das hat er nicht verdient. Er hat nicht verdient, so zu sterben,“ presst Oberdorf heraus und schlägt mit der Faust auf dem Tisch. Pia zuckt zusammen. Sie kennt ihren Chef als freundlichen und viel zu gutmütigen Beamten. Jetzt ist sein breites Gesicht sehr rot und die Hand, die zur Kaffeetasse greift, zittert leicht. Vorsichtig zieht sie das Foto zu sich heran, dass Oberdorf angewidert auf seinen, wie gewöhnlich leeren, Schreibtisch geworfen hat. „Wie gut kannten Sie ihn?“ Ihr sachlicher Tonfall beruhigt Oberdorf etwas. Er trinkt einen Schluck Kaffee. „Polizeihauptkommissar Otto Schwarz ist vor drei Jahren in Pension gegangen. Davor hat er das Kommissariat 21 unter sich, Organisierte Kriminalität. 15 Jahre lang hat er sich aufgerieben. Das Kommissariat war sein Leben.“ Pia beobachtet interessiert, wie eine blaue Ader an Oberdorfs Stirn hervortritt. „Also suchen wir den Mörder im Milieu?“ Sie lehnt sich zurück und betrachtet ihre eleganten braunen Lederschuhe. Ein Wasserfleck an der Oberseite des linken Schuhs irritiert sie. Sie holt ein unbenutztes Papiertaschentuch aus der Tasche ihres caramelfarbenen Feincordblazers und reibt ihn sorgfältig weg. Oberdorf hat seinen gepolsterten Schreibtischsessel zurückgestoßen, ist aufgestanden und steht nun vor dem Fenster, die Hände auf dem Rücken verschränkt. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“ Für einen Moment verliert sich sein Blick in der baumbestandenen Parkanlage, die sich hinter dem Präsidium ausbreitet. Dann dreht er sich abrupt um. „Wie auch immer, ich erwarte von Ihnen, dass Sie den Mordfall umgehen lösen.“ Er geht zurück zum Schreibtisch und stützt seine Arme auf die polierte Platte. „Wenn jemand einen Polizisten tötet, greift er das ganze Präsidium an.“

Pia ignoriert das Pathos in seiner Stimme und betrachtet erneut das Foto. In der typischen Tatortästhetik zeigt es einen weißhaarige Mann im Bademantel, der mit angezogenen Beinen auf der Seite liegt, ein dünner Rinnsaal Blut am unteren Hinterkopf. „Sehr bedauerlich, dass der Mord während meines Urlaubs verübt wurde. Ein frischer Tatort verrät viel mehr als Fotos.“ Oberdorf setzt sich wieder und nimmt ihr ungeduldig das Foto aus der Hand. „Es ist nun einmal nicht zu ändern. Kommissar Riesel hat die Ermittlungen vorbereitet. Er ist sehr gewissenhaft.“ Pia verzieht leicht das Gesicht. Es fällt ihr schwer zu verbergen, dass sie von den beruflichen Leistungen ihres jungen Partners wenig hält und sie gibt sich keine Mühe. „Gab es Hinweise darauf, dass sich jemand an Schwarz rächen wollte? Hat er Drohungen erhalten? Gab es schon einmal einen Anschlag?“ Oberdorf presst die fleischigen Lippen aufeinander. „Natürlich hat er sich bei den Ermittlungen keine Freunde gemacht. Er hatte keinen Erzfeind, wenn Sie das meinen. Aber vielleicht befragen Sie die Beamten des Kommissariats dazu.“ Er sieht auf und starrt Pia bedeutungsvoll an. „Aber gehen Sie bitte behutsam vor. Schwarz war sehr beliebt unter seinen Männern. Ihre eher,“ ein leichtes Hüsteln, „undiplomatische Art ist sicher nicht angebracht in einer solchen Situation.“ Pia poliert ihre dezent manikürten Fingernägel mit dem Taschentuch. „Also hatte er keine Feinde innerhalb der Behörde?“ Jetzt steht Oberdorf die Entrüstung ins Gesicht geschrieben. „Natürlich nicht. Er war ein Vorbild, fast eine Vaterfigur. Er hatte für jeden ein offenes Ohr und war einer der besten Polizisten, die ich kenne.“ Er lässt sich in den Schreibtischsessel zurückfallen. „Wir haben oft gemeinsam in der Kantine gegessen,“ erklärt er düster. „Aber nach der Pensionierung haben wir den Kontakt verloren.“ Oberdorf fährt sich mit der Hand durch das dichte graue Haar. „Der tägliche Stress, die Arbeit, die einen bis nach Hause verfolgt. Es bleibt so wenig Zeit für soziale Bindungen.“ – „Machen Sie sich Vorwürfe? Glauben Sie, er hätte Ihnen erzählt, dass er bedroht wird?“ Pia lächelt kühl. „Tja, vielleicht haben Sie recht. Vielleicht hätten Sie ihn wirklich mal anrufen sollen.“ Die blaue Ader zeigt sich erneut auf Oberdorfs Schläfe. „Das ist doch Unsinn.“

Er greift nach der Kaffeetasse, hält sie an seinen Mund, trinkt aber nicht. Dann stellt er sie wieder zurück. Nach einer Weile meint er: „Schwarz war bei einigen medienträchtigen Ereignissen in Deutschland beruflich involviert. Nachdem er im mittleren Polizeidienst im Ruhrgebiet angefangen hatte, machte er den Aufstieg und hat dann beim BKA in Bonn gearbeitet. Er hat viel erlebt.“ Oberdorf schweigt einen Moment und sieht durch das Fenster in den blauen Himmel über der Universitätsstadt. „Schwarz hat mir einmal gesagt, dass Altenburg so wunderbar beschaulich sei. Die berühmte Universität, die schöne Altstadt. Er hat sich hier wohl gefühlt. Wer konnte wissen, dass er hier ermordet worden würde?“ Pia steht auf. „Ich nehme an, der Fall soll vertraulich behandelt werden.“ Oberdorf sieht weiter aus dem Fenster, aber Pia kann die wachsende Anspannung in seinen Schultern beobachten. „Es ist niemandem damit gedient, wenn das Andenken des Ersten Hauptkommissar Schwarz beschmutzt wird“, sagt Oberdorf dann langsam. Um Pias Mund spielt ein dünnes Lächeln. „Sie halten es also für möglich, dass die Ermittlungen kompromittierendes Material ans Licht bringen?“ Oberdorf atmet geräuschvoll ein. Er dreht sich zu Pia und betrachtet sie ernst. „Jeder Mensch hat eine schwache Seite. Manchen zwingen die Ereignisse, diesen wunden Punkt zu exponieren. Manche treffen die falsche Entscheidung.“ Sein Blick wird hart. „Sie kennen das Spiel, Oberkommissarin Stein-Bachmüller. Ein Beamter kann ein tadelloses Leben geführt und sich viele Verdienste im Beruf erworben haben. Wenn jedoch nur eine falsche Entscheidung dazwischen war, wird er von der Öffentlichkeit ausschließlich daran gemessen.“ Seine Augen hängen an dem Foto und Pia sieht, wie sein Unterkiefer arbeitet. „Gut“, sagt sie. „Ich werde also entsprechende Entwicklungen ausschließlich an Sie berichten. Das weitere Verfahren liegt in Ihrem Ermessen und ich unterstehe Ihrer Weisungsbefugnis.“ Wenn es schief geht, trägst Du die Verantwortung, denkt sie. Und wenn es gut geht, haben wir ein kleines gemeinsames Geheimnis und dann rate ich Dir, mich verdammt noch mal endlich zu befördern. Ohne Pia anzusehen, nickt Oberdorf. „Fangen Sie an. Der Fall hat erste Priorität.“

Als Pia den Raum verlassen will, ruft er sie zurück. „Sie können die näheren Umstände des Falls noch nicht kennen. Sie sind erst gestern zurück nach Deutschland gekommen und wir haben keine Informationen über den Todesfall hinaus an die Presse weitergeleitet. Ich haben Sie in mein Büro rufen lassen, sobald Sie das Gebäude betreten haben. Warum ziehen Sie nicht in Erwägung, dass es sich lediglich um einen Raubüberfall mit Todesfolgen handeln könnte?“ Pia zieht langsam die Augenbrauen nach oben. „Die Haltung des Toten auf dem Foto deutet darauf hin, dass er auf dem Boden kniete, und der Täter ihn mit einem Genickschuss tötete. Das war kein Einbruch. Das war eine Hinrichtung.“

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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