Sonntag, 11. März 2007

sternkleinsternkleinsternklein

was ich hier tue

Vielleicht kommt es manchem Leser so vor, als würde ich hier eine Diskussion konstruieren, die ich gar nicht führen kann. Und zeitweise ist es mir auch vorgekommen, als versuche ich Begründungsketten zu basteln, die auf Erfahrungen beruhen, die ich nicht gemacht habe und auf Überzeugungen, die ich nicht nachvollziehen kann. Dass dies Erfahrungen und Überzeugungen von Mitgliedern der einer Terrororganisation wie der RAF sind, scheint die Sache noch schwieriger zu machen, scheint Verstehen und Nachvollziehen noch unmöglicher zu machen.

Aber tatsächlich ist das doch nur ein Problem, mit dem wir jeden Tag zu kämpfen haben, das wir meistens scheinbar im Schlaf beherrschen und an dem wir manchmal ganz derbe scheitern: das Verstehen Anderer. Die Mitglieder der RAF sind nicht von einem Anderen Stern gekommen, sie sind in unserer Gesellschaft groß geworden. Gerade die RAF setzte sich aus Angehörigen der Mittelschicht zusammen, die größte Gruppe der deutschen Bevölkerung. Leute, die zur RAF gegangen sind, hatten kein spezielles Terroristen-Gen, sind nicht in kriegsähnlichen Zuständen aufgewachsen und hatten keine tendenzielle Terroristen als Eltern. Sie sind aufgewachsen wie so viele in den 60ern. Der einzige Unterschied zum Bürokaufmann, dem Lehrer oder Journalisten der 70er war, dass sie eine Karriere bei der RAF gewählt hatten. Ich möchte damit nur sagen, die Gründe eines Terror-Mitglieds nicht prinzipiell unverständlich sein können und das jedes Mitglied unserer Gesellschaft die Chance haben müsste, diese Gründe nachvollziehen zu können.

Nachvollziehen heißt nicht teilen. Aber der Nachvollzug ist wichtig, weil sonst kein Gespräch in Gang kommt. Und wenn es keine Gespräche mehr gibt, dann herrscht Krieg.

Noch etwas ist bei den letzten drei Teilen vielleicht aufgefallen: dass es mir schwer fällt, ein triftiges, intuitiv einleuchtendes und schlagendes Argument gegen das Handeln der RAF zu finden. Das Winden und Stochern Alenas ist auch mein eigenes. Intiuitiv weiß ich, dass das Vorgehen der RAF falsch ist. Aber ich möchte es auch rational begreifen. Rational bedeutet, durch ein abstraktes Prinzip, begreifen hat die Konnotation des begrifflich Darstellens. Zur Verfügung stehen z.B. Zweck-Mittel-Relation und das Verhältnis zwischen dem Abstrakten und dem Konkreten.

Zur Zweck-Mittel-Relation hat Jan Philipp Reemtsma darauf hingewiesen, dass bei der RAF Ziel und Mittel identisch waren, dass man jedes Mittel für geeignet hielt und das gewählte Ziel zu erreichen. (Ich weiß nicht mehr wo es steht und zitiere jetzt aus dem Kopf, in dem Artikel-Link ist es aber auch noch erwähnt.) Dieses Argument finde ich ziemlich überzeugend.

Und das ist wohl auch der Grund für dieses argumentative Stochern: Wenn man versucht die Gründe nachzuvollziehen, dann konzentriert man sich auf die Ziele, die eine Organisation hat. Und vielleicht sind diese Ziele teilweise gar nicht so abwegig, vielleicht steckt etwas darin, das berührt und nachdenklich macht. Das verunsichert, aber nur so lange, bis man sich klar macht, dass es nicht nur um die Ziele geht, sondern auch oder vor allem um die Mittel, die eben nicht mit den Zielen identisch sind. Die RAF hatte immer die Wahl, sie musste nicht zu den Waffen greifen. In dem Interview, dass in dem Band „Wir waren so unheimlich konsequent“ mit Wiesniewski geführt wurde, wird dieser gefragt, was er der Aktion der Roten Brigaden hält, die den Manager einer Fabrik entführt und dann mit heruntergelassenen Hosen zum Schichtwechsel wieder freigelassen hatten. Ich nehme das hier mal als ein Beispiel, wie es hätte anders laufen können. (S.W. antwortet darauf, dass sich manche Aktionen nicht einfach übertragen lassen. Sicher war zum Zeitpunkt der Schleyer-Entführung der Stresspegel schon zu hoch für solche lässigen Aktionen, aber der Stresspegel ist vor allem so hoch gewesen, weil sich die RAF von Anfang an für die Gewalt entschieden hat.)

Das Verhältnis zwischen einem dem Abstrakten und dem Konkreten kann man wiederum als eine bestimmte Perspektive auf die Zweck-Mittel-Relation verstehen, hier würde ich es jedoch beides auf das Ziel beziehen, auf allgemeine und konkrete Ziele und wie diese zusammenhängen. Es scheint mir sehr realistisch, als Initiative nur konkrete Ziele anzunehmen und konkrete Ziele würde ich definieren als Ziele, die eine begrenzte Reichweite haben. Das muss nicht bedeuten, dass konkrete Ziele immer egoistisch sind, sondern auch das Ziel, einem Anderen zu helfen, kann in diesem Sinne konkret genannt werden. Was jedoch passieren kann ist, dass man seine ganz konkreten Ziele plötzlich ausweitet, auf einen größeren Empfängerkreis oder in die Zukunft hinein. Manchmal verengt man diese Reichweite wieder. Das meinte ich mit der Dynamik der Zielvorgaben, man passt seine Ziele an. Diese Anpassung kann auch darin bestehen, dass man einem Primärziel ein Sekundärziel vorschiebt.

In diesem Fall verändert sich einiges. Zum Beispiel bedarf das Beschreiben der Ziele dann einer anderen Begrifflichkeit: Universalien, Allgemeinbegriffe, wenn es um eine Ausweitung geht. Diese Begrifflichkeit darf nicht beibehalten werden, wenn man das Ziel wieder verengt, wenn man z.B. von der Rettung der Menschheit umschwenkt zur Befreiung von Gefängnisinsassen.

Und dann kann man behaupten, dass sich nicht nur die Beschreibung ändert, sondern auch die Begründung. Auf den ersten Blick scheinen Begründungen von hintereinandergeschalteten Zielen transitiv zu sein: Ziel 1: Rettung der Menschheit. Ziel 2: Befreiung der Gefangenen. Wenn für Ziel 1 gute Gründe genannt werden, verführt die Implikation der Transitivität, dass diese Gründe auch für Ziel 2 gelten. Tatsächlich muss hier jedoch differenziert werden: wie notwendig ist Ziel 2 für die Erreichung von Ziel 1? Wenn diese Notwendigkeit im Fall Hitler-Stauffenberg bejaht werden kann, kann sie im Fall 1. Generation-2.Generation noch lange nicht bejaht werden.

Während die Transitivität von Gründen von der Notwendigkeit der Zielverbindungen abhängt, gibt es m.E. keine Transitivität in der Zweck-Mittel-Relation. Was zum Erreichen des Primärziels vielleicht als Mittel adäquat scheint, ist kein adäquates Mittel für die Erreichung des Sekundärziels. Dieser Gedanke ist dann nichts anderes als die dynamisierte Form des Reemtsma-Arguments „Ziele müssen von Mitteln unterschieden werden“. Was einschließt, dass sowohl Ziele als auch Mittel separat begründet werden müssen.

Damit schließe ich die Hintergrundüberlegungen zu den letzten veröffentlichten Teilen ab und werde mich dann wieder der Handlung widmen, die sich langsam aber sicher ihrem Ende zuneigt.

Zum Abschluss möchte ich noch auf einen guten Artikel in der taz zur aktuellen RAF-Diskussion hinweisen. Ein aufschussreicher Aufsatz zu den oben aufgeworfenen Fragen ist auch "Was heißt -die Geschichte der RAF verstehen-" von Reemtsma in dem Band "Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF" (sh. Literatursammlung).

80: Grundsätze

Auch Brigitte Dahlems Gesicht überzieht nun eine leichte Röte, wie Alena mit Befriedigung feststellt. „Die Bundesregierung war unser direkter Feind. Man sollte erst vor der eigenen Haustür kehren. Und es war eine Frage der Effizienz – von hier kam das Geld, hier wurde den Amis eine Machtbasis verschafft, von der aus sie agieren konnten. Wir konnten das Übel an der Wurzel taktieren. Aber davon verstehen Sie nichts, Sie sehen nur das, was Sie sehen wollen.“

Alena stößt einen abfälligen Laut aus. „Ich verstehe das nicht? Was gibt es da zu verstehen? Gibt es eine Art Geheimlehre, in die nur die RAF eingeweiht war? So wollten Sie es doch. Das hat Ihnen die Rechtfertigung erspart. Sie hatten die Moral auf Ihrer Seite, weil Sie bestimmten, was Gut und Böse ist. Das ist so einfach. Sie haben sich nie auf Diskussionen eingelassen, Sie haben sich nie die Kritik angehört. Selbst kritisieren, dass konnten Sie dagegen verdammt gut. Die Leute, die Ihrer Meinung nach ihren Hintern nicht hochbekommen haben. Aber vielleicht wollten sie ihn gar nicht hochbekommen, weil sie vorher mal nachgedacht haben. Weil sie Ziel gegen Mittel abgeglichen und festgestellt haben, dass es nicht verhältnismäßig ist, für die vielleicht gerechtfertigte Kritik an manchen politischen Entscheidungen einfach ein paar Leute in die Luft zu jagen. Und nicht nur unverhältnismäßig, es hat auch überhaupt nichts gebracht. Sie haben die politischen Diskussionen nicht angestoßen, Sie haben sie zum Schweigen gebracht. Sie haben alle guten, kritischen und innovativen Momente der 68er im Keim erstickt. Aber so weit wollten Sie nicht denken. Sie haben das Denken einfach abgeschaltet und auf vier Leute gehört, die auch im Knast noch ein bisschen Macht und Einfluss haben wollten und kryptische Reden geschwungen haben. Wenn Sie mal ehrlich darüber nachdenken, können Sie mit ein bisschen gesunden Menschenverstand doch sicher beantworten, ob ein egozentrischer Selbstdarsteller wie Andreas Baader, der überhaupt keine soziale Verantwortung kannte und mit einem politischen Konzept völlig überfordert war, es wirklich wert war, dass Menschen sterben mussten.“

Alena hört ihr eigenes Blut in der Schläfe trommeln. Brigitte Dahlem sitzt sehr gerade. „Es geht nicht um Andreas Baader. Es geht nicht um Einzelne. Das wollen Sie nicht verstehen. Es geht um eine Vision, und ein höheres Ziel. Wir wollten Gerechtigkeit, wir wollten das die Ausbeutung stoppt, die Machtübernahme des Kapitalismus verhindern. Sie haben nur ein Argument: man darf Einzelne nicht einer Idee opfern. Aber ich sage, dass man genau das tun muss. Dass es nicht anders geht, wenn man etwas verändern möchte. Diese Tatsache ist nicht so bequem wie Ihr kleines behütetes Leben, und man muss verdammt stark sein, um das erstens zu begreifen und zweitens zu realisieren. Man muss damit klarkommen, dass man einen Menschen mit eigenen Händen tötet, das ist verdammt noch mal nicht einfach. Und dafür braucht man Kraft und Überzeugung. Wir haben an etwas geglaubt.“

Brigitte Dahlems Stimme ist seltsam ruhig und Alenas Wut verfliegt. Langsam geht sie auf die Frau zu und setzt sich auf den Rand des niedrigen Wohnzimmertisches. „Sie haben nur Ihre Schlagworte und die höre ich andauernd. Gerechtigkeit, Kapitalismus, Faschismus. Das sind Label, aber die Welt besteht aus Einzelnen, aus Individuen. Ich sage nicht, dass man keine Ziele, dass man keine Visionen haben sollte. Aber die Ziele sind nicht alles. Ein Ziel zu haben ist kein universelles Rechtfertigungsinstrument. Ziele werden durch Mittel erreicht und nicht jedes Ziel rechtfertigt jedes Mittel. Sie haben irgendwann nicht mehr unterschieden zwischen Mittel und Ziel, sondern einfach beides in eins gesetzt.

Und Sie haben die Dynamik der Zielsetzung nicht gesehen oder verfolgt. Die Heterogenität jedes Ziels, seine unterschiedlichen Komponenten und die Veränderungen, die die Bedeutung des Ziels erfährt. Und die Veränderung der Rechtfertigung, die jedes Mal notwendig ist. Die letzte Bedeutungsveränderung stellte die Befreiung der Gefangenen ins Zentrum des Ziels, das damit eine Einengung erfuhr, eine Subjektivierung, die niemand mehr nachvollziehen konnte, außer einer kleinen Gruppe. Und das Anfangsziel, war das bereits so etwas Abstraktes wie Gerechtigkeit? War es nicht vielmehr etwas noch Subjektiveres? Sie sagten, Hoffmann hätte Gewissensbisse gehabt. Das war sein individuelles Problem, das er im Sinne der RAF abstrahiert hat. Sie hatten vielleicht einen ähnlichen individuellen Grund, oder vielleicht auch einen ganz anderen. Aber auch den haben Sie im Sinne eines Abstraktums wie Gerechtigkeit uminterpretiert. Das ist nicht schlimm, das machen wir vielleicht alle. Aber Sie haben nicht Schritt gehalten. Sie haben die Ziele geändert, aber die Gründe und die Mittel nicht angepasst. Und das ist schlimm.“

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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