Sonntag, 28. Januar 2007

sternkleinsternkleinsternklein

Michael Buback

Michael Buback, der Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts hat sich in einem sehr interessanten Artikel bei der Süddeutschen zum Antrag auf Begnadigung Christian Klars geäußert.

Mein letzter Kommentar könnte als etwas zu schnodderig bezüglich des Anliegens der Angehörigen, eine Freilassung (unter anderem) von weiteren Informationen über die Tatumstände abhängig zu machen, aufgefasst werden. Das war natürlich nicht beabsichtigt, denn von der Perspektive derjenigen, deren Leben durch die Taten der RAF in einem hohen Maße beeinträchtigt wurden, ist es vollkommen verständlich, den Wunsch nach Aufklärung zu haben. Es geht ihnen darum, einen Schlussstrich unter die Tat ziehen zu können, der nur dann gelingt, wenn die Tat endgültig aufgeklärt wurde. Die Erinnerung an die Getöteten ist sonst belastet bzw wird abgelenkt, so stelle ich es mir jedenfalls vor, von den Fragen nach der Tat selbst.

Natürlich ist dieses Schweigen seitens der noch Inhaftierten bezüglich der Tathergänge auch kompromittierend. Verschweigen sie, wer die Schüsse abgegeben hat, wirkt das wie eine Demonstration ihrer Solidarität - zum Täter und auch in Bezug auf die damaligen Motive. Tragen sie nicht dazu bei, die Tatakten zu schließen, deutet das darauf hin, dass auch für sie selbst diese Taten nicht abgeschlossen sind. Vielleicht wäre es ein deutliches Zeichen für den Wunsch ein völlig neues Leben zu beginnen, wenn man zur endgültigen Beendigung der Ermittlungen beitrüge. Ein anderer Grund für das Schweigen könnte natürlich sein, dass man sich selbst belasten würde. Und dann geht es wieder um die Frage nach der Übernahme von Verantwortung für die eigenen Taten.

Was mir in diesem Zusammenhang noch einfällt ist die Stellung der Opfer von Verbrechen, über die ich vor ein paar Monaten einen guten Artikel gelesen habe, den ich aber nicht mehr wieder finde. Darin ging es um das Phänomen, dass die Opfer von Verbrechen von der Öffentlichkeit viel schneller vergessen werden, als die Verbrecher selbst. Jeder kennt z.B. den Una-Bomber, aber hat noch irgendwer im Kopf, wie die Ermordeten dieses Serienkillers hießen? Was kann man aus diesem Phänomen schließen? Welche Prioritäten setzen wir bezüglich der kollektiven Erinnerung?

Die gute Seite, die die momentane Diskussion über die Freilassung hat, ist zumindest, dass die Opfer wieder in den Blick kommen, dass man sich daran erinnert, wer getötet wurde.

62: Beim Italiener

Als Pia in das Restaurant kommt, sitzt Alena bereits an einem Tisch in der Ecke. Pia sieht sich in dem Lokal um, bevor sie zu ihr geht. Die Mehrzahl der Tische ist besetzt, meist von Frauengruppen, die durcheinander reden und laut lachen oder von Männern im Anzug, deren müder und gelangweilter Gesichtsausdruck den abendlichen Ausklang einer Dienstreise verrät. Alena hat den Blick auf die weiße Tischdecke geheftet und sieht nachdenklich aus. Sie schaut auf, als Pia sich an den Tisch setzt und nickt kurz. Pia nickt ebenfalls anstelle einer Begrüßung. Der Kellner bringt eine zweite Speisekarte, die Pia hungrig aufschlägt. „Haben Sie schon bestellt,“ fragt sie Alena, ohne den Blick von der Liste der Gerichte zu nehmen. „Nein“, sagt Alena. Eine Weile blättert Pia schweigend und konzentriert in der Karte, dann winkt sie dem Kellner. „Ich nehme eine große Calzone mit Meeresfrüchten und dazu einen trockenen Weißwein.“ Während der Kellner die Bestellung notiert, sehen sich die beiden Frauen an. Interessiert nimmt Pia die Ernsthaftigkeit Alenas zur Kenntnis, und noch etwas anderes, was sie nicht sofort definieren kann. Dann fällt ihr der Begriff Präsenz ein. Tatsächlich wirkt Alena weniger verschwommen als sonst, scheint plötzlich mehr in der Wirklichkeit zu stehen. Allerdings hat Pia den Eindruck, als wenn ihr das nicht sonderlich zusagt.

Der Kellner fragt Alena nach ihrer Bestellung und Alena zuckt zusammen, als hätte sie seine Anwesenheit vergessen. Sie öffnet hastig die Karte und zeigt auf einen Salat. „Und einen halbtrockenen Weißwein, bitte.“ Der Kellner nimmt die beiden Karten mit und die Frauen sehen ihm zu, wie er damit hinter der Theke verschwindet. Dann richtet sich ihre Aufmerksamkeit wieder aufeinander. „Sie haben also mit Brigitte Dahlem gesprochen,“ beginnt Pia. Leichte Anspannung erscheint in Alenas Gesicht, was Pia verrät, dass nun der Teil kommt, auf den Alena sich vorbereitet hat. Der Teil, in dem jedes Wort sitzen muss, damit nicht zu viel verraten wird. Sie wird definitiv etwas verbergen. „Ich habe Frau Dahlem heute morgen besucht und wir sind spazieren gegangen.“ – „Warum sind Sie zu ihr gegangen,“ unterbricht Pia. Die beste Strategie ist nun, Alena aus ihrem Konzept zu bringen. „Ich möchte Kaspar helfen,“ erklärt Alena langsam. „Ich glaube, dass Sie sich auf ihn eingeschossen haben und ich habe gehofft, ich erfahre etwas von Brigitte Dahlem, das Sie auf eine andere Spur bringt.“ Pia grinst. „Sie wollen Kaspar Wagenbach nicht helfen. Warum sollten Sie das tun? Sie sind doch noch nicht mal davon überzeugt, dass er es nicht war.“ Alena blickt sie stumm an. Dann seufzt sie. „Meine Motive können Ihnen doch vollkommen egal sein. Wollen Sie nun hören, was sie mir erzählt hat?“ Pia zuckt mit den Achseln. „Schießen Sie los.“

Alena versucht sich offensichtlich zu konzentrieren. „Hans-Joachim Burg stand vor ca. 10 Wochen vor Brigitte Dahlems Tür. Er wollte mit ihr über Otto Schwarz sprechen, der ein paar Tage vorher bei ihm in Hamburg war und ihn mit dem Verdacht konfrontierte, dass Burg Drohbriefe an Schwarz geschickt hatte.“ Alena macht eine Pause und sieht Pia erwartungsvoll an. Wieder ein Schulterzucken. „Ich habe die Drohbriefe gefunden. Sie waren der Grund dafür, dass wir überhaupt auf die Idee gekommen sind, dass ein Ex-RAF mit der Angelegenheit zu tun hat.“ Pia zieht die Augenbrauen nach oben, als sie Alenas enttäuschten Gesichtsausdruck sieht. „Ich darf Ihnen keine Einzelheiten der Ermittlungen verraten, darum habe ich es für mich behalten.“ Sie beugt sich vor. „Hat Kaspar Wagenbach Ihnen gegenüber jemals diese Briefe erwähnt?“ Alena schüttelt den Kopf. „Ich wusste nichts davon, bis heute morgen. Und ich glaube auch nicht, dass Kaspar von ihnen weiß.“ Sie reißt die Augen auf. „Das entlastet ihn doch eigentlich.“

Pia zieht eine Grimasse. „Die Tatsache, dass er Ihnen nichts davon erzählt hat, bedeutet nicht gleichzeitig, dass er sie nicht geschrieben hat. Vielleicht traut er Ihnen nicht.“ Sie beobachtet amüsiert, wie Alena diesen Gedanken verarbeitet und greift dann den Faden wieder auf: „Hat Burg denn die Drohbriefe geschrieben?“ Alena schüttelt den Kopf. „Laut Brigitte Dahlem hat er zum ersten Mal von den Briefen erfahren, als Schwarz ihn daraufhin ansprach.“ Pia denkt nach. Warum sollte Burg die Dahlem anlügen? Wahrscheinlicher ist, dass er tatsächlich nicht der Briefschreiber ist. „Hat Brigitte Dahlem die Briefe geschrieben?“ Pia beugt sich erwartungsvoll nach vorn und Alena schüttelt erneut den Kopf. „Ich habe sie das auch gefragt, aber sie hat es verneint.“ Neugierig fragt sie: „Was waren das denn für Briefe?“ Pia registriert, dass es Alena wie selbstverständlich akzeptiert, dass Pia ihr von den Drohbriefen nichts erzählt hat. Dass sie nicht gekränkt ist oder Pia verdächtigt sie zu hintergehen. Aber schließlich gehören diese Informationen zu Pias Beruf, es handelt sich nicht nur um ein unterhaltsames Hobby, wie in Alenas Fall. Sie entschließt sich, von den Briefen zu erzählen, weil es nicht schadet, die Einzelheiten weiterzugeben. Alena hört aufmerksam zu und hebt die Augenbrauen, als Pia erwähnt, dass die Briefe in Waldmühl eingeworfen wurden. „Das deutet nicht auf Burg hin, oder,“ sagt sie und Pia macht eine müde Handbewegung. „Vielleicht nicht. Aber es könnte auf die Dahlem hindeuten – oder auf Kaspar Wagenbach.“

Alena runzelt die Stirn. Dann fährt sie fort: „Jedenfalls hat Burg mit Brigitte Dahlem über Schwarz und diese Briefe gesprochen. Schwarz hatte den Verfasser gesucht, weil er sich offensichtlich bedroht fühlte. Und Burg war etwas beunruhigt über diese Entwicklung. Er hatte wohl Angst, dass Schwarz die Vergangenheit wieder aufrührt, während er, Burg, eigentlich nur ein neues Leben wollte.“ Alena sieht Pia genau an, als sie berichtet: „Und ein paar Tage später war Schwarz auch bei Brigitte Dahlem.“ Das weckt Pias Aufmerksamkeit. „Mir hat sie nichts von diesem Besuch erzählt. Haben Sie noch mehr über das Treffen zwischen Dahlem und Schwarz erfahren?“ Der Kellner erscheint mit dem Essen und beide warten, bis er sich vom Tisch entfernt hat. Pia stürzt sich auf ihre Calzone und Alena stochert in dem Salat, während sie erzählt: „Er hat sie auch nur gefragt ob sie die Briefe geschrieben hat, ob sie noch Kontakt zu den anderen hat und ob sie etwas über Koch weiß.“ Pia schluckt ein großes Stück Füllung hinunter. „Und, weiß sie etwas über Koch?“ – „Nein, jedenfalls hat sie das Otto Schwarz gesagt.“ Pia isst eine Weile und denkt nach. „Burg ist zwei Wochen nach dem Treffen mit der Dahlem untergetaucht. Er hat unter einem anderen Namen als Pfleger in Freiburg angefangen. Vielleicht hat er das einfach nur getan um Otto Schwarz los zu sein.“

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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