Sonntag, 8. Oktober 2006

sternkleinsternkleinsternklein

Krimi im Blog: Teil 12

Christopher errötet leicht und das wundert sie - und es macht sie neugierig. „Wie sieht es aus? Mit 16 macht man sich doch schon Gedanken über politische oder öffentliche Ereignisse.“ Christopher fährt mit einer Hand durch sein Haar und konzentriert sich auf sein Weinglas. „Tatsächlich habe ich Ende 74 an einem Protestzug in Köln teilgenommen, an dem Tag, an dem Holger Meins an den Folgen des Hungerstreiks gestorben ist.“ Er grinst verlegen. „Ich war 13, also ist das wahrscheinlich zu entschuldigen. Johannes, mein ältester Bruder, ist gegangen, und ich habe ihn sehr bewundert. Darum wollte ich mit. Johannes war drei Jahre älter als ich und er hatte damals eine sehr dezidierte Meinung zu Stammheim. Für ihn waren Baader und Co. politische Gefangene und der Hungerstreik dementsprechend eine politische Aktion. Und er war davon überzeugt, dass die Isolationshaft mit Folter gleichzusetzen war.“ Christopher zieht eine Grimasse. „Du kannst Dir vorstellen, dass mein Vater nicht begeistert von dieser Ansicht war. Er war und ist Pazifist und für ihn waren Terroristen Kriegstreiber. Bombenanschläge und Brandstiftung waren für ihn keine Mittel, um Protest auszudrücken, obwohl er den 68er Diskussionen wohl sehr offen gegenübergestanden hatte.“ Ein dünnes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. „Aber wie es so ist, wenn man jung ist, fühlt man sich eher zu den radikaleren Positionen hingezogen, weil die einfach interessanter sind. Ich hatte mit 13 natürlich wenig Ahnung vom Hintergrund der Ereignisse und war daher ziemlich offen für die Erläuterungen aus der Sicht meines Bruders.“ Pia kann ein amüsiertes Grinsen nicht unterdrücken. „Ich kann mit ehrlich gesagt kaum vorstellen, dass Du mal auf linke Demos gegangen bist und für die Freilassung von Terroristen gekämpft hast.“ Christopher schmunzelt. „Na ja, vielleicht bin ich eher ein ruhiger Charakter, aber Johannes ist ganz anders. Er ist begeisterungsfähig und kann sich für eine Sache engagieren.“ Sein Gesicht wird ernst. „Vermutlich waren die Leute, die später in den Untergrund gegangen sind, auch begeisterungsfähig und engagiert. Ich kann nicht befürworten, was sie getan haben, aber manchmal hat wohl ein Schritt zum anderen geführt.“ Pia beobachtet, wie er einen Moment darüber nachdenkt. Dann schüttelt er den Kopf. „Trotzdem, es ist die Entscheidung jedes Einzelnen, wie weit er diesen Weg geht. Jeder von uns hat die Möglichkeit der Wahl.“ Er holt tief Luft. „Jedenfalls ist das meine Überzeugung. Oder das, woran ich einfach glauben möchte.“

Als Pia am nächste Morgen ins Büro kommt, liegt ein Dossier neben einer dampfenden Tasse Kaffee auf ihrem Schreibtisch und Riesel kann die frohe Erwartung in seinem Blick nicht verbergen. Innerlich rollt Pia mit den Augen, aber sie bequemt sich dazu, ein „Schnelle Arbeit“ zu murmeln. Oberdorf setzt sie unter Druck, daher ist klüger, Allianzen zu schließen. Temporäre Allianzen. Außerdem macht Riesel wirklich guten Kaffee. Sie trinkt einen Schluck und schlägt den kartonierten Deckel auf. In den nächsten Minuten liest sie aufmerksam. Dann lehnt sie sich zurück, und drückt die Zeigefinger gegen ihre Schläfen. „Hoffmann, Burg und Dahlem wurden 1981 geschnappt und 1982 zu lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt. Hoffmann ist tot, hat sich 1986 im Gefängnis das Leben genommen. Keine lebenden Verwandten. Hans Joachim Burg wurde im Juli 2001 entlassen. Sein Aufenthaltsort ist unbekannt.“ Pia nimmt die Finger von der Schläfe und wirft Riesel einen prüfenden Blick zu. Riesel verteidigt sich: „Ich bleibe dran, aber bisher habe ich nur diese Information. Er ist nach der Entlassung erst nach Hamburg gezogen und ist dort immer noch gemeldet. Unter der Adresse wohnt er aber nicht mehr und angeblich weiß niemand, wo er sich aufhält.“ Pia runzelt die Stirn und rekapituliert laut weiter: „Brigitte Dahlem wurde im Juli 2004 entlassen. Sie ist erst nach Köln gezogen und wohnt nun in,“ sie macht eine Kunstpause. „Weißbach. Das ist 20 Minuten von Altenburg.“ Riesel grinst. Ungerührt doziert Pia weiter: „Marianne Wagenbach gelang nach dem gescheiterten Anschlag die Flucht in die DDR, wo sie von der Stasi versteckt wurde. 1989 verübte sie Selbstmord. Robert Koch ist ebenfalls in die DDR geflüchtet. Er lebte ein Jahr in Leipzig, danach verliert sich seine Spur.“ Pia zieht eine Augenbraue nach oben. „Er ist der Stasi durch die Lappen gegangen?“ Riesel nickt eifrig. „Die Akten von Wagenbach und Koch wurden nach Öffnung der Archive aktualisiert, und erst durch die Stasi-Unterlagen hat man erfahren, dass die Wagenbach tot ist und Koch sich schon länger nicht mehr in der DDR befand, als die Mauer gefallen ist. Bis 1989 gab es nur den Verdacht, dass sie in der DDR Unterschlupf gefunden haben. Was Koch betrifft, ist seitdem keine Spur mehr von ihm aufgetaucht. Die Stasi nahm damals an, dass er mit Hilfe von Unbekannten in den Nahen Osten geflohen und dort wahrscheinlich gestorben ist.“ Pia trommelt mit den Fingern auf der Schreibtischunterlage. „Zwei Tote, zwei Verdächtige mit unbekanntem Aufenthaltsort und eine Verdächtige hier in der Nähe. Ich würde sagen, wir fangen mit Frau Dahlem an. Für Burg und Koch will ich eine neue Fahndung. Natürlich nicht im Zusammenhang mit dem Mord an Schwarz. Lassen Sie sich etwas einfallen.“

das Projekt Krimi-Blog

AUS DEN CHAOTISCHEN WINDUNGEN EINES KRIMIVERSEUCHTEN HIRNS BOHRT SICH EIN WEITERER ROMAN AN DIE DIGITALE OBERFLÄCHE EINES BLOGS. WIE SCHON IM VORGÄNGER „ZAHLEN UND ZEICHEN“ SOLL DAS SCHREIBEN EINES KRIMINALROMANS MIT DER PRAXIS DES BLOGGENS VERBUNDEN WERDEN. DAS BEDEUTET, DASS DER PLOT IN DEN GRUNDZÜGEN FESTSTEHT, DER KRIMI JEDOCH NICHT BEREITS FIX UND FERTIG IN DER SCHUBLADE LIEGT, SONDERN SICH IM SCHREIBEN ENTWICKELT. WAS GESCHRIEBEN WIRD, WIRD KURZ DARAUF GEBLOGGT, IST DAMIT FAKTISCH, UND WIRD NUR IN AUSNAHMEFÄLLEN (SEHR PEINLICHE TIPPFEHLER) GEÄNDERT. ERGÄNZT WIRD DAS GANZE DURCH METATEXT UND LINKS. EUCH UND MIR ALSO VIEL SPAß BEI „SPUREN UND STERNE“.

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